Grundgesetz steht über Bibel und Koran

von Hartmut Metzger

Hartmut Metzger

Wenn es die "Bild"-Zeitung mit einem Zitat aus angeblichen Geheimakten der Bundesregierung und der Schlagzeile "1,5 Millionen Flüchtlinge erwartet" bis in die seriösen Nachrichtenportale schafft, ist das bemerkenswert. Wenn der Bundespräsident die Kanzlerin auf ungeliebte Wahrheiten hinweisen muss, die auszusprechen, sich Angela Merkel scheut, ist die bundesweite Verunsicherung zudem groß. Aber es ist wahr: Auch die Möglichkeiten Deutschlands sind beschränkt, und wir können die Flüchtlinge nur so lange aufnehmen, wie Länder und Kommunen den unregulierten Zustrom irgendwie bewältigen.

Weshalb erklärt die Kanzlerin nicht, dass die deutschen Aufnahmekapazitäten endlich sind? Etwa weil ihr Satz "Wir schaffen das" samt Hinweis auf das gültige Asylrecht und den "Selfies" mit Migranten eine Wirkung entfaltet haben, die sie selbst nicht wollte? Zum einen sind Flüchtlinge über Internetforen in regem Kontakt, zum anderen hat sie zur massenhaften Migration nicht aufgerufen. Angesichts des Zustroms ist sie aber jetzt gefordert. Deutschland kann nicht mehr versprechen als es halten kann – und Merkel muss deutlich machen, was Migranten hier erwartet.

Wie im Streit mit Griechenland steht sie erneut in der vordersten Linie. Sie ist die Galionsfigur, die alle beobachten, um zu schauen, wohin die Reise geht. Vielleicht ist sie durch die "dornigen Rosen aus Athen" auch etwas dünnhäutig geworden, und die vielen herzlichen Sympathiebekundungen der Flüchtlinge haben sie ein wenig beseelt. Umso mehr ist es aber an ihr, deutlich zu erklären, wie und wegen welcher Grundwerte die deutsche Gesellschaft funktioniert. Hier steht das Grundgesetz eben nicht unter, sondern über Bibel und Koran.

Selbstverständlich geht es auch künftig darum, Flüchtlinge aus Krisengebieten, die bisweilen tausende Kilometer unter schlimmsten Bedingungen hinter sich haben, freundlich zu empfangen und Obdach zu bieten. Angesichts der Tatsache, dass Hunderttausende von ihnen schließlich in Deutschland bleiben werden, ist es aber auch notwendig, ihnen von Anfang an klarzumachen, dass es hier Regeln gibt, an die sich alle zu halten haben. Es ist ja gerade das Zusammenleben aufgrund dieser Regeln, das sie aus fernen Ländern hierher führt.

Hier darf jeder seine Religion ausüben, und er kann es lassen, wenn er will. Meinungsfreiheit und Toleranz sind nicht für jeden selbstverständlich ebenso wenig wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wir selbst müssen uns bewusst machen, auf ­welcher Grundlage wir leben. Wir müssen sie deutlich machen und verteidigen, leider nicht nur gegenüber jenen, die jetzt zu uns kommen. Aber viele von ihnen müssen erst noch lernen, weshalb sich dieses Land, nach der Reformation, nach der Aufklärung und den schrecklichen Ereignissen des vergangenen Jahrhunderts, derart erfreulich entwickelt hat.

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