Staat und Kirche: Streit ums Kirchenasyl

von Renate Haller

Renate Haller

Aktuell gibt es in Deutschland 200 Asyle mit 359 Menschen. Gemessen an früheren Jahren ist das eine hohe Zahl. Sie ist dem beklagenswerten Zustand der Welt geschuldet, einer Fülle von Kriegen, die Menschen in die Flucht treiben. Und wo viele Menschen flüchten, ist es naheliegend, dass nicht jede Flucht nach den Buchstaben des Gesetzes beendet werden kann. Um genau solche Fälle geht es beim Kirchenasyl.

Mehrheitlich handelt es sich um sogenannte Dublinfälle. Das sind Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen möchten, obwohl sie in einem anderen Land zuerst europäischen Boden betreten haben. Nach der Dublinverordnung müssen sie ihr Asylverfahren dort betreiben. Nun sind die Bedingungen in Europa sehr unterschiedlich. In Italien, Ungarn, Griechenland oder Rumänien gibt es keinerlei Hilfen für Flüchtlinge. Schwer traumatisierte Menschen leben auf der Straße, wissen nicht, woher die nächste Mahlzeit oder medizinische Versorgung kommt. Schafft es der deutsche Staat nicht, sie innerhalb von sechs Monaten abzuschieben, obwohl ihr Aufenthaltsort – wie beim Kirchenasyl – bekannt ist, können sie in Deutschland Asyl beantragen.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge plant nun, die Menschen im Kirchenasyl als flüchtig einzustufen und die Frist auf 18 Monate zu verlängern, um so mehr Zeit für die Abschiebung zu haben. Das würde bedeuten, dass Gemeinden die Menschen nicht sechs, sondern 18 Monate lang betreuen müssen. Entsprechend verärgert reagieren die Kirchen. Innenminister Thomas de Maizière erklärt, er lehne das Kirchenasyl „prinzipiell und fundamental ab“. Die Kirchen dürften sich nicht über das Gesetz stellen. Damit hat er recht. Selbstverständlich sind auch die Kirchen an das Gesetz gebunden. Genau deshalb werden Kirchenasyle den Behörden gemeldet, damit die betroffenen Menschen eben nicht als flüchtig eingestuft werden.

Beim Kirchenasyl knüpfen die Schutzsuchenden an eine uralte Tradition an. Bereits zu biblischen Zeiten flüchteten Menschen in Gotteshäuser und an heilige Stätten, um sich der Verfolgung zu entziehen und sich dem Schutz Gottes zu unterstellen. Ein Recht auf diesen Schutzraum gibt es heute nicht, wohl aber eine stille Übereinkunft zwischen Kirche und Staat. In aller Regel akzeptiert der Staat den Schutzraum und lässt den Gemeinden Zeit, einen Fall neu zu beleuchten und nach Recht zu suchen.

Damit sind die Gemeinden höchst erfolgreich. Mit 80 Prozent wird die Zahl der erfolgreich beendeten Kirchenasyle beziffert. Mal wird ein Abschiebehindernis anerkannt, mal gibt es ein dauerhaftes Bleiberecht. Beteiligt sind an diesen 80 Prozent die ­Behörden, die den jeweiligen Fall abschließend entscheiden. Minister de Maizière sollte sich einmal fragen, ­warum es nur mithilfe engagierter Bürger möglich ist, zu solchen ­Ergebnissen zu kommen.

Meistgelesene Leitartikel & Kommentare