Religionskrieg im Nahen Osten

von Martin Schuck

Martin Schuck

Die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr Baker al-Nimr in Saudi-Arabien hat einen Dauerkonflikt eskalieren lassen, der vordergründig als Kampf Saudi-Arabiens und des Iran um die Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten erscheint. Im Hintergrund geht es aber nicht nur um geopolitische Fragen, sondern um einen jahrhundertealten ideolo­gischen Streit, nämlich die Gegnerschaft zwischen dem sunnitischen und dem schiitischen Islam.

Den europäischen Betrachter führt dies in die eigene Vergangenheit der Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts zurück. Damals gab es evangelische und katholische Territorien, und es wurden Kriege geführt mit dem Ziel, die neu entstandene evangelische Konfession möglichst frühzeitig wieder verschwinden zu lassen.

Eine ähnliche Konstellation prägt die Geschichte des Islam. Dieser war im heutigen Saudi-Arabien entstanden, und arabische Truppen eroberten von dort aus Nordafrika und den Mittleren Osten. Etwa gleichzeitig mit der Eroberung Spaniens wurde 642 das neupersische Reich der Sassaniden durch die Araber erobert, und fortan gehörte Persien zum Einflussbereich des Islam. Im Laufe der Jahrhunderte entstand dort, aus Opposition zu den herrschenden Kalifen, eine oppositionelle religiöse Strömung, die sich zwar zum Islam bekannte, dessen Herrschaftsanspruch aber völlig ­anders deutete als die arabischen Rechtsschulen. Für diese war der ­persische Islam reine Ketzerei. Grundlegender Unterschied zwischen den arabischen Sunniten und den persischen Schiiten ist die Frage, wer zum Führen der islamischen Gemeinschaft berechtigt ist. Im sunnitischen Islam sind Rechtsschulen für die Auslegung des Korans und die überlieferten Sprüche Mohammeds zuständig. Diese verpflichten alle weltlichen Herrscher auf die Regeln der Scharia, der islamischen Rechtsordnung. Mit dem Wahhabismus entstand im 18. Jahrhundert eine strenge Koranauslegung, die nach dem Machtantritt der Familie Saud 1932 zur Staatsdoktrin des neuen Königreichs wurde.

Anders als die Sunniten erkennen die Schiiten nur direkte Nachkommen Mohammeds als authentische Herrscher an; diese werden Imame genannt. Insgesamt gab es nach ­Mohammeds Tod elf rechtmäßige Imame, der zwölfte wurde entrückt und wird eines Tages zurückkommen und über die Welt herrschen. Bis ­dahin ist die Herrschaft den Stellvertretern des Imam anvertraut, einem kleinen Kreis von Rechtsgelehrten, Ayatollahs genannt. Der Schiitismus war zwischen 1501 und 1722 Staats­religion und förderte ein persisches ­Nationalbewusstsein in Opposition zum Osmanischen Reich. Seit 1979 ist er offizielle Staatsdoktrin des Iran. Zwischen Saudi-Arabien und dem Iran besteht daher eine Gegnerschaft, die sich nicht nur aus Großmachtansprüchen begründet, sondern religiöse Verwerfungen zum Inhalt hat.

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