Chor besingt modernen Ablasshandel

Sänger proben für das Pop-Oratorium „Luther“ – Aufführung am 11. Februar in der SAP-Arena Mannheim

Feilt an den letzten Tönen: Thomas Borchers bei der Probe im Landeskirchenrat mit Mitwirkenden des Lutheroratoriums. Foto: Landry

Thomas Borchers greift beherzt in die Tastatur. Von gegenüber, aus den Reihen der Singenden, klingt es mutig mehrstimmig, aber noch nicht zu seiner Zufriedenheit. „Ziemlich vertrackt, die Einwürfe, aber schaut mal – von da könnt ihr eure Töne abnehmen“, baut er hilfreich Eselsbrücken.

Nochmal, das Ganze. Na bitte – klappt schon besser! Der ehrwürdige Sitzungssaal des Protestantischen Landeskirchenrats am Domplatz 5 ist auch an diesem Tag wie schon seit etlichen Wochen kurzfristig zum Probenlokal umfunktioniert. Etwa 30 Sänger geben, über einen Klavierauszug mit poppig knallrotem Einband gebeugt, regelmäßig ihre Mittagspause dran, um am 11. Februar als Mitwirkende auf der riesigen Bühne der SAP-Arena Mannheim mit dabei sein zu können.

Dann wird das Pop-Oratorium „Luther“ – am 31. Oktober 2015 in der Dortmunder Westfalenhalle mit großem Erfolg uraufgeführt – auf seiner Neun-Städte-Tournee durchs Reformationsjubeljahr in Mannheim Station machen. Und mit dabei im chorischen Großaufgebot von rund 2200 Stimmen ist die Formation des Speyerer Landeskirchenrats, in der Regel „aktive Diensthabende“, die freilich das eine oder andere Familienmitglied im Schlepptau haben. Und auch einige Ruheständler wollen sich das einmalige Gruppenerlebnis nicht entgehen lassen.

Das gut 90-minütige Bühnenstück des spätestens seit dem Vorläufer „Die Zehn Gebote“ populären Autorenteams Michael Kunze (Libretto) und Dieter Falk (Komposition) schildert in 20 Episoden die Geschehnisse um Luthers Auftritt beim Reichstag zu Worms 1521 und endet mit dem Exil auf der Wartburg. Mit 13 professionellen Solisten, einer Chorformation im vierstelligen Bereich, dazu Orchester in sinfonischer Besetzung und Band ist das Pop-Oratorium auf Spielstätten von Stadionformat sowie großes Publikum angelegt.

Der Chor ist – ganz in der Gefolgschaft herkömmlicher Oratorien – zent­raler Handlungsträger. Er stellt Fragen, kommentiert, erläutert, urteilt. Die Musik arbeitet mit Elementen aus Rock und Pop, aber auch substanziellen „klassischen“ Elementen. Mit Chromatik und verqueren harmonischen Gebilden sind die Sänger ebenso konfrontiert wie mit gegenläufigen Rhythmen und metrischen Wechselbädern.

„Aber es gibt herrliche Melodien, die sich im Ohr festsetzen. Und überhaupt lässt einen der tolle Sound gar nicht wieder los“, schwärmt Renate Grimus, eine der begeisterten Landeskirchenrats-Ruheständlerinnen. Zur Montagsprobe nimmt sie ebenso wie die Germersheimer Pfarrerin Andrea Müller sogar eine Autoanreise in Kauf.

Bevor man sich im Januar noch einmal gemeinsam mit den anderen Kleingruppen, auch aus der badischen Landeskirche, zur Regionalprobe trifft, sichert Thomas Borchers nun vor allem die schwierigen Einsätze ab. Als Theologischer Referent im Landeskirchenrat mit kirchenmusikalischer C-Ausbildung hat sich der Pfarrer nicht lange fragen lassen, als man ihn bat, die Proben für die Speyerer Chorgruppe zu leiten. „Macht großen Spaß“, bestätigt er. Und natürlich wird er bei der Aufführung am 11. Februar seine eigene Stimme im Tenor erheben. Seine Schäflein sind mit ihrem musikalischen Hirten überaus zufrieden. „Er macht das toll“, versichert Corinna Marton. Wenn die Töne schon mal ganz ordentlich sitzen, wird dem Klavier Schweigen verordnet – was überaus hilfreich ist. Dafür spielt Borchers kurz die entsprechende Passage per CD-Player ein. Und es darf kräftig mitgeschmettert werden.

Die Tonträgeraufnahme, unter professionellen Bedingungen im Tonstudio hergestellt, ist ein gutes Arbeitsmate­rial fürs Gruppen- oder Einzelstudium. Und es gibt sie noch in einer zweiten, nur mit Instrumenten und der jeweiligen Chorstimme ausgestatteten Version. Vor allem fürs häusliche Studium ist das ein wertvolles Hilfsmittel. „Zu Hause proben wir heimlich, hier dann sozusagen un-heimlich“, kommentiert Gabriele Stüber, die Leiterin des Zentralarchivs, spitzbübisch, mit typischem Kieler Zungenschlag. „Wahre Werte in den Opferkästen, das sind Werte, auf die unsere Wirtschaft zählt“, konstatieren die von einem Tritonus gestützten Stimmen. Man begreift rasch, dass es hier um den Ablasshandel geht, ohne freilich das Gefühl zu haben, dass gar nicht von der Jetzt-Zeit die Rede ist.

Pfarrer Andreas Rummel, persönlicher Referent des Kirchenpräsidenten und von Kind an überaus musikbegeistert, bestätigt das und lobt die substanzielle Qualität des Librettos. „Das sind wirklich gute Texte, theologisch fundiert und reich an Anstößen und interessanten aktuellen Fragestellungen.“

Und was ist letztlich die Motivation fürs Mittun? Annelene Märker bringt es auf den Punkt, und alle bestätigen es: „das großartige Gemeinschaftserlebnis. Hier ist Gelegenheit geboten, wirklich einmal ,die Gemeinschaft der Heiligen‘ zu erleben.“ Wann kämen so viele Menschen aus unterschiedlichen Regionen generationenübergreifend zusammen, um gemeinsam etwas zu gestalten? „Ich kann mir nichts Schöneres und Erhebenderes vorstellen, als in dieser grandiosen Chorgemeinschaft aufzugehen“, bekräftigt Renate Grimus.

„Es ist einfach eine Riesenchance“, sagt Borchers. Die Zielgruppe beim Pub­li­kum sei eine komplett andere als bei Kirchenkonzerten des klassischen Kanons. Hier würden nicht zuletzt junge Menschen ganz unterschiedlicher Provenienz angesprochen, gewiss auch viele Kirchenferne. „Das hat Strahlkraft und nachhaltige Wirkung“, ist der Theologe überzeugt. Gertie Pohlit

Lutheroratorium geht auf die Reise

In neun Städten quer durch die Republik wird das Pop-Oratorium „Luther“ anlässlich des Reformationsjubiläums Station machen. Dafür kooperiert die Stiftung Creative Kirche mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und weiteren Partnern. Eingeladen zur Mitwirkung sind im jeweiligen regionalen Umfeld Sänger aus Kirchenchören, Pop- und Gospelchören, Schul- und Jugendchören sowie interessierte Sänger ohne Chorzugehörigkeit. Pro Aufführung sind etwa 1500 bis 2200 Stimmen zu hören.

Namhafte Persönlichkeiten, darunter Margot Käßmann, die Botschafterin des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland für das Reformationsjubiläum 2017, und der Arzt, Moderator, Autor und Kabarettist Eckart von Hirschhausen sind Paten beziehungsweise Schirmherren. Die Idee, die hinter dem Projekt der beiden vielfach ausgezeichneten Autoren Michael Kunze (Libretto) und Dieter Falk (Musik) steht, beschreibt Letzterer so: „Wir möchten die Grundanliegen der Reformation in einer zeitgemäßen, unterhaltsamen Form anhand der Person Martin Luthers für eine breite Öffentlichkeit erzählen.“

Die Aufführung am Samstag, 11. Februar, 19 Uhr, in der SAP-Arena Mannheim mit Sängern aus der pfälzischen und badischen Landeskirche wird nach Hannover und Stuttgart (mit je zwei Aufführungen) sowie Düsseldorf die sechste der Deutschland-Tournee sein. Neben dem leitenden Dirigenten Heribert Feckler aus Essen werden als Ko-Dirigenten die Popularmusikbeauftragten beider Landeskirchen, Achim Plagge aus Neckar­gmünd und Maurice Antoine Croissant aus Pirmasens, an den Pulten stehen. Info: www.luther-oratorium.de. gpo

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