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Die Relevanz der Kirche zurückgewinnen

Dr. Martin Schuck
Martin Schuck studierte Evangelische Theologie in Mainz. Nach bestandenem Ersten Examen wurde er 1989 in das Vikariat der Evangelischen Kirche der Pfalz übernommen und 1991 zum Pfarrer ordiniert. Ab 1998 war er als wissenschaftlicher Referent am Konfessionskundlichen Institut in Bensheim tätig. Seit 2009 ist er Verlagsleiter der Verlagshaus Speyer GmbH. Schuck wurde 1998 an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen zum Dr. theol. promoviert. Schuck ist als Publizist tätig und veröffentlicht zu den Themen Kirche und Gesellschaft, Theologie, Philosophie und Geschichte. Insbesondere forscht er auf dem Gebiet des Protestantismus und seiner Wirkungen auf die Gesellschaft.1989, im letzten Jahr ihres Bestehens, hat er als Redakteur der kirchenkritischen Zeitschrift „Die Stimme der Gemeinde“ gewirkt.[1] Seit 1996 ist Schuck Schriftleiter des Pfälzischen Pfarrerblattes und seit 1999 Mitglied im Redaktionsbeirat des Deutschen Pfarrerblattes. Er ist Redakteur der Zeitschrift Evangelische Orientierung und Lehrbeauftragter für Systematische Theologie an der Universität Koblenz-Landau.

 

1. Die Kirchen in Deutschland stehen am vorläufigen Ende einer geschichtlichen Entwicklung, die mit dem Abschied aus der Einheitswelt des Mittelalters – also mit der Reformation – begonnen hat, die sich in der Aufklärung verstärkte, und die schließlich in neuen Zuordnungs- oder auch Trennungsmodellen endete, die allesamt unfähig waren, eine langfristig tragfähige Zuordnung von Staat, Kirche und Gesellschaft zu leisten.

2. Unsere Evangelische Kirche der Pfalz ist dabei einen originellen Weg gegangen, der allerdings viele allgemeine Aussagen über den Protestantismus und evangelische Kirchlichkeit vorbereitet und verstehbar macht: In der Verfassung der „Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz“ von 1818 wird an entscheidender Stelle, nämlich in der Präambel, vom „Wesen des Protestantismus“ gesprochen. Es gehöre „zum innersten und heiligsten Wesen des Protestantismus [...], auf der Bahn wohlgeprüfter Wahrheit und echt religiöser Aufklärung, mit ungestörter Glaubensfreiheit mutig voranzuschreiten“. Klarer hätten die Väter der Pfälzischen Union, deren 200. Jubiläum wir im kommenden Jahr feiern, ihr Verständnis des Protestantischen nicht artikulieren können: Religiöse Gewissheit und Aufklärung, christliche Wahrheit und Glaubensfreiheit gehören für sie untrennbar zusammen. Das ist kein Protest um des Protests willen; es ist vielmehr eine Haltung der kritischen Solidarität mit der Welt, in die man als Christ hineingestellt ist und die man in ihrer Säkularität ernst nehmen muss.

3. Zwei leider recht populäre Haltungen gegenüber der säkularen Welt sollten deshalb nach Möglichkeit vermieden werden: Auf der einen Seite die Kapitulation vor der durch die Säkularität gestellten Aufgabe durch das Fördern eines sich aggressiv-laizistisch gebenden Säkularismus; und auf der anderen Seite die Banalisierung des durch einen langen Prozess der Säkularisierung in Europa erreichten Konsenses einer funktionalen Trennung von Kirche und Staat durch das neoklerikale Gerede von der „Rechristianisierung Europas“ (katholisch) oder dem „Wächteramt der Kirche“ (evangelisch). Die Folge eines laizistischen Säkularismus wäre der Rückzug in den Bereich des Privaten und damit der Verlust jeder gesellschaftskritischen Potenz; die Folge des neoklerikalen „Wächteramts“ wäre ein Rückfall in theokratische Tendenzen, die man seit der Zeit der Aufklärung zumindest in Mitteleuropa für überwunden hält.

4. Der Protestantismus heute steht deshalb vor einer schweren Aufgabe: Einerseits gibt es ihn noch sehr stark in einer säkularen Variante. Viele Kulturschaffende in den unterschiedlichsten Bereichen tragen als freie, ungebundene Persönlichkeiten die Ideale des Protestantismus weiter. In den evangelischen Kirchen geht es dagegen heute viel um „corporate identity“, um Organisationsanalyse, um Perspektivpläne und Impulspapiere, um Leitbilder und „Visionen“ von Unternehmensberatern, die man sich ins Haus holt. Der Protestantismus hat ein Problem mit seiner Kirchlichkeit.

5. Die Kirche erscheint vielen vor allem als Institution, Organisation und in der Vorstellung mancher sogar als ein „Unternehmen“ – mit fatalen Folgen für den Protestantismus. Die kritische Distanz, die in früheren Jahrzehnten gegenüber der „Institution Kirche“ gerade im Namen der Theologie kultiviert werden durfte, wird heute kaum noch geduldet. Ein Angestellter eines „Unternehmens“ hat sich diesem gegenüber gefälligst nicht kritisch zu äußern, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Eine Kirche allerdings, die jede Fähigkeit zur Selbstkritik verloren hat und sich immer mehr anschickt, Kritik aus ihren eigenen Reihen nicht einmal mehr zu dulden, kann sich nicht mehr „ekklesia semper reformanda“ (Kirche, die ständig zu erneuern ist) nennen. Sie ist unfähig zur Reformation, sie kann nur noch „umgebaut“ werden.

6. Vielleicht sollten sich die Protestanten von der starken Fixierung auf die Kirchenorganisation abwenden und sich wieder mehr zur Gesellschaft hinzuwenden. Dort, in der Säkularität der Gesellschaft, ist der Ort, wo Menschen fragend nach dem Sinn des Daseins suchen, wo die alte Frage Luthers nach dem „gnädigen Gott“ zur Frage nach dem anerkennenden Menschen in der „gnädigen Gesellschaft“ mutiert, und wo gerade diejenigen Menschen, die große Verantwortung tragen müssen, immer öfters erkennen, dass mit kalter Rationalität allein nichts erreicht werden kann.

7. Die Sinnsuche ist in unserer Gesellschaft virulent, an den unterschiedlichsten Orten. Diese Orte zu suchen und dort wieder die Botschaft der Bibel, durch die Brille reformatorischer Theologie gelesen, ins Spiel zu bringen – das wäre eine wahrhaft reizvolle Aufgabe und ein hervorragender Beitrag einer Kirche mit dem Anspruch, eine „ekklesia semper reformanda“, also eine sich beständig erneuernde Kirche zu sein. Die Debatte um die vor knapp 20 Jahren vom Vatikan und vom Lutherischen Weltbund unterzeichnete „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, unter großer Anteilnahme der Leserschaft ausgerechnet in derjenigen großen deutschen Zeitung geführt, die normalerweise für Börsendaten und Wirtschaftspolitik steht, zeigt, dass es gerade unter den sog. Leistungsträgern unserer Gesellschaft ein riesiges Bedürfnis nach solchen Fragen gibt, die den Sinn des Daseins zum Thema machen.

8. Wie aber will die Kirche ihre Relevanz für die Menschen und die Gesellschaft zurückgewinnen? Vielleicht ist das einzig Verheißungsvolle, sich hineinzubegeben in die Säkularität der Gesellschaft und sich wirklich zu bemühen, die Orte der Sinnsuche innerhalb dieser Gesellschaft zu entdecken. Das ist nun allerdings nichts, was irgendeine kirchliche Behörde oder eine nach nicht transparenten Kriterien zusammengesetzte Kommission von oben verordnen könnte, und man sollte die Sorge um dieses Thema auch nicht den Behörden und Kommissionen überlassen, denn dort gehört es nicht hin. Die Impulse zu einem solchen kirchlichen Nachdenken sind nicht planbar und sie folgen auch keinen Zielvorgaben und Qualitätskontrollen.

9. Solche Impulse müssen aus dem Innern, dem Herzen der Kirche kommen – und dieses Herz schlägt bekanntlich in den Gemeinden; es schlägt bei den Menschen, die im säkularen Alltag bestehen müssen, aber gleichzeitig nach einem tieferen Sinn ihres Handelns in diesem Alltag suchen. Nicht einzelne Leuchttürme sind zu errichten, sondern die Kirchtürme vor Ort müssen sichtbar bleiben – und wenn möglich: beide Kirchtürme! Vielleicht gilt es Abschied zu nehmen von der Vorstellung, irgendein christliches – sei es protestantisches oder katholisches – Profil ließe sich durch einen inflationär gebrauchten Profil-Begriff zurückgewinnen. Die Gewinnung von Profil ist nicht durch die Errichtung von Profil-Gemeinden planbar. Das hätte aber einen Paradigmenwechsel in der öffentlichen Darstellung der Kirchen zur Voraussetzung.

9,5. Bleibende Leitwissenschaft einer Kirche, die ihre Zukunft nicht auf Reformen, sondern auf die Reformation baut, sollte die Theologie sein – und nicht die Betriebswirtschaftslehre.

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Kommentare

Rosi, 02-08-19 10:27:
Sehr geehrter Herr Schuck,

was nützen Gebote und Gesetze, wenn diese nicht eingehalten werden? Ist die evangelische Kirche wirklich ein Nachfolger Jesu oder lediglich eine Partei oder Organisation, welche auch nur ihre eigenen Ideologien aufstellt und diese den Menschen vermittelt ? Was meinen Sie ? Bitte um Antwort.