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Losung

Losung für Donnerstag, 28. März 2024
Gerechtigkeit erhöht ein Volk; aber die Sünde ist der Leute Verderben.
Sprüche 14,34

Jesus ging nach seiner Gewohnheit hinaus an den Ölberg. Es folgten ihm aber auch die Jünger. Und als er dahin kam, sprach er zu ihnen: Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt!
Lukas 22,39-40

© Evangelische Brüder-Unität

Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.  Kor. 15,10

Liebe Gemeinde,

Konrad Adenauer, dem ersten Kanzler der Bundesrepublik, wird dieser Ausspruch zugeschrieben: „Ich bin, wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich.“ Mich beeindruckt es immer wieder, wenn jemand so ein großes Selbstbewusst-sein hat. Es gefällt mir aber auch nicht besonders gut: Ein solch großes Ego ist zuweilen gepaart mit Ignoranz und Rücksichtslosigkeit. Ein Mensch mit einem solchen Wesen stellt sich manche Fragen nicht, die viele andere und mich durch mein Leben begleiten und gelegentlich sogar quälen:

Wer bin ich eigentlich, und wer will ich sein, und was erwarten andere von mir? Mit wie vielen unterschiedlichen Rollen werde ich bedacht? Für jeden Menschen, der mir begegnet, bin ich jemand anderes, jeder sieht mich durch seine Brille. Kann und will ich all diesen Erwartungen gerecht wer-den?

„Wer bist du?“ Diese Frage muss sich auch Paulus immer wieder von seinen Kritikern anhören. Er passt nicht in ihr Bild. Sie fragen ihn: „Warum nennst du dich Apostel? Ein Apostel ist ein Zeuge Jesu Christi, der mit Jesus unterwegs war, dem der auferstandene Jesus erschienen ist und der die Ur-gemeinde in Jerusalem mit gegründet hat. Du aber, Paulus, hast die Christen früher verfolgt. Du kannst kein Apostel sein, also, wer bist du?“ Und Paulus antwortet auf diese Frage mit den Worten: „Ich bin, was ich bin!“ Er sagt nicht: „Meine Kritiker können mich. Die sind mir egal.“ Paulus versteht ihre Einwände und reagiert darauf: „Zuerst war ich, was ich war: Ein gefürchteter Gegner und Verfolger der Christen, aber dann ist mir der auferstandene Christus erschienen und hat mich, so wie ich war, zu einem Apostel gemacht. Nun bin ich, was ich bin.“ Aber Paulus schickt seiner Aussage noch einen Satz voraus: In 1. Korinther 15,10 sagt er: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“

Wie ist es mit uns: Sind wir, was wir sind, aus uns heraus? Oder macht allein Gott uns zu dem, was wir sind? Habe ich dann noch eigene Verantwortung für mein Leben oder bin ich wie eine Marionette in Gottes Hand? Paulus hat eine befreiende Erfahrung gemacht: Der auferstandene Christus ist Paulus erschienen, so wie er einst war, und hat Paulus gefragt: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ Christus stellt ihm keine Bedingungen. Er geht nicht mit einer Schablone an die Menschen heran, die er in sei-nen Dienst beruft. Wir sind die, die wir sind. Es gibt in Gottes Augen nicht den richtigen und den falschen Menschen. Es gibt nur unzählige unterschiedliche Menschen, alle mit Gaben und Grenzen, mit Stärken und Schwächen ausgestattet. Unser Wirken und Gottes Gnade lassen sich nicht gegeneinander messen, beides gehört zu unserem Leben, beides fließt zusammen. Gottes Gnade nimmt uns nicht die Verantwortung für unser Leben. Ich muss mich jeden Tag aufs Neue fragen, ob das, was ich tue, Sinn macht oder nicht, ob ich mit meinen Worten oder Taten verletzend oder heilend bin, ob ich zerstöre oder aufbaue. Gott macht aus uns keine komplett neuen Menschen, aber seine Gnade gibt unserem Leben ein neues Vorzeichen!

So ist es dem Paulus auch ergangen. Er bleibt, was er war: ein eifriger, ehrgeiziger und fleißiger Mensch, ein „Überzeugungstäter“ im besten Sinne. Aber durch Gottes Gnade wird aus dem Verfolger Christi ein Nachfolger Christi. Es verändert sich etwas grundlegend, und trotzdem bleibt der gleiche Mensch mit seinen Charakterzügen, mit seinen Eigenarten und seinen Gaben erkennbar.

Wenn Gott uns schon sein lässt, was wir sind und wie wir sind, sollten wir dann nicht den Mut haben, uns von dem Druck der Erwartungen zu befreien, die andere Menschen so oft an uns herantragen? Wir müssen nicht erst werden, um zu sein. Wir sind jetzt und hier so, wie wir sind! Wir sind zum Leben befreit. Gott schenkt uns die Freiheit: Das ist Gnade! Das ist das neue Vorzeichen vor unserer Lebensklammer. Wie man diese Freiheit leben kann, wie man sie für sich (neu) entdecken kann, das finde ich wunderbar beschrieben bei dem Schweizer Autor Peter Bichsel in seiner Erzählung „Amerika gibt es nicht“ : „...Am Hofe gab es starke Leute und gescheite Leute, der König war ein König, die Frauen waren schön und die Männer mutig, der Pfarrer war fromm und die Küchenmagd fleißig - nur Colombin, Colombin war nichts. Wenn jemand sagte: „Komm, Colombin, kämpf mit mir“, sagte Colombin: „Ich bin schwächer als du.“ Wenn jemand sagte: „Wie viel gibt zwei mal sieben?“, sagte Colombin: „Ich bin dümmer als du.“ Wenn jemand sagte: „Getraust du dich, über den Bach zu springen“, sagte Colombin: „Nein, ich getraue mich nicht.“ Und wenn der König fragte: „Colombin, was willst du werden?“, antwortete Colombin: „Ich will nichts werden, ich bin schon etwas, ich bin Colom-bin…“

Ja, es stimmt: Ich muss nichts mehr werden, um ich selber zu sein. „Von Gottes Gnaden“ bin ich ganz schön Ich. Wie Paulus es sagt: „Durch

Gottes Gnade bin ich, was ich bin!“ Amen.

Leben mit dem Vorzeichen der Gnade

wünscht Ihnen

Pfarrer Gernod Hussong