Neue Chancen am sicheren Ort

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge finden in evangelischen Einrichtungen der Pfalz neues Zuhause

Haben einen guten Draht zueinander (von links): Mukhtar, Ali, Hans-Jürgen Grötzinger vom CJD und Mohamed. Foto: Hoffmann

Armut, Perspektivlosigkeit sowie die ständige Angst, vom Militär eingezogen zu werden: Darunter leiden hunderttausende Menschen in Eritrea. Isoliert von seinen Nachbarn und mit harter Hand geführt, wird der Staat hinter vorgehaltener Hand das Nordkorea Afrikas genannt. Jeder Eritreer kann jederzeit zum Militärdienst verpflichtet werden. Wer sich weigert, wird bestraft. „So kann und möchte ich nicht leben, deshalb bin ich nach Europa gekommen“, begründet der 18-jährige Mohamed, der seit letztem Jahr im Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands (CJD) Rheinland-Pfalz/Mitte lebt, seine Entscheidung, zu fliehen.

Das in Wolfstein beheimatete CJD betreut insgesamt 25 sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in ihren Einrichtungen. Mit unterschiedlichen Betreuungskonzepten geht das CJD auf die Jugendlichen ein. Sie sind sowohl in gemischten als auch in speziell für Flüchtlinge eingerichteten Wohngruppen aufgeteilt. „Die jungen Leute werden gleich nach ihrer Ankunft in den Alltag integriert“, sagt Michael König, Abteilungsleiter der Motivationsgruppen Migration. Gleich am nächsten Tag geht es für die jungen Leute in den einrichtungsinternen Sprachkurs.

Ein Jahr lang konzentrieren sich die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zunächst auf den Spracherwerb. Vier Stunden täglich werden sie unterrichtet, nach dem Mittagessen geht es dann mit der Praxis weiter. In regelmäßig wechselnden Praktika werde den Jugendlichen arbeitsbezogen die deutsche Sprache vermittelt, erklärt Harald Luft, Gesamtleiter des CJD Rheinland-Pfalz/Mitte. Im sogenannten arbeitsweltbezogenen Spracherwerb lernen sie in Schreinereien, Gärtnereien oder Malerbetrieben die Arbeitswelt kennen. Nach Erreichen des Sprachniveaus B1 sind sie berechtigt, den Hauptschulabschluss zu machen. Seinen ersten Schultag hat Mohamed schon hinter sich und ist hoch motiviert: „Ich möchte Elektriker werden“, sagt er.

Unter dem Motto „Neue Chancen am sicheren Ort“ möchte das CJD erreichen, dass die oft mehrfach traumatisierten jungen Menschen sich sicher fühlen, sagt Hans-Jürgen Grötzinger, Gruppenleiter der Wohngruppe Wingertsberg, in der Mohamed untergebracht ist. Mit Aktivitäten, wie gemeinsamem Kochen, Gruppenabenden und persönlichen Gesprächen, versuchen die Betreuer eine Vertrauensbasis zu schaffen. Der Fokus der Maßnahmen soll dabei nicht nur auf der beruflichen Vorbereitung der jungen Menschen liegen. „Die Jungs dürfen und sollen auch ihr Leben genießen und Spaß haben“, betont der Pädagoge.

Mit Mohamed leben noch zwei weitere minderjährige Flüchtlinge in der Wingertsberg-WG. Der 17-jährige Mukhtar aus Somalia ist erst seit ein paar Monaten in der Gruppe, der gleichaltrige Ali aus Afghanistan seit einem Jahr. Beide sind vor dem Krieg geflohen und haben eine beschwerliche Reise hinter sich: viele Kilometer Fußmarsch, im Schlauchboot nach Griechenland, im Schiffscontainer eingepfercht nach Italien. Das hinterlässt Spuren, weiß Harald Luft. „Daher legen wir auf Traumapädagogik großen Wert“, betont er.

Die Aufnahme der minderjährigen Flüchtlinge verläuft in drei Phasen, erläutert Michael König. Bei der vorläufigen Inobhutnahme wird eine erste Ge­sundheits­über­prü­fung vorgenommen und versucht, das Bleiberecht des Jugendlichen zu klären. Außerdem wird geprüft, welches Jugendamt zuständig ist. Die zweite Phase, das sogenannte Clearing, dauert etwa acht Wochen. In dieser Zeit werden die Asylverfahren eröffnet und die wichtigsten Fragen geklärt, wie der Grund für die Flucht, die familiäre Situation oder die psychosoziale Belastung der Jugendlichen.

Danach wird ihnen ein Amtsvormund zugeteilt, und sie kommen in eine Einrichtung, die der Lebenssituation des Jugendlichen angepasst ist. Die Verteilung wird ab Anfang nächsten Jahres wie bei den erwachsenen Asylsuchenden nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel erfolgen, sagt König. Dieser sieht vor, zwei Drittel der Ankömmlinge über die Finanzkraft und ein Drittel über die Einwohnerzahl eines Bundeslands entsprechend an die Kommunen zu verteilen, erklärt Harald Luft. Experten in Rheinland-Pfalz erwarteten als Konsequenz einen vierfachen Anstieg der Zahl minderjähriger Flüchtlinge. Abgeschoben werde keiner, doch der rechtliche Aufenthaltsstatus sei oft lange unklar.

Auch Mojtiba, von all seinen Freunden und Betreuern „Mo“ genannt, hat eine beschwerliche und traumatische Flucht aus dem Iran hinter sich. So musste er sich auf dem Weg nach Europa in Radkästen von Lastkraftwagen zwängen, um nicht erwischt zu werden. „Manche Erlebnisse waren lustig“, sagt der mittlerweile 18-Jährige, „aber vieles war einfach nur schrecklich.“ Näher möchte er darauf auch nicht eingehen. In der WG Tilburg, einer Jugendeinrichtung der Diakonissen Speyer-Mannheim, ist der junge Afghane mittlerweile heimisch geworden. „Die Flucht hat sich auf jeden Fall gelohnt“, resümiert er.

Mit 15 Jahren hat er sich auf den Weg in ein besseres Leben gemacht. Er wohnte bei seinem Onkel im Iran, doch hatte er dort als Afghane keinerlei Perspektive. Den Schulbesuch, der für Ausländer kostenpflichtig ist, konnte er sich nicht leisten und musste daher in einer Fabrik schuften. Zurück in seine Heimat traute er sich wegen der zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen nicht. Also blieb ihm nur die Flucht. Heute könne Mo stolz auf sich sein, sagt seine Betreuerin Stefanie Knab: Er hat seinen Realschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 1,8 geschafft. „Jetzt mache ich erst einmal Wirtschaftsabitur“, sagt Mo. Er möchte gerne hier bleiben und studieren.

Bei den Diakonissen Speyer-Mannheim werden die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zu zweit in eine der vier Jugendeinrichtungen verteilt. Insgesamt gibt es acht Plätze pro Gruppe, berichtet der Leiter des Fachbereichs Kinder und Jugendliche, Rolf Schüler-Brandenburger. Mit den jungen Flüchtlingen hätten sie bisher gute Erfahrungen gemacht. Der integrative Charakter der Jugendmaßnahme unterstütze eine schnelle Eingliederung der Jugendlichen in den Alltag. Vor drei Jahren seien die ersten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge angekommen, die meisten von ihnen stünden mittlerweile in einem Ausbildungsverhältnis oder besuchten noch die weiterführende Schule.

„Wenn wir die Kids, die uns zugewiesen werden, von der Erstaufnahmestation in Trier abholen, sind viele zunächst sehr verschüchtert“, erzählt der Psychologe und Psychotherapeut. Doch wenn sie ihre neuen Zimmer sähen, strahlten ihre Augen vor Freude und Dankbarkeit. Dies zeige sich vor allem in ihrer oft ungebremsten Motivation, in Schule oder Ausbildung schnell vorwärtszukommen. Zwar sei es oft schwierig, die Klassenstufen der Jugendlichen einzuschätzen, aber wenn möglich würden sie schon gleich am folgenden Tag zur Schule geschickt. Parallel dazu erhalten sie einrichtungsinternen Sprachunterricht.

Auch die Evangelische Heimstiftung Pfalz betreut minderjährige Flüchtlinge. In fünf von sieben ihrer in der ganzen Region verteilten Einrichtungen seien zurzeit 20 Jugendliche untergebracht, sagt Pressesprecher Martin Müller. Die Altersspanne liege bei 13 bis 18 Jahren. Bei den Herkunftsländern lägen vor allem Afghanistan, Eritrea und Somalia weit vorne. Seit 2011 betreuen sie junge Flüchtlinge mit verschiedenen Betreuungskonzepten. Der Fokus liegt, wie auch bei den anderen beiden sozialen Einrichtungen, auf dem Training der Alltagsbewältigung und -strukturierung. Charlotte Lisador

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