Wo der Kantor auch die Sessions liebt

Bezirkskantoren im Porträt: Stefan Ulrich in Homburg – Vorbereitungen auf den Landeskirchenmusiktag

Fühlen sich in der Pfalz wohl: Carola und Stefan Ulrich (Fünfte und Sechster von links) sitzen inmitten der Kantorei. Foto: pv

Verglichen mit Speyer, der landeskirchlichen „Schaltzentrale“, residiert Stefan Ulrich genau am anderen Ende der protestantischen Ost-West-Achse: im Pfälzer Außenposten mit bereits saarländischem Zungenschlag. Hier arbeitet der Kantor für den Kirchenbezirk Homburg bereits seit 21 Jahren, und wer ihm bei der Arbeit über die Schulter schaut, glaubt ihm aufs Wort: „Wir haben uns von Beginn an wohlgefühlt hier, und das hat sich in zwei Jahrzehnten nicht geändert.“

Beim Aufgang zur Empore der zent­ralen Homburger Stadtkirche begleiten die Klänge eines Choralvorspiels, etwas verhalten noch. „Aber er macht prima Fortschritte“, verrät Stefan Ulrich, nachdem Pascal Schwarz, einer der „Studis“ am Kirchenmusikalischen Seminar, sich verabschiedet hat. Das Unterrichten des Organisten- und Chorleiternachwuchses gerät zuweilen etwas an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung aller Aufgaben eines Bezirkskantorats. Stefan Ulrich bestätigt das. „Ist aber dennoch enorm wichtig, denn ohne unsere Nebenamtler mit D- oder C-Prüfung wären in vielen kleineren Gemeinden kirchenmusikalisch längst die Lichter ausgegangen.“

Orts- und Szenenwechsel: Im benachbarten Siebenpfeiffer-Haus tröpfeln allmählich die Sängerinnen und Sänger der Kantorei ein. Dienstagabend ist Chorprobe, und an diesem Dienstagabend schwenkt der Fokus nach kurzer Bein-Arm- und Stimmgymnastik gleich zum unmittelbar anstehenden Landeskirchenmusiktag. Das Gebotene lässt sich bereits hören; hie und da bessert Ulrich die Intonation nach, manövriert den Bass kurz solistisch durch eine besonders knifflige Tonfolge, dann: „Nochmal im Stehen, alle drei Strophen.“ Klappt prima.

Gut 30 Stimmen zählt die Kantorei und neben den Gottesdienstauftritten gestaltet das Ensemble auch ein bis zwei Konzerte pro Jahr, zusammen mit der Radiophilharmonie Saarbrücken-Kaiserlautern („eine in Jahren gewachsene, sehr angenehme Zusammenarbeit!“) oder auch mal in Kooperation mit dem Homburger Vokalensemble. Das gibt’s nämlich obendrein. Es erlebte seine Geburtsstunde 1996, ein Jahr nach Ulrichs Dienstantritt, und ist eine Art überregionaler Bezirkskantorei; ein Pendant zur Stadtkantorei mit anderer Ausrichtung und anderer Besetzung. Seit etlichen Jahren leitet Ulrichs Ehefrau Carola – ebenfalls examinierte Kirchenmusikerin – das Kammerensemble.

Aufgewachsen ist Stefan Ulrich in Berlin-Pankow in einem christlich geprägten Elternhaus. „Mein Großvater war Pfarrer, mein Vater Eisenbahner, werktätig, wie das damals bei uns so schön hieß.“ Bereits mit fünf Jahren – 1971 war das – habe er Klavierstunden erhalten, ab dem 17. Lebensjahr auch Orgelunterricht. „Und was ich mal werden wollte“, so erinnert sich Ulrich, „stand für mich früh außer Frage.“

Aber so einfach war das nicht zu Zeiten des real existierenden Sozialismus der 1980er-Jahre-DDR. Nach Abitur und Facharbeiterabschluss (Triebfahrzeugschlosser) führte kein Weg am Grundwehrdienst bei der NVA vorbei. Dass Stefan Ulrich dennoch ein – staatlich nicht anerkanntes – Studium an der Kirchenmusikschule Greifswald beginnen konnte, verdankt er einigen glücklichen Wendungen. Und weiteres Glück gesellte sich hinzu. Im Studium begegnete er seiner späteren Frau Carola; die beiden Zwillingsmädchen, inzwischen 23 Jahre alt, machten das Familienleben perfekt.

Nach dem Examen – da war die DDR bereits Geschichte – gab es 1991 eine erste berufliche Station in Hamburg, und schließlich wechselte Ulrich 1995 ins erstmals hauptamtlich ausgeschriebene Bezirkskantorat Homburg am entgegengesetzten Ende der noch jungen Gesamtrepublik.

Einen Posaunenchor leitet Stefan Ulrich auch, knapp zehn Bläser stark, dazu gibt es eine sechsköpfige Jungbläserformation. Und als Organist, Cembalist und gefragter Klavierbegleiter zeigt der Kantor stets aufs Neue solistisches Profil. Zudem ist er – nach entsprechendem Aufbaustudium an der Saarbrücker Musikhochschule – stellvertretender Popularmusik-Beauftragter der Landeskirche und – ein begnadeter Jazzer. „Wann immer Freiraum da ist, geht’s spontan zu Sessions“, schwärmt Ulrich. Mal im Duo, mit Sax zum Beispiel, oder auch mit ‘ner Band, mal als Tastenkünstler, oft auch als Gitarrist. Und die Gitarre, die hat er auch bei den regelmäßigen Singstunden in den Homburger Kindergärten dabei. Basisarbeit, die Früchte trägt. Gertie Pohlit

Drei Fragen

Erstens: Herr Ulrich, wie fühlt sich ein Berliner in der Pfalz?
„Prima! Alle Versuche, den Dialekt zu lernen, habe ich aufgegeben.“

Zweitens: Und wie fühlt man sich als Kantor an der westlichen Peripherie?
„Das ist, wie so vieles im Leben, Fluch und Segen gleichermaßen. Zuweilen leidet man etwas, besonders im Bezug auf lange Anreisewege. Andererseits lebt es sich auch ganz gut so im Abstand zum kirchenmusikalischen Epizentrum.“

Drittens: Was lässt Sie „glühen“?
„Oh – es gibt so manches. Aber gewiss ist da eine tief verwurzelte Leidenschaft für Jazz im weitesten Sinne – ich bin mit George Gershwin und Cole Porter aufgewachsen.“ gpo

Brahms und Schumann geben sich die Ehre

Mit einer öffentlichen Geburtstagsfeier hat das Homburger Vokalensemble kürzlich sein 20-jähriges Bestehen gefeiert. Geleitet wird der rund 35 Stimmen starke Kammerchor von Carola Ulrich. „Es ist eine wunderbare Ergänzung meines beruflichen Alltags als Leiterin der Städtischen Musikschule“, bringt sie es auf den Punkt, „und ich bin sehr glücklich über das tolle Engagement der Singenden.“

Immerhin trifft man sich nur 14-tägig. Dennoch liest sich die Liste der Repertoire-Stücke von Madrigal über Mozart, Mendelssohn bis Modern Pop-Covers fast wie die eines Profi-Ensembles. Als Geburtstagsständchen beispielweise gaben sich Johannes Brahms („Liebeslieder-Walzer“), Robert Schumann („Zigeuner-Lieder“), aber auch die „Comedian Harmonists“ recht temperamentvoll die Ehre.

Und außerdem: Man reist gerne. Im Juli, führt die Route nach Norddeutschland mit Konzerten in den Domen zu Rendsburg und Schleswig, dem Hamburger Michel sowie in Lübeck, Husum und auf der Nordsee-Hallig Hooge. Mit einem spektakulären Projekt machte das Kammerensemble zur Weihnachtszeit 2015 von sich reden. Beginnend am ersten Feiertag in der Stadtkirche Homburg wurden die sechs Kantaten des „Weihnachtsoratoriums“ in sechs Gottesdiensten aufgeführt – da, wo ihr Schöpfer Johann Sebastian Bach sie auch ursprünglich liturgisch verankert hatte. Kantate 6 markierte am 6. Januar 2016 in der Alexanderskirche in Zweibrücken den Schlusspunkt. Dazwischen machte man in Altstadt, Steinwenden, Mimbach und Hornbach Station. „Dahinter stand der Wunsch, gemeinsam mit den beteiligten Theologen Bachs Musik wieder in ihren ursprünglichen Kontext zurückzuführen, nicht als reines Konzertspektakel wahrzunehmen.“ Begeisterte Partner waren eine Reihe von Solisten sowie Mitglieder der Radiophilharmonie Saarbrücken-Kaiserlautern. „Das Projekt hat uns strapaziert – aber die Mühen haben sich gelohnt“, strahlt Carola Ulrich. gpo

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