„Gottesgeschenk“ und türkischer Gewaltexport

von Martin Schuck

Martin Schuck

Vermutlich wird der 15. Juli 2016 als Schicksalstag in die Geschichte der Türkei eingehen. Schuld daran ist weniger der noch in der gleichen Nacht niedergeschlagene Militärputsch, als vielmehr das, was der türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan aus diesem „Gottesgeschenk“ gemacht hat: einen „Festtag der Demokratie“, der in Zukunft als Staatsfeiertag begangen werden soll, weil mutige Landsleute seinem Aufruf folgten und massenhaft auf die Straße gingen, um sich den Panzern in den Weg zu stellen.

Die anschließenden Massenverhaftungen und „Säuberungsaktionen“ im Militärapparat, in der Justiz und im gesamten Bildungswesen ließen fragen, woher Erdogan so schnell Informationen über Beteiligte und Sympathisanten des Putsches bekommen hatte. Erdogan selbst wusste jedoch sofort, wer hinter dem Umsturzversuch stand: sein früherer Weggefährte Fethullah Gülen.

Der Imam aus Anatolien lebt seit 1999 im Exil in den USA, weil er in der Türkei zur islamischen Unterwanderung der staatlichen Institutionen aufgerufen hatte. Anfangs unterstützte er Erdogans Versuch, die säkulare Ordnung der Türkei in einen islamischen Staat zu überführen, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Diese bestehen in einem über Jahrzehnte gewachsenen Verbund von Moschee-Gemeinden, Stiftungen und Bildungseinrichtungen, die Gülen zunächst in der Türkei und seit den 1990er Jahren auch international aufgebaut hatte. In Deutschland ist die Gülen-Bewegung mit nicht sofort als islamisch erkennbaren Bildungsvereinen und Nachhilfezentren aktiv, zum Beispiel mit den Sema-Schulen in Mannheim.

Gülen verschaffte sich eine große Anhängerschaft unter denjenigen gebildeten Schichten, die nicht dem Kemalismus zuneigten. Das machte ihn zwangsläufig zum Konkurrenten Erdogans. Nachdem es wegen Gülens Unterstützung der Proteste im Gezi-Park 2013 zum sich lange schon abzeichnenden Zerwürfnis zwischen beiden kam, suchte Erdogan nach einer Gelegenheit, sämtliche Anhänger Gülens aus öffentlichen Ämtern zu entfernen. Genau deshalb kam ihm der Putschversuch äußerst gelegen.

Erdogan beschränkt die Verfolgung der Gülen-Bewegung jedoch nicht auf die Türkei. In der Vergangenheit hat er bei Wahlkämpfen gezeigt, dass er alles versucht, seine Macht auch auf Türken, die im Ausland leben, auszudehnen. Gleich nach dem Putschversuch gab es auch in deutschen Städten Ausschreitungen, bei denen Anhänger Erdogans Einrichtungen der Gülen-Bewegung angriffen. Damit ­erreicht die totalitäre Wende in der ­Türkei auch die deutsche Innenpolitik. Da Erdogan seine Gegner an ­jedem Ort verfolgt, zeichnet sich ein ­türkischer Gewaltexport ab, der dem ­islamistischen Revolutionsexport aus Iran und Saudi-Arabien in nichts nachsteht. Stellvertreterkämpfe ­orientalischer Despoten sind aber das ­Letzte, was Europa gebrauchen kann.

 

 

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