Die Reformation amüsiert ihre Kinder

von Klaus Koch

Klaus Koch

Eine perfekte Welt kann es nicht geben. Jeder Mensch hat und macht Fehler. Dennoch hat jeder Mensch das Recht, unabhängig von seinen Taten und Ansichten mit Anstand und Respekt behandelt zu werden. Was in einfachen Worten fast banal klingt, ist ein Kernstück der reformatorischen Botschaft: In einer noch nicht erlösten Welt ist der sündige Mensch allein durch Gottes Gnade gerechtfertigt. Eine Botschaft, die radikal allen entgegentritt, die eine Nation überhöhen, Fremde herabwürdigen oder vom ökonomischen Erfolg auf den Wert eines Menschen schließen. Wenn die Protestanten in diesem Jahr den 500. Jahrestag der Reformation feiern, passt diese Botschaft also gut zu den politischen und gesellschaftlichen Diskussionen.

Nach dem jahrelangen Anlauf, den die evangelische Kirche auf das Jubiläum nahm, stellt sich jedoch die Frage, ob es ihr gelingt, ihre Glaubensbotschaften in die Gesellschaft hineinzutragen. Und es stellt sich die Frage, ob sie es will, denn bisher lagen die Schwerpunkte anders. Auf der einen Seite problematisiert die Kirche ihr Jubiläum in gut protestantischer Manier. Die Rede ist vom Heilen der Verletzungen, die sich Katholiken und Protestanten gegenseitig zugefügt haben, und zu Recht wird der Judenhass Luthers problematisiert. Begleitet werden diese Demutsgesten auf der anderen Seite von viel Marketingaufwand und dem Bemühen, mit Veranstaltungen, Luthersprüchen und -devotionalien zu amüsieren.

So ganz scheint die Kirche dabei ihrer Botschaft, dass der Mensch von seinen Werken zu trennen sei, nicht zu glauben. Stolz sonnt sie sich im Glanze von Prominenten aller Art, die sie zu Reformationsbotschaftern macht. Da darf der Fußballtrainer Jürgen Klopp auf Plakaten sagen, er möge Luther, weil der für die Unterprivilegierten und Ausgeschlossenen gekämpft habe. Das hat der zu Luthers Zeiten unterprivilegierte Bauernstand wahrscheinlich so nicht gesehen. Und Klopp steht zudem für eine Branche, in der wie in kaum einer anderen der Wert des Menschen mit seinem Marktwert zusammenfällt, Spieler gehandelt werden wie Waren. Aber das stört die Kirche kaum, zu groß ist wohl der Stolz darauf, dass sich so eine populäre Figur zu ihr bekennt. Immerhin wirbt er für Autos und alkoholfreies Bier. Warum nicht auch für Luther?

Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild. Jeder Mensch hat eine unverlierbare Würde, egal, woher er kommt, was er sagt oder tut. Auch Gegner haben diese Würde, sogar Hetzer und Rassisten. Hinter dieser Botschaft könnten sich in diesem Reformationsjahr Menschen versammeln, die gegen den Hass in der Gesellschaft, gegen Neid, Fremdenfeindlichkeit und den Vorrang des Ökonomischen aufbegehren. Doch bisher hat die Kirche diese Chance noch nicht recht genutzt. Zu oft verstellt sie ihre Botschaft durch Nabelschau oder Effekthascherei. Beides hat aber kaum gesellschaftliche Relevanz.

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