Das billige Öl und die Freude der Verbraucher

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

An der Tankstelle kommt Freude auf: Sprit ist so billig wie schon lange nicht mehr. Das entlastet den privaten Geldbeutel und kurbelt die Wirtschaft an. Aber ist das wirklich so einfach mit dem niedrigen Ölpreis? Ein Liter Diesel kostete zeitweise kaum mehr als einen Euro. Für Autofahrer eine feine Sache, auch Hausbesitzer und Mieter freuen sich über billiges Heizöl und die in dessen Gefolge sinkenden Gaspreise. Noch nicht einmal der schwache Euro – Erdöl wird international in US-Dollar abgerechnet – macht sich bemerkbar.

Doch das billige Öl hat eine Kehrseite. Denn hohe Energiepreise erzeugen Druck auf den Markt. Erst dieser Druck bringt Innovationen hervor, macht Alternativen wirtschaftlich und Energiesparen attraktiv. Billige Energie lädt jedoch zur Verschwendung ein und beschleunigt den Klimawandel, anstatt ihn zu bremsen. Die Energiewende der Bundesregierung würde vollends zur Makulatur, wenn fossile Brennstoffe dauerhaft billig blieben.

Allerdings stellt sich die Frage, warum Rohöl derzeit überhaupt so billig zu haben ist. Nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage müsste es nämlich deutlich teurer sein. Die Vorkommen sind schließlich endlich, und in spätestens 100 Jahren dürften die bekannten und wirtschaftlich auszubeutenden Lager restlos erschöpft sein. Die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (Opec) hat den Preis jahrzehntelang durch gedrosselte Förderung zu stabilisieren versucht – auf einem Niveau, das ihren Mitgliedern einträglich und den Industrienationen erträglich war. Unter Führung Saudi-Arabiens gelang dies, von einigen Eskapaden abgesehen, meist recht gut.

Nach dem nachfragebedingten Preisanstieg sind die Preise jetzt im Keller. Eine Schlüsselrolle spielen wiederum die Saudis, die nun die Märkte fluten. Eine durchsichtige Taktik: In Nordamerika werden schwierige Lagerstätten durch Fracking erschlossen. Weil aber diese Fracking-Technik unabsehbare Folgen für die Umwelt hat, ist die Dumping-Strategie der Saudis in dieser Hinsicht ein Segen. Denn Fracking macht unabhängig von arabischem Öl, rechnet sich aber nur bei hohen Preisen. Mit ihrem Überangebot an billigem Öl verderben die Saudis den ­Amerikanern das Geschäft.

Auch andere Förderländer lassen die Pumpen in hoher Drehzahl laufen – wenn auch nicht aus taktischen Erwägungen, sondern weil sie auf Öleinnahmen dringend angewiesen sind: Venezuela, Russland und die Terrorgruppe IS, die aus eroberten Ölquellen ihren Eroberungskrieg finanziert. Allerdings ist es zweifelhaft, ob diese Abwärtsspirale anhält.

Die Verbraucher können sich also gegenwärtig freuen, doch die Freude ist vermutlich kurz. Und ihr Preis ist hoch: Wir alle zahlen diesen Preis durch die ungewollte Finanzierung ­eines schmutzigen Kriegs, durch steigende Umweltbelastung und beschleunigten Klimawandel – und durch ein vorzeitiges Ende der Erdölvorräte.

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