Lettische Lutheraner brüskieren den Westen

von Wolfgang Lammel

Wolfgang Lammel

Es war ein Paukenschlag mit Ansage. Wer die Entwicklung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Lettland während der vergangenen Jahre verfolgt hat, dürfte von der Entscheidung der dortigen Synode nicht überrascht gewesen sein. Seit 1975 wurden in Lettland Frauen zu Pfarrerinnen ordiniert, bis der neue lutherische Erzbischof Janis Vanags keine zwei Jahrzehnte später diese Praxis wieder auf Eis legte. Mittlerweile amtiert Vanags seit 23 Jahren. Jetzt hat die Synode der bischöflichen Haltung Gesetzeskraft verliehen, indem sie – allen Protesten zum Trotz – in der Kirchenverfassung in der Passage über die Ordination das Wort „männlich“ einführte.

Vanags hat sich in dieser Frage stets auf biblische Grundlagen und die apostolische Tradition berufen. „Was in der längsten Zeit der Kirchengeschichte und heute noch weltweit die am häufigsten praktizierte Haltung ist, soll ein Skandal sein?“, wurde er in einer Agenturmeldung zitiert. Nur folgerichtig bekommt die lettische Kirche nun den Beifall der konservativen Evangelischen. Dort wird gefeiert, dass die Synode dem „enormen Druck des Zeitgeistes und der Genderideologie“ widerstanden habe, wie der Präsident der evangelikalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften, Ulrich Rüß, sagte. Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Michael Diener, hingegen sagte, der lettische Weg sei christlich und biblisch eine Sackgasse.

Die evangelisch-lutherische Nordkirche, seit fast 30 Jahren mit der Kirche in Lettland partnerschaftlich verbunden, fühlt sich indes brüskiert: Ihr Grußwort, in dem sie an die Synode appellierte, die Frauenordination nicht aufzugeben, wurde bei der Tagung nur schriftlich verteilt. Ob die Nordkirche nun ihre Ankündigung wahr macht, die Beziehungen nach Riga herunterzufahren, bleibt abzuwarten.

Beobachter fühlen sich in die 1970er Jahre zurückversetzt, als in Deutschland mit harten Wortgefechten um die Zulassung von Frauen zum geistlichen Amt gestritten wurde. Lettland lässt sich damit allerdings nicht so einfach vergleichen. Als Teil der Sowjetunion war es wie fast der gesamte „Ostblock“ bis 1991 der strikt antikirchlichen kommunistischen Politik unterworfen. Heute ­stehen den Lutheranern dort recht selbstbewusste russisch-orthodoxe und römisch-katholische Kirchen gegenüber, die ihren Zuspruch auch aus ihren konservativen Traditionen beziehen. Der Kurs von Erzbischof Vanags dürfte auf eine Art Schulterschluss der drei Konfessionen zielen, um sie als gesellschaftliche Kraft zu stärken. Der Protest aus dem Westen mag da sogar einkalkuliert sein.

Pikant an der ganze Sache ist, dass ausgerechnet in diesen Tagen Papst Franziskus mit Überlegungen überraschte, das Diakonat als erstes geistliches katholisches Amt auch für Frauen zu öffnen. Lettlands lutherische Kirche beeindruckte das wohl nicht.

Der Autor ist Redakteur des „Evangelischen Sonntagsblatts für Bayern“.

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