Prägende Lebensabschnitte in der Musik zu erkennen

Neustadter Bezirkskantor Simon Reichert spielt gesamtes Orgelwerk von Johann Sebastian Bach – Nächstes Konzert am 17. April in Haßloch

Vorliebe für historische Orgeln: Simon Reichert ist Leiter der Neustadter Kantorei und Hauptorganist an der Stiftskirche. Foto: pv

Einen wahren Marathon hat sich Simon Reichert in diesem Jahr vorgenommen. Um die neue Orgel der Stiftskirche in Neustadt zu finanzieren, wird er innerhalb eines Jahres das gesamte Orgelwerk von Johann Sebastian Bach spielen. Die Erlöse der Konzerte fließen komplett in das neue Instrument. „Ein kleiner Aufwand im Vergleich zum Kauf einer neuen Orgel“, sagt der Neustadter Bezirkskantor. Auch auf andere wunderbare Orgeln in der Region solle die Konzertreihe aufmerksam machen. Die Gemeinden könnten dabei entdecken, was für Schätze sie besitzen und lernen, sie wieder richtig wertzuschätzen. Reichert hofft, dass dadurch auch das Instrument selbst wieder an Popularität gewinnt.

Der Kirchenmusiker ist überzeugt: „Der Klang einer Orgel lässt niemanden kalt.“ Also musste eine Konzertreihe her, welche der Königin der Instrumente, wie die Orgel auch genannt wird, schmeichelt und möglichst viele Besucher anlockt. Da kam schließlich nur das Werk von Bach infrage. Das Besondere an Bach sei, dass er es trotz seiner Kompliziertheit geschafft habe, Ohrwürmer zu produzieren, so Reichert. Schließlich sei Bachs berühmte Toccata und Fuge in d-Moll sogar als Handyklingelton in aller Munde.

Die Idee, das gesamte Orgelwerk Bachs zu spielen, sei schon in seinem Studium gereift, erzählt Reichert. Chronologisch möchte er sich von Werk zu Werk hangeln. Besonders spannend an dieser Konzertreihe sei, dass man verschiedene Lebensabschnitte, die prägend für Bach waren, in der Musik wiedererkennen könne. So seien seine frühen Werke eher von seiner Lehrzeit beim Lüneburger Organisten Georg Böhm und den Einflüssen französischer Musik geprägt, wohingegen seine späteren Kompositionen sich eher am italienischen Komponisten Antonio Vivaldi orientierten.

Bachs Choralbearbeitungen haben für Reichert eine besondere Bedeutung. Sie machten mehr als die Hälfte des Bach’schen Werks aus. In dieser Musik finde eine theologische Verarbeitung statt. In der Zeit des Barock habe es feste musikalische Figuren für bestimmte Begriffe gegeben, so wie zum Beispiel das Wort „Freude“. Mit diesem Figurengerüst habe auch Bach gearbeitet und damit sogenannte Klangreden verfasst. „Man kann sagen, dass Bach mit dieser Art des Komponierens musikalische Predigten produziert hat“, sagt Reichert. Man merke den Stücken an, dass Bach von seinem Glauben gänzlich inspiriert war. Ein Zeichen seines tiefen Glaubens sei auch Bachs Signatur gewesen, die er unter all seine Kompositionen setzte: S.D.G. – Soli Deo Gloria, zu Deutsch „Gott allein zur Ehre“.

Um Bach an der Königin der Instrumente gerecht zu werden, übt Simon Reichert vier Stunden täglich. „Man muss sich für ein solches Mammutwerk schon sehr disziplinieren“, sagt der 1980 in Gütersloh geborene Musiker, der seit 2009 Bezirkskantor mit Sitz an der Stiftskirche in Neustadt ist.

Bach könne man nicht einfach so vom Blatt spielen, seine Kompositionen seien immer anspruchsvoll. „Bei sehr schweren Stücken braucht man zur Vorbereitung schon auch mal ein paar Monate.“ Außerdem müsse man auch die für Bach passende Orgel finden. Mit dem Klangideal einer Barockorgel käme man seinen Werken am nächsten. „Hier im Kirchenbezirk haben wir großes Glück“, sagt Reichert stolz. Es gebe einige schöne historische Orgeln, so zum Beispiel jene in Haßloch oder in Lambrecht. Beide würden bei seinem Bach-Marathon zum Einsatz kommen. Das nächste Konzert findet am 17. April in Haßloch statt.

Die vier bisher gespielten Konzerte haben laut Reichert eine positive Resonanz erfahren. 2000 Euro seien schon in die Kassen geflossen. 500 000 Euro wird die neue Orgel in der Stiftskirche kosten. „Eine gute Orgel hält aber auch eine Weile“, so Reichert, „und ich hoffe, dass sie mich lange überleben wird.“ Zur Finanzierung ist die Stiftskirchengemeinde in Neustadt aber noch auf weitere Spenden angewiesen. Der Bau- und Förderverein bietet Orgelfreunden beispielsweise an, sich mit Tonpatenschaften an der Neuanschaffung zu beteiligen. Charlotte Seeger

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