Das Smartphone ist selbst auf dem Klo dabei

Die Zahl der Jugendlichen mit Anzeichen einer Mediensucht steigt – Der Beratungsbedarf für Angehörige und Betroffene ist größer denn je

Süchtig nach dem Klick: Jugendliche verbringen immer mehr Zeit im Netz. Foto: pixelio

Facebook, Spiele, News und Pornos – vier Stunden sind Jugendliche mittlerweile durchschnittlich am Tag online. Egal, ob zu Hause oder unterwegs: Das Smartphone ist selbst auf dem Klo dabei. Die Anzahl der Onlinejunkies steigt. Als internetsüchtig gelten laut offiziellen Zahlen gerade einmal 560 000 Menschen deutschlandweit. Die Dunkelziffer dürfte jedoch höher liegen.

Sommerferien für Saskia H.: Schon nach dem Aufstehen schaltet die 17-Jährige ihr Smartphone an, checkt ihren Facebook-Account und ihre Whats­App-Nachrichten. Sie geht auf GMX, Instagram, YouTube und googelt, was ihr gerade noch so einfällt. Dann geht sie kurz aus dem Zimmer und schaut, was beim Rest der Familie so läuft. Dann wieder Facebook – obwohl es das Gleiche ist wie vorher. Dazwischen ein Ausflug mit der Familie, ein Kinobesuch mit den Brüdern, ein Shoppingnachmittag. Währenddessen oder spätestens danach wieder: Handy, Laptop, Internet. „Ich würde meine Zeit gerne viel sinnvoller nutzen. Wie kann ich meine Internetsucht beiseitelegen? Irgendwelche Erfahrungen, Tipps? Bitte um dringende Hilfe!“, schreibt Saskia in einem Forum zum Thema Onlinesucht.

So wie die 17-Jährige verbringen Millionen Jugendliche ihre Freizeit. Die aktuelle ARD-ZDF-Onlinestudie 2014 belegt: 14- bis 29-Jährige sind im Durchschnitt mit 233 Minuten fast vier Stunden am Tag online. Insgesamt sind die Deutschen durchschnittlich 111 Minuten im Internet. Das wichtigste Zugangsgerät ist dabei das Smartphone, gefolgt von Notebook und PC. Jeder zweite Deutsche besitzt ein internetfähiges Handy. Bei Jugendlichen ist es sogar noch weiter verbreitet: 89 Prozent aller 16-Jährigen sind im Besitz eines Smartphones. Selbst sechs Prozent der Vier- und Fünfjährigen haben ein Handy oder Smartphone – meistens das gebrauchte von den Eltern.

Doch ab wann kann man von Internetsucht sprechen? Der Begriff ist fast genauso alt wie das Internet selbst. 1995 wurde diese Bezeichnung für die Abhängigkeit vom virtuellen Datennetz erstmals vom New Yorker Psychiater Ivan Goldberg eingeführt – nur vier Jahre zuvor hatte ein britischer Physiker und Informatiker namens Timothy John Berners-Lee das World Wide Web der Öffentlichkeit weltweit zugänglich gemacht. Bereits damals beschrieb Goldberg die Abhängigkeit vom Internet als psychische Krankheit.

Internetsucht wird den Verhaltenssüchten zugerechnet. Einheitlich anerkannte Methoden zur Erfassung der Störung gibt es bislang nicht. Dabei dient die Internetsucht als Sammelbegriff. Am häufigsten bezieht sich die Sucht auf Onlinespiele wie World of Warcraft, Onlineglücksspiele und soziale Netzwerke. Weitere Gegenstände der Internetsucht sind die ungesteuerte Informationssuche, Onlinepornos oder Shoppingportale. Vor zwei Jahren erkannte die American Psychiatric Association (APA) die Onlinespielsucht erstmals offiziell als Verhaltenssucht an. Unklar ist jedoch immer noch, inwiefern hierbei von Sucht gesprochen werden kann. Diese Betätigungsfelder gelten zum jetzigen Zeitpunkt als noch nicht hinreichend untersucht.

Der Drogen- und Suchtbericht 2015 geht davon aus, dass Menschen mit krankhaftem Internetgebrauch oft auch unter einer psychischen Erkrankung leiden. Bei jenen „komorbiden Störungen“ handle es sich meist um Depressionen, ADHS, aber auch um Substanzmissbrauch, etwa von Alkohol oder Nikotin. „Die einen sagen, es gibt keine Mediensucht, die intensive Mediennutzung ist lediglich ein Ausdruck anderweitiger Störungen. Die anderen wiederum sind sicher, dass es eine Mediensucht gibt und kämpfen mit vollem Einsatz um die Anerkennung der Medien­ab­hän­gig­keit als eigenständige Krankheit“, erklärt Medienpädagoge Patrick Durner, der seit neun Jahren als Medienreferent über Internetsucht aufklärt und die virtuelle Selbsthilfegruppe „webC@re“ leitet.

Als Aufklärer sieht sich auch der Münchner Christoph Hirte. Seit acht Jahren kämpft er für eine offizielle Anerkennung der Internetsucht als Krankheit. Der Vater von drei Söhnen erfuhr 2007 von der Onlinespielsucht seines ältesten Sohns, die er sich bis heute nicht erklären kann – außer mit der Sogwirkung des Mediums.

„Unser Sohn war 22, er hatte Freunde, hat Sport gemacht, studierte – dann wurde er Testspieler von ,World of Warcraft‘ und innerhalb von acht Wochen abhängig.“ Sein Sohn zog sich zurück, war telefonisch nicht mehr erreichbar, vernachlässigte sein Studium und ließ seine Wohnung verwahrlosen. Erst jetzt, nach acht Jahren, sei der Sohn von der Sucht befreit und pflegt wieder engen Kontakt zu seiner Familie.

Die Betroffenheit der Hirtes hat sich mittlerweile zu einer umfangreichen Selbsthilfe-Initiative entwickelt. Als Gründer des Vereins „Aktiv gegen Mediensucht“ betreiben Christoph Hirte und seine Frau Christine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit, treten als Referenten in Schulen auf, halten Vorträge, geben Interviews, hatten auch einen Fernsehauftritt in der Talkshow von Günther Jauch. Über die offizielle Zahl von 560 000 Süchtigen kann Hirte nur den Kopf schütteln. „Wenn die wüssten, was in Deutschland wirklich los ist.“ Anrufe von verzweifelten Eltern, deren zehnjährige Kinder nicht mehr in die Schule gehen, weil sie auf dem Smart­phone spielen müssen. Oder 15-Jährige, die die Wohnung der Eltern zerlegen, weil diese ihnen die Internetzeiten kürzen wollen. All das bekommt Hirte zu hören.

Das Beispiel der Hirtes ist insofern typisch, als dass Internetsucht immer erst als solche erkannt wird, wenn sie sich belastend auf die Familie auswirkt, erklärt Psychologe Klaus Wölfling, Leiter der deutschlandweit ersten Ambulanz für Computerspiel- und Internetsucht der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Auch Wölfling rät zu einem stark regulierten Gebrauch der Onlinemedien – vor allem, je jünger die Nutzer sind. „Kinder und Jugendliche müssen als Erstes die richtige Welt mit allen Sinnen kennenlernen, auf einer echten Wiese sitzen, bevor sie nur das Abbild auf einem Bildschirm sehen.“ Ob jemand internetsüchtig werde, sei jedoch auch immer eine Frage der Persönlichkeit. „Bei der Internetsucht wird wie bei allen Verhaltenssüchten das Belohnungssystem aktiviert“, erklärt Wölfling. Bei manchen reichten dafür kleine Anreize wie das regelmäßige Checken des Internets. Nadja A. Mayer

Beratungsstellen in der Pfalz

Auf das Problem der Mediensucht haben auch in Rheinland-Pfalz bereits verschiedene soziale Institutionen reagiert: Die rheinland-pfälzische Landeszentrale für Gesundheitsförderung hat im Auftrag der Landesregierung 2014 das Programm „Prävention der Glücksspielsucht RLP“ ins Leben gerufen. Es koordiniert 16 regionale Fachstellen in Rheinland-Pfalz und leitet an, wie Glücksspiel- oder auch Computer- und Internetsüchtige beraten werden können.

Diese Fachstellen kümmern sich um Betroffene sowie deren Angehörige und stellen weitere Verbindungen zum Suchtkrankenhilfesystem her. So hat zum Beispiel die Fachklinik Michaelshof der Evangelischen Heimstiftung Pfalz in Kirchheimbolanden ein Therapiekonzept für Glücksspiel-, Computer- und Internetsucht entwickelt, berichtet Sibylle Reiter, Bereichsleiterin in der Suchtkrankenhilfe. Auch im Rahmen der Suchtprävention sind die Fachstellen tätig.

Auf die Pfalz verteilen sich fünf evangelische Beratungsstellen, die über einen speziell ausgebildeten Fach­berater für pathologischen – also krankhaften – PC-Gebrauch, Internet- und Glücksspielsucht verfügen. Das Diakonische Werk Pfalz ist in Kaiserslautern, Ludwigshafen, Zweibrücken und Pirmasens vertreten. Die Evangelische Heimstiftung Pfalz hält eine Beratungsstelle in Neustadt. Eine Liste aller Beratungsstellen in Rheinland-Pfalz ist im Internet unter www.lzg-rlp.de zu finden. scs

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