Viel zu zahme Kritik der deutschen Politik

von Klaus Koch

Klaus Koch

Es gibt viele Anekdoten über den Journalistenalltag. Eine der schönsten geht so: Ein Chefredakteur stürmt morgens ins Büro und fragt seine Sekretärin: „Hat sich heute schon jemand beschwert?“ – „Nein“, antwortet diese. „Dann haben wir gestern etwas falsch gemacht.“ Es gehört zum Berufsalltag des Journalisten, dass er kritisiert, manchmal auch verspottet oder gar beleidigt wird. Der Schriftsteller Gustav Freytag hat es auf den Punkt gebracht: Alle Welt klagt über den Journalismus, aber jedermann möchte ihn für sich benutzen.

Politiker wie Helmut Kohl, Franz-Josef Strauß oder Helmut Schmidt haben sich immer wieder an der Journaille abgearbeitet, mal deftig, mal ironisch, mal arrogant. Im Prinzip sind sie so mit Journalisten umgegangen wie diese mit ihnen. Ein Grund, sich um die Pressefreiheit zu sorgen, waren diese Scharmützel nicht. Ganz anders sieht es derzeit in der Türkei aus. Über 100 Journalisten sitzen dort in den Gefängnissen. Verhaftet wurden sie unter den abstrusesten Vorwürfen. Doch getan haben sie nur eines: kritisch berichtet. Auf dem Weg zur Diktatur sind es immer zuerst die Meinungs- und die Pressefreiheit, die eingeschränkt oder abgeschafft werden. Diese Entwicklung in der Türkei ist von Deutschland aus kaum zu verhindern.

Aber dass der türkische Ministerpräsident unbehelligt unter dem Jubel Tausender Deutsch-Türken für die Pläne Erdogans werben darf, ist ebenso verstörend wie die viel zu zahme Kritik deutscher Politiker an diesem Schauspiel. Immerhin hat die Türkei zur gleichen Zeit den Journalisten einer großen deutschen Zeitung eingesperrt. Eine Demokratie muss viel ertragen können. Dass sie zum Außenposten einer heranwachsenden Diktatur wird, gehört nicht dazu.

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