Die Lichtkünstler

Glasfenster aus Tausenden farbigen Teilen

Mitarbeiter von Derix fertigen in der Werkstatt farbige Fenster an. Fotos: Andrea Enderlein/epd

Der Maler Max Uhlig bringt die Farbe für einen Teil seines Kirchenfensters für die St. Johanniskirche in Magdeburg auf.

von Jens Bayer-Gimm

Ob im Rockefeller-Center oder in mittelalterlichen Kirchen: Glaskunst ruft Bewunderung hervor. Hergestellt wird sie von spezialisierten Glaswerkstätten. Eine der bekanntesten feiert das 150-Jahr-Jubiläum – und bricht auf zu neuen Ufern.

Funkelnd in unzähligen Farben fällt das Licht durch ein Fenster aus lauter winzigen Quadraten. Die Arbeit von Gerhard Richter ist neben vielen anderen Kunstwerken aus Glas in dem kleinen Ort Taunusstein nördlich von Wiesbaden zu bewundern. Die Ausstellung gehört zu einem weltweit bekannten Glaskunstunternehmen, das am 24. und 25. September das 150-jährige Bestehen feiert: die Derix Glasstudios.

Ob James Rizzi mit seinen Pop-Art-Fenstern für die Essener Kreuzeskirche, Markus Lüpertz mit seinen expressiven Figuren für die Fenster von St. Andreas in Köln, Imi Knoebels Farbfelder für die Kathedrale von Reims oder Guy Kempers Fenster für die „Ground Zero“-Gedächtniskapelle am Ort des zerstörten World Trade Centers in New York – es sind die Handwerker im Taunus, die die Entwürfe in Glaskunstwerke umsetzen. Immer wieder werden sie vor Herausforderungen gestellt, so bei der Realisierung von Gerhard Richters Entwurf für den Kölner Dom.

Die 13 000 farbigen, jeweils 92 Millimeter kleinen Glasquadrate sollten ohne Bleifassung aneinandergefügt werden, berichtet der Geschäftsführende Gesellschafter der Derix Glasstudios und Glasbautechniker Rainer Schmitt. Dabei müssten die Fenster auf der Südwestseite des Doms Temperaturschwankungen von 70 bis 80 Grad aushalten, was zu einer enormen Ausdehnung der kleinen Glasquadrate führe. Seine Handwerker hätten dafür eine spezielle Klebetechnik entwickelt. Damit hätten sie die exakt ausgeschnittenen Glasteile unsichtbar, stabil und elastisch verbinden können.

„Unser Geheimnis ist kein Geheimnis“, sagt Schmitt und lacht. „Wir fragen uns ständig: Wie können wir Techniken am besten einsetzen?“ Dabei fällt auch das ein oder andere Patent ab. So etwa für eine Wand- oder Möbelgestaltung der Luxusvariante: vergoldete oder versilberte Schieferplatten unter Glas, wobei das Metall je nach der Oberflächenstruktur des Steins unterschiedlich schimmert. Das Glas kann dabei wie der Touchscreen eines Tablet-Computers über Berührungspunkte elektronische Impulse auslösen. Hierfür gebe es Interessenten in den Golfstaaten von Katar und Bahrain, verrät Schmitt.

In der Werkstatt stehen Proben von rund 1500 Farben in Fächern bereit. Mittels der Oxide von Eisen, Gold, Mangan, Kobalt und anderen Erzen stellten die Handwerker alle gewünschten Farbnuancen her, erklärt Schmitt. Die Basis sind mundgeblasene und in Rechtecke geschnittene Gläser der Glashütte Lamberts aus Waldsassen. Die Handwerker vergrößern die Entwürfe der Künstler, fertigen für die einzelnen Elemente Schablonen und legen diese auf das Glas. Dann schneiden sie die Glasstücke zurecht, kleben sie zusammen oder verbinden sie mit Bleifassungen. Je nach Wunsch bearbeiten die Handwerker die Oberflächen mit Ätz-, Sprüh- oder Drucktechniken.

Manche Künstler legen in der Werkstatt selbst Hand an. Das Glasstudio bietet ihnen einzelne Appartements und Verpflegung auf Firmenkosten an. Ein eigener Werkstattraum ist für den 86-jährigen Glaskünstler Johannes Schreiter aus dem südhessischen Langen reserviert, seit 25 Jahren pflegt er die Zusammenarbeit. An der Wand hängen Entwürfe für das aktuelle Projekt, Fenster für die evangelische Kirche in Langen – original in Farbe, wandhoch vergrößert in Schwarz-Weiß.

Der Dresdener Maler Max Uhlig hantiert vornübergebeugt mit einem faustdicken Pinsel. Er bringt die Farbe auf die Glasteile für die künftigen Fenster der Magdeburger Johanneskirche auf, blau-schwarz und rot. Die Arbeit erfordert Ausdauer: Die sechs 12,5 Meter hohen Fenster bestehen jeweils aus 450 bis 650 Glasteilen. Ein Maler müsse beachten, dass die Farben nach dem Brennen des Glases ganz anders aussehen als zuvor, erklärt Uhlig. Zum Brennen stehen mehrere Öfen bereit, derjenige mit dem Maß von 6,22 Metern Länge und 3,22 Metern Breite sei einer der weltgrößten Brennöfen für Glaskunst, ergänzt Schmitt.

Zu welchen Kunstwerken die Zusammenarbeit der Maler und Glastechniker führt, kann in dem öffentlich zugänglichen Ausstellungssaal des Glasstudios besichtigt werden. Werke wie der Gerhard-Richter-Entwurf für den Kölner Dom oder ein poppiges James-Rizzi-Fenster hängen dort. Ebenso ist unter den 60 bis 80 Werken ein durch Schwarzlicht hinterleuchtetes, abstrakt-buntes Kunstwerk von Jakob Lang zu sehen. Aufgebaut sind Elemente einer prismenartig verschachtelten Wand des Rockefeller-Centers oder eine Wand aus grünen, glitzernden Glaswellen, ein Modell von Lutz Haufschild für eine U-Bahn-Station in Taiwan.

Das Taunussteiner Familienunternehmen führt sich zurück auf die 1866 von Wilhelm Derix in Goch am Niederrhein gegründete Glasmalerei-Werkstatt. Während in Taunusstein nach Schmitts Angaben 75 Beschäftigte arbeiten, seien es in den anderen eigenständigen Derix-Zweigen in Kevelaer rund 25 und in Düsseldorf-Kaiserswerth fünf. Stolz sind die Derix-Werkstätten auf den 1908 verliehenen Titel „Päpstliche Hofglasmaler“. Das von ihnen gefertigte Fenster im Treppenhaus zwischen der Papstwohnung und der Sixtinischen Kapelle rief bei Pius X. offenbar Bewunderung hervor.

Die Kirchen seien immer noch die Hauptauftraggeber von Glaskunst, aber nicht mehr in dem Maß wie früher, berichtet Schmitt. Dafür vergäben auch Städte, Unternehmen und Architekturbüros Aufträge. Der Markt sei jedoch klein: „Wir müssen kämpfen, um uns zu ­behaupten.“ Wachstumschancen sieht Schmitt vor allem im Ausland. Die Taunussteiner haben Tochterunternehmen in Österreich und den USA sowie Vertretungen in Russland, Australien und den Golfstaaten eröffnet.

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