Zu viel kirchlicher Dienst an der Politik

von Martin Schuck

Martin Schuck

Eine Außenwahrnehmung ganz besonderer Art sollte allen Christen in ökumenischer Eintracht zu denken geben. Die Monatszeitschrift „Jüdische Rundschau“ attestiert in ihrer Märzausgabe den Kirchen zunehmende Belanglosigkeit, weil sie einen zu engen Schulterschluss mit der Regierung übten. Der frühere Feuilleton-Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und heutige Ressortleiter beim Magazin „Cicero“, Alexander Kissler, diagnostiziert beim Blick auf die politischen Auftritte der Spitzen der Deutschen Bischofskonferenz und des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kardinal Reinhard Marx und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, eine „politisch-klerikale Kohabitation“, die den „Wandel der Kirche zum Milieuverein“ vollende.

Der Anlass mag banal sein: Kissler berichtet, Bundeskanzlerin Angela Merkel erhalte demnächst einen Preis, der nach dem Zentrumspolitiker Eugen Bolz benannt sei, einem von den Nationalsozialisten ermordeten katholischen Widerstandskämpfer. Prämiert werden solle Merkels Einsatz gegen „rechtsradikale Bewegungen“, für die „humanitären und christlichen Werte der Europäischen Union“ und für „eine Willkommenskultur“. Darauf fragt Kissler nach, ob die Selbstverständlichkeit, dass Politiker ihre Arbeit leisten, eine solche Auszeichnung rechtfertige. Die Tatsache aber, dass Reinhard Marx als „Lobredner“ auf Angela Merkel vorgesehen sei, zeige den Status des Ganzen als „politisch-klerikale Milieupflege“ an.

Kissler steigert seine zufällig scheinende Beobachtung zur Grundsatzkritik, indem er Marx und Bedford-Strohm „der Kanzlerin treueste Fanboys“ nennt und den Kirchen „frohen Dienst an der Exekutive“ bescheinigt, weil sie immer genau die politische Meinung in die Öffentlichkeit trügen, die der Regierung zupasskomme – ganz gleich, zu welchem Thema. Da diese Diagnose trotz aller Polemik einen wahren Kern hat, ist zu fragen, wie sich das Verhältnis vor allem der EKD zur Politik verändert hat.

Vor einem guten Jahrzehnt hat der damalige Ratsvorsitzende Wolfgang Huber die EKD als „Herzschrittmacherin der Demokratie“ bezeichnet. Was Huber im Blick auf das späte Bekenntnis der EKD zum parlamentarischen System mit ihrer 1985 erschienenen Demokratiedenkschrift als Lob verstand, kann in der heutigen politischen Konstellation leicht zum Problem werden. Ein Herzschrittmacher erfüllt in dem Moment perfekt seine Funktion, wenn das Herz so regel­mäßig schlägt, dass der Patient den Schrittmacher nicht mehr bemerkt. So ähnlich scheint es der EKD zu gehen: Sie ist da, hat ihre öffentliche Präsenz perfekt mit dem politischen System synchronisiert und büßt ­genau deshalb ihre Wahrnehmbarkeit ein. Da sehnt sich mancher nach den Zeiten zurück, als die Protestanten hin und wieder im politischen ­Betrieb noch für Herz-Rhythmus-Störungen sorgten.

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