Arme von heute sind Flüchtlinge von morgen

von Stephan Bergmann

Stephan Bergmann

Jubeln statt Jammern. Dankbar sollten wir Deutsche für 25 Jahre Wiedervereinigung sein. Ein Geschenk des Himmels. Dankbar, dass es trotz Krise, Krieg und Terror den meisten von uns gut geht. Umso mehr sollte Deutschland auch etwas zurückgeben, indem es sich für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit in der einen Welt stark macht. Zu Recht fordert Bundespräsident Joachim Gauck mehr deutsches Engagement in interna­tionalen Krisen.

Dabei geht es ihm keineswegs nur um die militärische Option als Ultima Ratio, sondern auch um Diplomatie und zivile Konfliktlösung. Es ist richtig und gut, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Spitze der westlichen Friedensvermittler im Ukraine-Konflikt gesetzt hat. Und es ist ebenso zu begrüßen, wenn Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Atomstreit mit Teheran nicht auf Konfrontation setzt oder wenn er der noch jungen Demokratie in Tunesien auf die Sprünge hilft. Zivile Konfliktlösung und vor allem Kriegs- und Terrorprävention sollten zum Markenzeichen Deutschlands werden.

Dafür müsste Berlin allerdings weit mehr Mittel als bisher bereitstellen. Die vorausschauende Hilfe vor Ort braucht einen langen Atem – und nicht selten kommt sie zu spät, wie uns das derzeitige „Flüchtlings­prob­lem“ zeigt. So bewundernswert hierzulande das Engagement von Bürgern und Kommunen in der Flüchtlingshilfe ist, so dringend muss dieses von notfalls auch militärisch abgesicherten Friedensinitiativen in den Herkunftsländern flankiert werden.

Ursache und Wirkung sind allerdings auch nicht im Fall globaler Krisenprävention zu trennen, wo noch mehr Weitblick gefordert ist: Armut, Hunger und Bildungsschranken in der Dritten Welt bergen zunehmendes Konfliktpotenzial zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden.

Es kann nicht sein, dass es immer noch 800 Millionen Hungernde auf der Welt gibt, während es bei uns oft nur um Luxusprobleme geht. Es kann nicht sein, dass der weltweite Klimawandel mit Dürren und steigendem Meeresspiegel besonders die Entwicklungsländer bedroht und damit Hunger und Not verschärft, während für den nächsten Klimagipfel in Paris wieder nur wenig Hoffnung auf bedarfsgerechte Umwelthilfen für die armen Länder besteht. Es kann nicht sein, dass die Finanzkrisen des Westens gerade auch die Dritte Welt in ihrer Entwicklung bremsen, während dort zugleich internationale Agrarkonzerne die Kleinbauern verdrängen.

Die globale Gerechtigkeitsfrage wird zur zentralen Herausforderung für den Weltfrieden werden. Die Armen von heute sind die Flüchtlinge von morgen. Zu Recht erheben unsere Kirchen schon lange ihre mahnende Stimme angesichts des wachsenden Nord-Süd-Gefälles. Abseits der ­aktuellen Krisen besteht auch hier dringender Handlungsbedarf. Wir alle haben nur die eine Welt.

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