Dem Stallgeruch einer Kirchengemeinde auf der Spur

Pfarrer Gunter Schmitt warnt vor einem einseitigen Blick der Kirche auf quantitatives Wachstum – Erfolge mit Analyseprojekt aus England

„Nur weniges tun, das aber gut“: Gunter Schmitt bei einem Seminar in der Kirchengemeinde Dudenhofen. Foto: Landry

Eine bemerkenswerte Nachricht machte vor etwa 15 Jahren die Runde in der pfälzischen Landeskirche: In der Ludwigshafener Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde reichte sonntags der Gottesdienstraum für den Ansturm der Besucher regelmäßig nicht mehr aus. Die Gemeinde musste in die benachbarte katholische Maximilian-Kolbe-Kapelle ausweichen. Doch auch deren 200 Sitzplätze waren nach kurzer Zeit zu wenig, es wurde ein weiterer Gottesdienst am Nachmittag angeboten. Pfarrer der Gemeinde war damals Gunter Schmitt. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet er nun, nach 20 Jahren in der Gemeinde, beim Missionarisch-Ökumenischen Dienst (MÖD) in Landau.

Als Gemeindepfarrer habe er erlebt, wie eine Gemeinde durch Moderation von außen entscheidend vorankommen könne, sagt Schmitt. Nun sei er froh, selbst begleiten zu können. Mit 25 Prozent seiner Arbeitszeit ist Schmitt mit dem Training von Presbytern und Mitarbeitern bei der Gemeindeentwicklung tätig. Außerdem bildet er Lektoren und Prädikanten aus und weiter, bietet Glaubenskurse in diakonischen Einrichtungen an und ist mit „Mission Mobil“ in den Kirchenbezirken unterwegs.

Doch besonders am Herzen liegt Schmitt das Gemeindetraining. In diesem Bereich bildet er sich regelmäßig weiter und greift gerne auf eine Methode zurück, die in der anglikanischen Kirche entwickelt wurde und „Vitale Gemeinde“ heißt. Dieses Konzept sei keine Gemeindeberatung im klassischen Sinne, auch kein Gemeindeaufbaukonzept, sagt Schmitt. Vielmehr diene es der Analyse. Angewendet werden könne es in jeder Kirchengemeinde, egal, ob sie auf dem Land oder in der Stadt sei, groß oder klein, theologisch liberal oder konservativ.

Ganz allgemein stellt Schmitt fest, dass der Beratungsbedarf der Gemeinden in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen ist. Das liege vor allem daran, dass es einen großen Strukturwandel in der Landeskirche gebe, unter anderem durch die zunehmende Regionalisierung. Deshalb sei es auch gut, dass es zahlreiche Angebote zur Unterstützung gebe und diese gut vernetzt seien, um sich bei bestimmten Problemen in den Gemeinden gegenseitig empfehlen zu können.

Schmitt hat einen Grundfehler identifiziert, den viele Gemeinden machen. Wenn sie beim MÖD das Gemeindetraining nachfragen, gehen sie meist davon aus, dass es dabei um zusätzliche Aktionen gehe. Dieses Abzielen auf quantitatives Wachstum sei jedoch schon 2006 im Impulspapier „Kirche der Freiheit“ der Evangelischen Kirche in Deutschland ein Fehler gewesen. Ziele wie das Erhöhen der Tauf- oder Trauquote könnten nur frustrieren, weil sie auf etwas abzielten, was Pfarrer und Gemeinden selbst nicht beeinflussen könnten. Das alles sei empirisch belegt, halte sich aber dennoch im kirchlichen Denken.

Das Projekt „Vitale Gemeinde“ dagegen arbeite an Haltungen, sagt Schmitt. Es gehe schlicht um die Philosophie einer Gemeinde oder – diesen Ausdruck mag Schmitt am liebsten – um ihren Stallgeruch. Dabei würde analysiert und diskutiert, welche Menschen in einer Gemeinde lebten, was das Besondere einer Gemeinde sei und was der ganz spezielle Auftrag Gottes an sie.

Am Ende der Analyse stehe eine Zielvereinbarung, sagt Schmitt. Die könne beinhalten, dass etwas Neues entstehe. Genauso häufig komme es jedoch vor, dass die Gemeinde etwas loslasse. Das, so Schmitts Erfahrung, ist der deutlich schwierigere Weg. Es falle nun einmal viel leichter, etwas Neues in die Hand zu nehmen, als Gewohntes loszulassen. Diese Logik führe aber zwangsläufig zu immer höherer Belastung. Deshalb sei einer der Kernsätze von „Vitale Gemeinde“: Nur weniges tun, aber das gut.

Eigentlich wäre es gut, wenn er nach dem etwa vierstündigen Treffen mit den Schlüsselpersonen einer Gemeinde ein halbes Jahr später noch einmal nachfassen könnte, sagt Schmitt. Doch dafür reichten die Kapazitäten nicht. Dennoch erhalte er immer wieder die Rückmeldung, dass seine Arbeit eine Gemeinde vorangebracht habe. koc

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