Kirche mit allen Sinnen erleben

Familien im Fokus der Gemeindearbeit – Beispiele aus Kirchengemeinden in Haßloch und Bad Bergzabern

Kinder und Erwachsene feiern in der Diet­rich-Bonhoeffer-Kirche in Wiesbach einen Tauferinnerungsgottesdienst. Die Kinder gestalten ihre Taufkerzen und malen Bilder zum Thema. Foto: stm

Übernachten in der Haßlocher Pauluskirche: Hinter den Kindern liegt eine aufregende Nacht in unbekannter Umgebung. Foto: LM

Die sperrangelweit geöffneten Türen des Kirchensaals geben den Blick frei auf Relikte der vergangenen Nacht: zerwühlte Schlafsäcke auf Isomatten, bunte Kissen, Kuscheltiere und Beutelchen für Persönliches. Alles, was es für eine Kirchenübernachtung braucht. Im Nebenraum der Haßlocher Pauluskirche wird schon gekichert und erzählt: 16 Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren warten gespannt auf ihr Frühstück – wohlverdiente Stärkung nach einer aufregenden Nacht.

„Erst gegen 1 Uhr morgens sind die Kinder eingeschlafen“, berichtet Katrin Füßer, die Gemeindediakonin und Organisatorin der Haßlocher Kirchenübernachtung. Die Ersten seien um kurz vor 6 Uhr auch schon wieder wach gewesen. „Obwohl die Pauluskirche eine moderne Kirche ist, gab es doch viele unbekannte Geräusche, die die Kinder beschäftigt haben“, sagt sie. „Die Orgel zum Beispiel knackt. Das hört man aber nur, wenn alles still ist.“ Unbekanntes also haben die Kinder gewagt. „Einige kennen die Kirche natürlich schon durch die regelmäßigen Gottesdienstbesuche mit ihren Eltern, andere sind zum ersten Mal bewusst in einer Kirche. Die sind vor dem Altar gestanden und haben nach oben in den hohen Raum gestaunt“, so Füßer. Mit dem Angebot der Kirchenübernachtung hat sie Kirche auch einmal anders erlebbar gemacht, „als Ort, an dem der Spaß Platz hat“, sagt sie.

Nach dem Abendbrot sei die Kirche dann zum Kino umgebaut worden, mit Beamer und Leinwand. „Wir haben ,Großer Hai, kleiner Fisch‘ gesehen“, erzählt die achtjährige Mara, mit ihrem Schlafbären Dodo in der einen und einem Nutellabrötchen in der anderen Hand, noch sichtlich beeindruckt.

Kirche mit allen Sinnen zu erleben, sei Merkmal einer familienorientierten Gemeindearbeit, betont Urd Rust, Landespfarrerin für die Kindergottesdienst-Arbeit der Evangelischen Kirche der Pfalz. Das gelte aber nicht nur für Angebote, die sich an Kinder richteten, sondern auch für Eltern und Großeltern. Nicht Inhalte, die nur intellektuell erfassbar sind, sondern eine Atmosphäre frei von Bewertung und Druck zu schaffen, sei zielgebend bei der Konzeption von Gottesdiensten für Familien. „Mitfeiern, angucken, zuhören in einem vertrauten Rahmen, mit bekannten Liedern und wiederkehrenden Abläufen, schaffen ein Gefühl der Geborgenheit in der Kirche“, sagt Rust.

Pfarrerin Angela Fabian setzt diesen Gedanken in der Kinderkirche Bad Bergzabern seit vielen Jahren um. „Es gibt feststehende liturgische Abläufe. Die Handpuppen Lucie und Ronnie gehören zum Beispiel zu jeder Predigt dazu. Sie unterhalten sich gemeinsam und in einfacher Sprache über das Gottesdienstthema“, erzählt sie. Die Idee habe sie vor über 15 Jahren von Dekan Dietmar Zoller übernommen. „Wir haben Ende der 1990er Jahre begonnen, den Gottesdienst zielgruppenorientiert anzubieten“, erinnert sich dieser. „Das Integrieren von kindgerechten Elementen in den klassischen Gottesdienst hat sich damals als Spagat erwiesen. Dann haben wir die Rahmenbedingungen, die der Situation junger Familien entgegenkommen, angepasst. Seitdem beginnt der Familiengottesdienst erst um 11 Uhr“, sagt der Dekan. Mit einem szenischen Anspiel, dargestellt von den Mitarbeitern in der Gottesdienst-Vorbereitungsgruppe, würden Botschaften auf einer anderen Ebene zum Nachdenken anregen. „Wir wollen, dass sich Kinder und Eltern gleichermaßen angesprochen fühlen“, erläutert der Dekan den Grundgedanken aus den Anfangsjahren. „Nach dem Gottesdienst treffen wir uns alle zum Brunch – Raum, um als Familie zusammen zu sein, und Raum für die Kinder, um im Garten zu spielen, während die Eltern sich untereinander austauschen können“, berichtet Fabian weiter.

In Bad Bergzabern habe man schon früh damit begonnen, gemeindepädagogische Dienste mit Referenten für die Jugendarbeit, für Familien und Senioren einzurichten, sagt Dekan Zoller. Das Gemeindehaus sei „Haus der Familie“ geworden. Angeboten würden hier für Bedürftige eine warme Mahlzeit pro Tag, aber auch Weiterbildungsangebote für Senioren und Beratung zu wesentlichen Lebensfragen durch das Diakonische Werk. Wie in Haßloch bietet auch die Gemeinde Bad Bergzabern Kinder- und Familienfreizeiten an. „Bei uns ist das eine ganze Woche im Sommer“, berichtet Dietmar Zoller. Aber auch speziell für Väter und Kinder gebe es ein Programm, sagt der Dekan. „Bei einer Kanutour zum Beispiel erleben Kinder auch einmal die Welt der Männer“, erzählt er. „Zu sehen, wie Männer zu Lösungen in Konfliktsituationen finden, ist für die Erziehung unserer Kinder unglaublich wichtig.“ Monika Stumpf

Erziehungskompetenz und Sprachfähigkeit

„Kern der familienorientierten Gemeindearbeit ist es, Eltern in deren Erziehungskompetenz zu stärken“, erklärt Ute Dettweiler, Referentin für Familienbildung der Evangelischen Arbeitsstelle Bildung und Gesellschaft in Kaiserslautern. Mit den Bildungs- und Beratungsangeboten gelte es, vorhandene Kompetenzen zu unterstützen und vor allem Räume für ein „So-sein-Dürfen“ von Eltern und Kindern zu eröffnen, sagt sie.

„Die heutige Sicht auf die Entfaltung des Einzelnen und die vorhandenen Wahlmöglichkeiten zur individuellen Lebensgestaltung haben die Gesellschaft verändert“, betont Michael Domsgen, Professor für Evangelische Religionspädagogik der Universität Halle. Familie – das Zusammenleben von Menschen mindestens zweier Generationen – sei heute nicht mehr Versorgungsgemeinschaft, sondern emotionaler Binnenraum. Hier könnten sich Menschen so zeigen, wie sie sind. „Demgegenüber ist die Kirche als gesellschaftliches Ordnungssystem in den Hintergrund getreten“, sagt er. Damit bestehe aber auch die Chance, Glauben abseits der von Macht geprägten Strukturen zu entdecken. Durch die Anforderungen des modernen Berufslebens seien Eltern auf sich selbst gestellt, um Werte und Regeln für das Zusammenleben zu entwerfen. Domsgen weist auf die Bedeutung gemeinsam erlebter Erfahrungsräume hin. Gerade in der prägenden Zeit der Kindheit sei es wichtig, mit Kirche in Kontakt zu kommen.

„Religiosität wird nicht mehr in dem Maße gelebt wie früher“, hat auch Kindergottesdienst-Pfarrerin Urd Rust beobachtet. Dies betreffe Alltagsrituale, aber auch den Umgang mit schwierigen Themen wie dem Tod. „Da fehlt es oft an Zugangswegen“, sagt sie.

„Mit unseren Angeboten zeigen wir, dass die Kirche geeignete Antworten auf Fragen zum Leben und zum Glauben hat“, meint Dekan Zoller. Familien in ihrem Glauben sprachfähig zu machen, sei für ihn eine wesentliche Aufgabe der Gemeindearbeit. most

Meistgelesene Artikel