Es gibt nur ein Volk in Ost und West

von Richard Schröder

Richard Schröder

Der Rundfunk hat untersuchen lassen, wie viele im Osten Geborene zu den ostdeutschen Eliten gehören. Das Ergebnis: Die Ostdeutschen sind in der Minderheit. Und das sei ein Skandal. Ich halte das für üble Stimmungsmache durch Geschichtsklitterung. Denn suggeriert wird: Da gibt es zwei Völker, die Ostdeutschen und die Westdeutschen, und das eine beherrscht das andere. Bei Beherrschen denkt jeder an Unterdrücken. Diese zwei Völker hat es nie gegeben. „Der Ostdeutsche“ ist ein Konstrukt, das erst nach dem Ende der DDR entstand.

Es waren die Ostdeutschen, die 1989 gerufen haben: „Deutschland einig Vaterland“. Im Februar 1990 wurden die Losungen drohend: „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr.“ Wir haben uns den Westdeutschen aufgedrängt. Ich finde das in Ordnung. Aber bitte nun nicht behaupten: Wir sind überfallen worden und sind fremdbestimmt. Im Herbst 1989 fand in der DDR eine Revolution statt. Zu jeder Revolution gehört ein Elitenwechsel. Im Dezember 1989 haben viele Lehrerkollegien ihre Schulleiter abgesetzt, viele Belegschaften ihre Betriebsdirektoren.

Nun heißt es: Unter den Richtern oberster Gerichte sind nur 13 Prozent aus dem Osten, und nur zwei der 200 Generäle der Bundeswehr sind Ostdeutsche. Da wird die Revolution vergessen. Wir Ostdeutschen wollten weder SED-Richter noch NVA-Generäle weiter amtieren sehen und haben auch nicht verlangt, dass Egon Krenz Vizekanzler wird. In einer rechtsstaatlichen Demokratie herrscht nicht jemand, sondern etwas: Recht und Gesetz. Diese sind für die östlichen Bundesländer in Ostdeutschland erlassen worden von frei gewählten Landtagen, zu denen nur die Bürger des jeweiligen Bundeslandes Stimmrecht hatten. Regierung und Verwaltung sind an Recht und Gesetz gebunden. Deshalb ist für Amtspersonen zweitrangig, wo sie geboren sind. Aber auf Recht und Gesetz müssen sie verpflichtet sein – und sich darin auskennen.

Man kann an anderen ehemals ­sozialistischen Ländern studieren, was entsteht, wenn Altkader in die neuen Strukturen einrücken: ein ­korrupter Staat. Den vielen Westdeutschen, die zur Aufbauhilfe in den ­Osten gekommen sind, verdanken
wir, dass wir sehr schnell eine funktionierende Verwaltung und Justiz ­bekommen haben und die Korruption sich nicht ausgebreitet hat. 1990 ­haben wir nach Investoren aus dem Westen gerufen. Einige sind gekommen und haben ihre Geschäftsführer und Manager mitgebracht. Jetzt heißt es: Wir sind fremdbestimmt!

Unternehmen aus der DDR, die in der Marktwirtschaft Erfolg haben, verdanken dies zumeist ihren Facharbeitern und Ingenieuren aus der DDR – und einem Manager oder Geschäftsführer aus dem Westen. Das ist eine schöne Kooperation. So soll es sein.

Richard Schröder ist Theologe. Er war SPD-Fraktionsvorsitzender in der ersten frei gewählten Volkskammer.

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