Keine Religion rechtfertigt diese Taten

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Derzeit sind zwischen vier und fünf Prozent der Bewohner Deutschlands Muslime, die Hälfte davon mit türkischen Wurzeln, in 20 Jahren werden es vielleicht sieben Prozent sein. Kein Grund zur Aufregung. Aber man will sich aufregen. Fakten und Argumente spielen dabei keine Rolle. Die Muslime in Deutschland stehen in großer Mehrheit, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt, fest zu Demokratie und Rechtsstaat – wen kümmert’s? Was zählt, ist der in der Tat zu verurteilende Umgang muslimischer Länder mit christlichen Minderheiten. Ausgerechnet die formal laizistische Türkei lässt seit der Staatsgründung 1923 keinen Neubau von Kirchen mehr zu. Der Mordanschlag auf das Pariser Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ hat all jenen nun die vermeintlich passenden Argumente an die Hand gegeben, die den Islam schon immer als Bedrohung empfanden.

„In keiner Religion gibt es auch nur einen Bruchteil an Rechtfertigung für solche Taten“, erklärte der Zentralratsvorsitzende der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek. „Heute wurde nicht unser Prophet gerächt, sondern unser Glaube verraten und unsere muslimischen Werte in den tiefsten Dreck gezogen.“ In aller Welt haben Muslime das Attentat verurteilt, so schnell, aufrichtig und unzweideutig wie nie zuvor. Sie haben endlich erkannt, dass es auch ihrer klaren Worte gegen den Missbrauch ihrer Religion bedarf. Es ist kein Widerspruch, sondern grausige Bestätigung, wenn Terrorgruppen von IS bis El Kaida die Schandtaten statt dessen bejubeln.

Informationen stehen in der globalisierten Welt so schnell und reichhaltig zur Verfügung wie nie zuvor. Doch scheinen sie weniger denn je von Belang zu sein. Was sich in Internetforen und sozialen Netzwerken an Verschwörungstheorien und Hasstiraden offenbart, ist atemberaubend. „Den Wahnsinn vom öffentlichen Diskurs auszuschließen ist sehr viel schwieriger geworden“, schreibt der Internet-Kolumnist Sascha Lobo. Das trifft auf die Anhänger von Pegida ebenso zu wie auf die Szene der Salafisten und Dschihadisten. Die Annahme, die Dresdener Demonstranten wollten gar nicht zur Kenntnis nehmen, dass Einwanderer eine Bereicherung für das Land sind und dass der Islam keine Gewaltreligion verkörpert, ist ebenso wahrscheinlich wie entmutigend.

Darf man hoffen, dass radikalisierte junge Muslime jetzt erkennen, dass ihr Prophet zur Wiederherstellung seiner Ehre nicht auf die Hilfe von tumben Vorstadtganoven angewiesen ist? Und dass sie durch Karikaturen auch nicht befleckt wird? Eher nicht. In ihrem Hass auf die „Lügenpresse“ sind sich Islamisten und Islam-Gegner erschreckend ähnlich.

Menschenrecht und Menschenwürde sind untrennbar verbunden. Religions- und Pressefreiheit sind ebenso universell und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es ist an den Religionsgemeinschaften selbst, dies aller Welt klarzumachen. Gemeinsam.

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