Das Maß aller Dinge

Prominenz aus Maikammer: Der Klappmeter ist eine pfälzische Erfindung

Würdigung der Brüder Ullrich und ihrer Erfindung: Klappmeter-Denkmal von ­Daniel Moritz Lehr und Lucie Wegmann am Ortseingang von Maikammer. Foto: LM

Aus Alt mach Neu: Stabila-Geschäftsführer Ulrich Dähne zeigt einen ­historischen Gelenkmaßstab neben Beispielen aus dem aktuellen Messgerätesortiment. Foto: VAN

Haben sich als Geschäftsmann und Erfinder ideal ergänzt: Die Brüder Franz und Anton Ullrich (ganz links). Foto: Stabila

von Charlotte Lisador

Er ist praktisch, er ist handlich – und eine original Pfälzer Erfindung: der Klappmeter. So ziemlich jeder klassische Handwerker trägt einen bei sich. Fast jeder deutsche Haushalt ist mit dem meist zwei Meter langen, einklappbaren Zollstock ausgestattet. Im beschaulichen Maikammer, einer 4300 Einwohner zählenden Gemeinde an der Deutschen Weinstraße, entwickelte Anton Ullrich im Jahr 1886 einen Gelenkmaßstab mit einrastender Federsperre, der nur drei Jahre später bei der Weltausstellung in Paris zum Welterfolg werden sollte.

Mit dem Landhandel, den Vater Leonard Ullrich 1820 gegründet hatte, fängt alles an. Schon als Junge hilft Anton, 1825 als ältester von zwei Söhnen geboren, im Geschäft mit, während der fünf Jahre jüngere Bruder Franz die höhere Schule besucht. 1851 übernimmt Anton den väterlichen Betrieb, doch eine wirtschaftliche Krise zwingt ihn dazu, sich alternative Geschäftsmöglichkeiten auszudenken, berichtet Judith Ziegler-Schwaab. Die Journalistin hat sich über viele Jahre intensiv mit der Geschichte der beiden Brüder, die lange Zeit nicht in der Maikammerer Ortschronik auftauchte, auseinandergesetzt.

Die wirtschaftliche Alternative Anton Ullrichs zeigte sich in der Fertigung von Gelenkmaßstäben, einer Idee, die ihn schon seit einem Schreinereibesuch in seiner Kindheit begleitet. Das hat Ziegler-Schwaab bei Gesprächen mit dessen Urenkel Ulrich Mengerle und Recherchen im Ullrich’schen Familienarchiv herausgefunden. Aus einer zunächst kleinen Werkstatt entwickelt sich also die erste Meterfabrik Deutschlands. 1865 kommt der erste Gelenkmaßstab auf den Markt. Das Geschäft läuft an, und Franz wird Teil des Geschäfts. „Anton war eher der Tüftler, sein Bruder der Geschäftsmann“, erzählt die Journalistin weiter. So hätten sich beide ideal ergänzt.

Die Erfindung, die der kleinen Fabrik den endgültigen Durchbruch bringen sollte, konnte der Öffentlichkeit allerdings erst 30 Jahre später präsentiert werden. Jahrelang tüftelte Anton an ­einem einrastenden Federgelenk, das Maßstäbe künftig so zusammenhalten sollte, dass sie auch in voller Länge starr gehalten werden können, sagt Ziegler-Schwaab. 1886 ist es dann so weit: Die Brüder Ullrich lassen sich die „Neuerung an Gelenkmaßstäben mit Federsperrung“ patentieren. Auf der Weltausstellung 1889 in Paris findet die Maikammerer Erfindung schließlich reißenden Absatz.

Der wirtschaftliche Erfolg lässt nach Angaben Ziegler-Schwaabs nicht lange auf sich warten: Die Aufträge schießen in die Höhe, und das kleine Unternehmen muss expandieren. Noch im Jahr des Triumphs in Paris gründet Gustav Ullrich, der Sohn von Franz Ullrich, im südpfälzischen Annweiler am Trifels ebenfalls eine Meterfabrik, aus der das heute noch Klappmeter produzierende Unternehmen Stabila hervorging. In Kooperation mit dem Unternehmen seines Onkels Anton in Maikammer beginnt auch Gustav mit der Produktion und Vermarktung von Maßstäben. 1890 siedelt sich auch Franz in Annweiler an. Anton bleibt in Maikammer technischer Direktor und Hauptaktionär, bis sein Sohn August ihm in die Unternehmensleitung folgt.

1891 stirbt Franz Ullrich, vier Jahre später sein Bruder. Der Erste Weltkrieg lässt den großen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bald versiegen. Die Ullrich’schen Werke müssen schließlich auf Rüstungsproduktion umstellen. 1918 gibt man in Maikammer die Maßstabsfertigung auf. 1925 stirbt August Ullrich. Danach wird es um die Firma still. 1928 geht das Unternehmen in Konkurs. Die Geschäfte in Annweiler dagegen werden fortgeführt. Mit Erfolg, schließlich ist Stabila als Messgeräte-Spezialist heute in vielen europäischen Ländern Marktführer.

Das Patent zur „Neuerung an Gelenkmaßstäben mit Federsperrung“ und ein Ur-Zollstock liegen noch heute im Safe des Unternehmens, verrät Ulrich Dähne, der seit Januar 2014 Geschäftsführer der Stabila Messgeräte Gustav Ullrich GmbH ist. Dieses historische Modell sei aber noch nicht mit der revolutionären Technologie der Federsperrung ausgestattet gewesen.

Bis heute ist das Unternehmen in Familienbesitz. Die Nachfahren des Gründers halten seit 126 Jahren dessen Anteile und sind aktiv im Beirat der Firma Stabila vertreten, der alle drei Monate zusammenkommt. Dort werden gemeinsam mit der Geschäftsführung Entscheidungen herbeigeführt und insbesondere über Innovationen diskutiert.

Bei Stabila arbeiten weltweit 500 Mitarbeiter, 300 davon am Firmensitz in Annweiler. Zu ihren Produkten gehören neben dem Klappmeter auch andere Messwerkzeuge, wie die Wasserwaage, die das wichtigste Werkzeug in der Produktpalette ist. Auch die moderne Laser-Messtechnologie ist ein wichtiger Zweig des Unternehmens. Die Meterstäbe werden seit 1993 aus Platz- und Kostengründen in einer Zweigstelle in Tschechien hergestellt. Dort werden heute pro Jahr mehr als zehn Millionen Metermaße produziert. Bedruckt werden sie in Annweiler.

In seiner Urform ist der Klappmeter, wie wir ihn heute kennen, erhalten geblieben. Er wurde über die Jahrhunderte jedoch technisch verfeinert. „Der Einrastmechanismus wurde natürlich perfektioniert sowie auch die Geradlinigkeit des zusammengeklappten Maßstabs auf der seitlichen Fläche“, erklärt Dähne. Die Druck- und Messtechnik hat sich über die Jahrzehnte hinweg deutlich verbessert. Mittlerweile hat das Unternehmen ein Kunststoffgelenk entwickelt, das es ermöglicht, die einzelnen Lättchen des Metermaßes noch enger zueinander zu bringen und somit die Fläche für den Werbedruck zu ebnen.

Da der Klappmeter ein praktischer Alltagsgegenstand ist und eine recht große Druckfläche aufweist, wird er gerne als Werbemittel genutzt. 80 Prozent der produzierten Metermaße werden als Werbemittel verkauft. Dafür werden häufig die Produkte mit Kunststoffgelenk verwendet, da sie optisch ansprechender sind, sagt Dähne. Für den Handwerker sei eher ein Zollstock mit geklammerten Gelenken geeignet. „Er ist qualitativ hochwertiger, weil mehr Stabilität und Biegsamkeit gewährleistet ist“, erklärt der Geschäftsführer.

Hergestellt wird das Messwerkzeug noch immer aus Buchenholz. Der Naturwerkstoff muss, um für die Produktion zu taugen, sorgfältig gelagert, mehrfach getrocknet und geschnitten werden. „Es ist eine Kunst, das Holz so hinzubekommen“, merkt Dähne an. Es brauche viele Schritte, um einen Baumstamm zum perfekten Maßwerkzeug zu machen. Fräsen, lackieren, die Messskala aufdrucken und eine letzte Lasur auftragen – all das wird im tschechischen Werk erledigt.

Beim Großteil der europäischen Handwerker ist das Gelenkmaß ein ständiger Begleiter. Das klappbare Werkzeug werde von vielen geschätzt, weil es aus der Arbeitshose immer schnell zur Hand sei, sagt Dähne. Die digitalen Messgeräte zeigten nicht bei jeder Gelegenheit einen größeren praktischen Nutzen als das manuelle Werkzeug. „Die Länge eines Tisches misst sich auch heute noch am besten mit einem normalen Metermaß“, ist er überzeugt. Weltweit würden rund zehn Millionen Klappmeter verkauft.

Obgleich die Gelenkmaßproduktion seit fast 100 Jahren nicht mehr von Maikammer ausgeht, ist die Erfindung des Klappmeters in der Gemeinde noch sehr präsent. „Wir sind stolz auf die Innovation der Ullrichs“, sagt der Bürgermeister der Gemeinde, Karl Schäfer. Es wurde sogar ein Klappmeter-Denkmal errichtet, das auf einem Verkehrskreisel am südlichen Eingang der Ortsgemeinde steht. Die Künstler Daniel Moritz Lehr und Lucie Wegmann haben das Kunstwerk im Rahmen der Kulturtage des Kreises Südliche Weinstraße im Jahre 2000 geschaffen, berichtet Schäfer.

Auch die ortsansässige Realschule plus hat den beiden Erfindern ein Zeichen des Gedenkens gesetzt: Sie trägt seit Juli dieses Jahres den Namen „Gebrüder-Ullrich-Realschule plus Maikammer-Hambach“. Sogar die Schülerzeitung geht mit ihrem Titel „Der Klappmeter“ auf die Namensgeber ihrer Schule zurück.

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