Die Pfalz und das Brot der Armen

Keschde-Saison hat begonnen – Seit dem 5. Jahrhundert gibt es Kastanienbäume entlang der Weinstraße

Herbstbote: Essbare Edelkastanie. Foto: eva

Spezialität von Bäckermeister Claus Becker aus Edenkoben: Ehefrau Silke präsentiert Kastanienbrot aus Roggenmischteig. Foto: VAN

Alles Gute kommt von oben – und trifft den Sammler auch schon einmal unvermutet auf den Kopf: Jetzt im Herbst sind sie in der Pfalz wieder allgegenwärtig: die Esskastanien, auch Maronen genannt, aber hierzulande als Keschde bekannt. Kaum ein Restaurant, das sie momentan nicht auf der Karte hätte, und sogar einen Keschde-Weg und eine Keschde-Prinzessin gibt es.

Ursprünglich stammt die Edelkastanie vermutlich aus dem Gebiet zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer. Von dort breitete sie sich dann nach Südosteuropa aus. Ob die Pflanze nun mit den Römern über die Alpen an den Rhein wanderte oder aber von Südfrankreich in die Pfalz kam, ist umstritten. Fest steht aber, dass es die Esskastanien schon 500 nach Christus entlang der Weinstraße gegeben hat. Als kostenloses Nahrungsmittel, das zudem viele Vitamine und verschiedene Mineralstoffe wie Kalium, Calcium und Natrium enthält, waren die Esskastanien später vor allem bei armen Leuten beliebt, was ihr den Beinamen Brot der Armen, aber auch Brot des Waldes einbrachte. Man ging einfach in den Wald und sammelte Vorräte für den Winter.

Da sich die braunen Kugeln mit der stacheligen Schale hervorragend trocknen und lagern lassen, brachten sie die Menschen früher gut über den Winter und waren Brot- und Kartoffelersatz. Neben Wein waren sie bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zudem das wichtigste Handelsgut der Bauern in der Pfalz. Die Bäume gaben den Menschen nicht nur Nahrung, sondern ihr Holz wurde auch zum Aufbinden der Reben verwendet, außerdem für Weinfässer und zum Hausbau.

Auch Bayernkönig Ludwig I. wusste die geschmacklich intensiven Esskastanien offenbar sehr zu schätzen und pflanzte unzählige Bäume rund um die Villa Ludwigshöhe bei Edenkoben, in der „schönsten Quadratmeile“ seines Reichs. Dort und am römischen Landgut Weilberg bei Ungstein und rund ums Hambacher Schloss in Neustadt wachsen wohl die meisten der Keschde-Bäume in der Pfalz.

Wie eng die Kastanienbäume mit der Kulturgeschichte der Pfalz verknüpft sind, zeigt sich in Gewannenamen wie Keschde-Berg, Keschdedell oder Keschdebaam. Übrigens hieß auch das Hambacher Schloss früher Kästenburg (Kastanienburg). Kaiser Heinrich II. gab seiner Reichsfeste bei Neustadt um das Jahr 1015 diesen Namen. Der kleine Weinort Dörrenbach hat den Kastanienbaum sogar in seinem Wappen. Neben der Bezeichnung Keschde gebrauchen die Pfälzer noch zahlreiche andere Varianten wie Kescht, Käschde, Esskeschde oder zahme Keschde. Die stachelige Fruchthülle wird in der Vorderpfalz als Iggele, rund um Deidesheim und Wachenheim als Ach(e)le und in Hettenleidelheim als Stachelpeter bezeichnet. Kurzum, die Keschde ist für die Pfälzer so wichtig, dass sie unter www.keschde.de sogar eine eigene Homepage hat.

Was einst als das Brot der Armen galt, hat längst Einzug gehalten in die Küchen auch der gehobenen Gastronomie und sich zu einer Delikatesse gemausert. Die Keschde sind nämlich äußerst vielseitig zu verwenden. Sie lassen sich rösten, dünsten, kochen, pürieren oder sogar zu Eis verarbeiten und zu Mehl mahlen. Die Bandbreite reicht von der Keschdesupp über Keschde-Flammkuchen, von Keschde-Likör und Keschde-Bier bis hin zu Kastaniensaumagen und Kastanienwurst. Einige Bäcker backen sogar Kastanientorte oder Keschde-Brot. So wie Bäckermeister Claus Becker aus Edenkoben. Sein Kastanienbrot besteht aus einem Roggenmischteig mit mehr Roggen- als Weizenanteil. Darin werden die Kastanien als ganze Früchte und als kleine Stückchen eingearbeitet. „Obenauf gekrönt mit einem kreuzförmigen Einschnitt und Salz sowie Leinsamen als Dekor“, beschreibt seine Frau Silke die Keschde-Spezialität. Viel Salz müsse sein, sagt sie, da die Pfälzer die Keschde gerne mit Salz kombinierten. „Wir machen das Brot seit etwa 15 Jahren, und die Nachfrage steigt von Jahr zu Jahr. Es hat sich zu einem richtigen Renner entwickelt.“

Und woher kommen die Esskastanien? Geht Silke Becker selber in den Wald zum Sammeln? Da muss die Bäckersgattin dann doch lachen: „Wir verbacken die Kastanien im Tonnenbereich. Da es in der Pfalz nicht genügend gibt, beziehen wir sie aus Spanien und Portugal“, erklärt sie. Im Angebot ist das Brot so lange, wie die Kastaniensaison dauert, also etwa bis Weihnachten oder Anfang Januar. „Die Keschde ist eben ein typisches Winteressen“, sagt Silke Becker, die übrigens mit Keschde-Spezialitäten aufgewachsen ist. Schon ihre Oma sammelte die Waldfrucht und machte meist Keschde-Gemüse daraus. Im elterlichen Metzgerbetrieb gab es Kastaniensaumagen und Bratwurst. Als Silke Becker dann einen Bäcker heiratete, lag es auf der Hand, die Kastanientradition nun mit Kastanienbrot fortzuführen.

Wer nun loszieht, um die braunschaligen Sattmacher zu sammeln, muss ein gewisses botanisches Grundwissen mitbringen und darf die Keschde nicht mit den ungenießbaren Rosskastanien verwechseln. Am leichtesten sind die beiden Sorten an ihrer Schale zu unterscheiden: Die Esskastanie (Castanea vesca oder sativa) gehört zur Familie der Buchengewächse. Sie hat eine flache, runde bis ovale Frucht und reift mit zwei bis drei anderen Früchten in einer bräunlichen Hülle mit vielen langen Stacheln. Mit der Rosskastanie (Aesculus Hippocastanea) ist sie nicht verwandt. Diese gehört zu den Rosengewächsen, hat eine rundliche Frucht und reift in einer festen grünen Hülle, die ebenfalls stachelig ist. Anette Konrad

Keschde-Zeit

Besonders intensiv kann man die Esskastanien auf den 64 Kilometern des Pfälzer Keschde-Wegs erleben, der von Hauenstein über Annweiler nach Edenkoben führt (www.keschdeweg.de). Um die „keusche Frucht“ und ihre Kulturgeschichte geht es bei den Kastanienführungen auf dem Hambacher Schloss. Die letzte Führung findet am 23. Oktober statt (www.hambacher-schloss.de).

Wer lieber selbst die Keschde zu leckeren Gerichten verarbeiten möchte, findet im Kochbuch „Keschdegenüsse aus dem Trifelsland“ viele Tipps. Für einen Euro ist das Buch im Tourismusbüro in Annweiler erhältlich und kann telefonisch unter 0 63 46 / 22 00 bestellt werden. rad

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