Chronik einer Erfolgsgeschichte

60 Jahre Singen in Gosau – Ökumenische Kirchenmusikwochen des Landesverbands feiern Geburtstag

Almsingen 2013: Die Gosauer Singwochen werden vom Landesverband der Evangelischen Kirchenchöre der Pfalz organisiert. Foto: pv

Im „Salzkammergut, da kamma gut …“ na, Sie wissen schon … – da, wo irgendwie alles so mozärtlich tönt und schwingt, der Benatzky sein weißes Operetten-Rössl sattelte und wo heuer zum 60. Mal ein Ereignis stattfindet, das auf seine Weise schon Geschichte schreibt – legendär und dabei doch quicklebendig. Im idyllischen Gosau zu Füßen des mächtigen Dachsteinmassivs werden vom 18. Juli bis 1. August sechs Jahrzehnte gemeinsamer musikalischer und menschlicher Begegnung zelebriert. So lange gibt es sie schon, die „Sommerlichen Singwochen Gosau“.

Die Chronik einer beispiellosen Erfolgsgeschichte der pfälzischen Landeskirche: Gottes Wege sind unerforschlich … Am Anfang stand die unerfüllte Sehnsucht der „Nordlichter“ nach alpinen Verwerfungen. 1955 lud ein Pastor aus Sörup bei Flensburg zur Kulturfahrt nach Gosau ein. Man reiste per Bus, die Unterbringung geschah in kleinen Pensionen und Privatquartieren des pittoresken Orts. Mit dabei war ein Hannoveraner Kirchenmusikdirektor, der für alle Sangeswilligen Notenmaterial mitführte. Helmi Göttsche, inzwischen verstorbene Schwester des ehemaligen Landeskirchenmusikdirektors der Pfalz und „Frau der ersten Stunde“, erinnerte sich im Gespräch vor einigen Jahren an die Jungfernfahrt: „Nach 37 Stunden im Bus waren wir völlig platt.“

Das Tagesprogramm war straff organisiert. „Nach Frühstück und Morgengymnastik wurde den ganzen Tag geprobt, und nach Abendessen und Andacht begab man sich zur Ruhe. Wir waren praktisch im Jugendheim kaserniert, und es herrschten strenge Regeln“, so die Augenzeugin von damals. Was Wunder, dass die Zahl der Mitreisenden schrumpfte. Singen, schön und gut. Aber so weit und beschwerlich reisen, und dann doch nichts von der herrlichen Umgebung sehen?

Als die Sache zu kippen begann, zauberte Helmi Göttsche ihren Bruder Heinz Markus wie einen „Joker“ aus dem Ärmel. Der hatte als Kantor an der Mannheimer Christuskirche bereits im Süden Stellung bezogen und stieg mit ein. Er brachte auch eine ganze Reihe neuer Sänger aus dem Badener Sprengel mit und hatte im Übrigen rasch begriffen, worauf es ankam: Ab sofort blieb die Tagesgestaltung der individuellen Fantasie überlassen, begann das Programm erst mit dem gemeinsamen Abendessen um 17 Uhr – zunächst beim „Kirchenwirt“, später beim „Brandwirt“. Anschließend wurde intensiv geprobt, und um 22 Uhr schloss der Tag mit einer Abend-Komplet. Und so ist es bis heute.

Ab Mitte der 1960er Jahre liefen die Singwochen Gosau komplett unter Mannheimer Flagge, der lange Anfahrtsweg hatte den Nordländern zunehmend Verdruss bereitet. Als Heinz Markus Göttsche 1968 ins Amt des pfälzischen Landeskirchenmusikdirektors wechselte, erlebte das Projekt Gosau einen neuerlichen Transfer – und ungeahnten Aufschwung.

Mittlerweile waren auch Solisten und Instrumentalisten von der Partie. Konzerte in Gosau und den Nachbarorten Hallstadt, Gmunden, Abtenau, Bad Goisern und Bad Ischl verhalfen der pfälzischen Kirchenmusik im Lande Mozarts und Haydns zu gehöriger Reputation. Parallel zu den Proben wurde Chorleiterausbildung sowie Singen mit Kindern angeboten. Gosau war zum Familienevent mit kirchenmusikalischem Breitenangebot geworden.

Auf Heinz Markus Göttsche folgte gegen Ende der 1980er Jahre Udo-Rainer Follert an der Spitze des höchsten Kirchenmusikamts. Er nutzte die Gunst der Stunde im politisch veränderten Europa und band die Partnerkirchen im Osten mit ein, knüpfte Kontakte zu Orchestern etwa in Polen oder Ungarn, belebte auch die über die Evangelische Jugendkantorei seit Langem bestehende Freundschaft mit den „Mährischen Madrigalisten“ in Kromeriz neu und verlieh so dem europäischen Gedanken in Gosau musizierend Gestalt.

Probate Praxis bis heute ist der Ausschreibungsmodus: Organisiert durch den Landesverband der Evangelischen Kirchenchöre der Pfalz werden vorab die Gosau-Teilnehmenden der letzten drei Jahrgänge angeschrieben, in der Regel versierte Vokalisten aus Kantoreien und Kirchenchören. Weiter wird aber auch über die Zentrale der Landesverbände in Wolfenbüttel geworben. Vom Bustransfer allerdings hat man sich längst verabschiedet, auch kümmert sich jeder selbst um sein Quartier.

Unverändert geblieben ist indes der Tagesablauf. Immer noch sind Wanderungen zur Zwieselalm, Exkursionen zum Wolfgangsee, dem Hallstadter Beinhaus oder nach Salzburg ganz nach Belieben unterzubringen. Gemeinsames Essen, Proben und Taizé-Gottesdienst führen dann alle Teilnehmenden im Plenum zusammen. Zusehends erweitert hat sich das Rahmenprogramm, wie Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald erläutert. Im Angebot sind jetzt zusätzlich Chorleitungs- und Orgelseminare, Stimmbildung sowie das intensivierte Kinderchorprogramm. Das macht mehr denn je Teamarbeit erforderlich.

Mit zwei Gottesdienstmusiken und drei Konzerten ist reichlich Anreiz zu konzentrierter Probenarbeit geboten. Das Feiern indes wird gerade in diesem Jubeljahr nicht zu kurz kommen. Die Gosauer, für die die „Pfälzer Landverschickung“ längst zum festen Wirtschaftsfaktor, aber auch zum Hort vielgestaltiger menschlicher Beziehungen geworden ist, haben bereits die „Festtagsgwandln g’richt“. Denn einen Festakt wird es geben mit Ex-Kirchenpräsident Eberhard Cherdron als Laudator und hernach ein rauschendes Fest.

Haben die Großwerke von Schütz, Schein, Buxtehude über Schubert, Mendelssohn bis Brahms beispielsweise die Programme der letzten Jahre bevölkert, so liegen in diesem Jahr Partituren von Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart – Referenz an die Gastgeber – auf den Pulten. Ob im intimen Ausseer Kirchlein oder den prächtigen Gotteshäusern in Bad Ischl und Gosau – die Konzerte in bewährter Partnerschaft mit dem Oberösterreichischen Kammerorchester werden für Ausführende wie Lauschende wieder zum unvergesslichen Erlebnis werden. Das darf getrost prognostiziert werden. Gertie Pohlit

Familienangelegenheit

Gosau ist Familie – auch wenn Partner oder Partnerin nicht singen mögen, sind sie dennoch willkommen. Erst recht der Nachwuchs. Und für den gibt es sogar ein tolles Extraprogramm. Abends, wenn auch die Erwachsenen ihre Stimmbänder trainieren, ist Singstunde. Nicht ganz so lange natürlich. Mal proben die Minis ein Kinder-Musical, mal lockt die Leiterin mit einem flotten Liedprogramm, das der Nachwuchschor dann selbstverständlich beim Abschlussgottesdienst der staunenden Öffentlichkeit präsentiert.

Damit das alles locker und abwechslungsreich daherkommt, wird zwischendurch auch mal eine Runde gespielt, gebastelt, gemalt oder gezaubert. Keine Chance für Langeweile, gänzlich ohne Fernseher und Tablet.

Als „Zauberfee“ fungiert seit vielen Jahren erfolgreich die Musik- und Gesangspädagogin Vera Steuerwald. Und sie wird auch diesmal wieder die Wangen der kleinen Gesangsstars von morgen zum Glühen und die frischen Stimmchen ganz glockig zum Klingen bringen. gpo

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