Satire lebt von der Grenzverletzung

von Gerd-Matthias Hoeffchen

Gerd-Matthias Hoeffchen

„Was darf Satire? Alles.“ Dieser berühmte Satz von Kurt Tucholsky wird derzeit wieder hervorgeholt und neu diskutiert. Ob Mohammed-Karikaturen, eine nackte Frau als Jesus-Darstellerin am Kreuz, Jan Böhmermanns Schmähgedicht über den türkischen Staatspräsidenten Erdogan oder das Titelbild eines deutschen Nachrichtenmagazins, das Donald Trump mit dem abgeschlagenen Haupt der Freiheitsstatue in den Händen zeigt – oft genug regt sich da ein unmittelbares Befremden, ein Widerwille, wenn sich jemand auf „Satire“ beruft.

Ohne hier auf den Einzelfall einzugehen, eines muss festgehalten werden: Satire ist wichtig. Sie lebt von der Grenzverletzung. Sie darf schmerzhaft sein. Um auf etwas hinzuweisen, was nicht übersehen werden darf. Mit einem ganzen Zirkus voll greller Blinklichter. Um aufzurütteln, wo man sich nicht abfinden darf. Darf Satire also alles? Jedenfalls ist sie kein Freibrief für blindes Herumwüten. Wer sich auf „Satire“ beruft, muss auch bereit sein, die anschließende Diskussion auszuhalten. Notfalls vor Gericht.

Interessant ist der Blick von der anderen Seite: Wer regt sich denn über Satire auf? Schaut man genauer hin, zeichnet sich ein Muster ab. Erdogan. Putin. Orban. Trump. Lukaschenko in Weißrussland. Mugabe in Simbabwe. Die Liste ließe sich lang, sehr lang fortsetzen. Aber schon hier erkennt man das Muster: Die Unfähigkeit, ­Satire zu ertragen, scheint geradezu ein Merkmal für Despoten zu sein.

Daraus kann man einen Grundsatz ableiten: Werde misstrauisch, wenn jemand keine Kritik verträgt. Ob in der Nachbarschaft. Der Familie. Im Freundeskreis. Im Stadtrat. Oder in einer Kirchenleitung. Denn dahinter kann man stets eine tief sitzende Angst vermuten. Die Angst, man könne bei den anderen nicht groß genug herauskommen. Diese Angst ist gefährlich. Und zwar umso gefährlicher, je mehr Macht jemand hat. Diese Angst schränkt den Blick ein. Trübt das Urteilsvermögen. Macht ungerecht und unberechenbar.

Bemerkenswert ist ein Ansatz in der Bibel. Im Markusevangelium sagt ­Jesus: „Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein“ (Markus 10, 43). Das stellt die Dinge auf den Kopf: Man muss gar nicht versuchen, sich groß zu machen. Man muss nicht glänzen. Man muss nicht immer ­darauf beharren, dass nur die eigene Weltsicht zählt. Im Gegenteil: Wer ­leiten will, muss dienen.

Also: locker bleiben. Im wahrsten Wortsinn Souverän sein. Dazu zählt auf jeden Fall: Kritik zulassen. Mehr noch: Wer leitet, muss Kritik regelrecht einfordern. Ernsthaft darauf ­hören. Sie bedenken. Und gegebenenfalls auch annehmen und versuchen, sie umzusetzen. Das bedeutet nicht, dass man sich automatisch mit Beleidigungen abfinden müsste. Es gibt Grenzen, und die müssen immer ­wieder neu ausgehandelt werden.

Der Autor ist Chefredakteur der Zeitung „Unsere Kirche“ in Bielefeld.

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