Angst vor dem falschen Feiern

von Markus Springer

Markus Springer

Wie werden sich kommende Generationen an das Reformationsjubiläum 2017 erinnern? Reformations- und­ ­Lutherjubiläen waren immer Zeitansagen. Geschichtliches Erinnern ist Geschichtspolitik: Was bedeutet das, was war, für heute? 1817 – in den Nachwehen der Napoleonischen Kriege – wurde die 300-Jahr-Feier von Luthers Thesenanschlag zur religiös verbrämten Inszenierung des erwachenden deutschen Nationalismus. Zu seinem 400. Geburtstag 1883 war Luther zum Helden alldeutscher Überlegenheitsfantasien aufgestiegen. 1917 musste er als Schutzheiliger in der nationalen Wagenburg des Weltkriegs herhalten.

Vom nationalen Fieber sind Deutschlands Protestanten nach Auschwitz geheilt. Als evangelischer Heiliger taugt Luther ebenfalls nicht mehr. Seine Abgründe, sein Judenhass, seine Hetze gegen die Bauern – all das lässt den Reformator schnell vom Sockel fallen. Vor diesem Hintergrund sind Befürchtungen verständlich, man könne wieder mal alles falsch machen. Auf keinen Fall wollen die Protestanten 2017 „Profil gewinnen auf Kosten anderer“. Margot ­Käßmann hat so in einem Vortrag die ­protestantische Angst vor dem Feiern ­formuliert.

Mit der Rede vom „Reformations­gedenken“ hat sich die katholische Perspektive von der Reformation als Schuldgeschichte durchgesetzt. Folgenlose Bußrituale wie das jüngst ­veröffentlichte Papier „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen“ der Evangelischen Kirche und der Deutschen Bischofskonferenz gehören ­dazu. Soll und wird das von 2017 in Erinnerung bleiben? Reformation als Geschichte der Spaltung, der kirchlichen und kulturellen Zersetzung – das war schon immer die katholische Lesart. Zu feiern sei da nichts.

Doch welcher Einheit trauert (nicht nur) die katholische Kirche eigentlich hinterher? Dem totalitären Blütentraum einer „Rückkehrökumene“ ­unter einem in Lehraussagen unfehlbaren Papst? Einer Einheitskirche, die sich mit dem Geschenk der Vielfalt auf bestürzende Weise schwertut? Dass die Christenheit in die Moderne gefunden hat, verdankt sie der Reformation – trotz all der schrecklichen Verirrungen. Die westliche Moderne mit ihren freiheitlich-demokratischen Ordnungen, ihrem mehr oder weniger ausgeprägten Laizismus, mit ihren Diskursen und Problemen ist das getaufte Kind der neuzeitlichen lateinisch-christlichen Welt und ihrer inneren Auseinandersetzungen.

Es geht also nicht darum, Vielfalt abzulehnen und auszugrenzen, sondern zu bejahen und zu integrieren. Glaube und Pluralität: Genau hier verläuft die Spur, die in die Zukunft führt – die Zukunft der Kirche und die Zukunft der Welt. Protestanten ist nicht nur 2017 mehr Mut zu wünschen, diese Erkenntnis deutlicher und selbstbewusster zur Sprache zu bringen.

Der Autor ist Redakteur des ­„Sonntagsblatts – Evangelische ­Wochenzeitung für Bayern“.

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