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Losung

Losung für Freitag, 19. April 2024
Noah tat alles, was ihm Gott gebot.
1.Mose 6,22

Jesus spricht:  Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.
Matthäus 7,24

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Angedacht


Andacht zu Johannes 7, 37 – 39, 16. Mai 2021 (Exaudi)

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

viele Menschen haben sich am Tempel in Jerusalem am letzten Tag des sogenannten Laubhüttenfestes versammelt. Man hört Gesang und Musik, sieht die feierliche Zeremonie der Priester, die frischgeschöpftes Wasser am Altar ausgießen als Sinnbild der Reinigung und des frischen Lebens. Doch plötzlich ruft Jesus den Menschen zu: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!“ Was für eine Zumutung für die Feiernden. Wie würden wir reagieren, wenn jemand unseren Gottesdienst derart störte?

Für viele ist dieser Anspruch Jesu auch heute noch eine Zumutung.

Wir laufen ja zu allen möglichen Tränken. Viele Ideologen, Theologen, Weltanschauler versprechen uns: Frieden, Freiheit und Erlösung findet ihr nur hier!

Aber: Wonach dürstet der Mensch eigentlich? Es gibt doch einen Durst nach etwas Bleibendem, nach einem Sinn im Leben, nach schöpferischer Leistung: „Ich will etwas Sinnvolles tun, zu etwas da sein. Ich dürste nach Recht und Gerechtigkeit, nach Liebe.“ Jesus begegnet diesem Durst mit seinem Angebot. Er tritt in eine echte Marktlücke. „Am letzten Tag des Festes, der der höchste war.“ Es gibt Leute, die auf der Höhe ihres Lebens plötzlich einen großen Durst empfinden. Jetzt, wo sie alles haben, Geld, Haus, Familie, Erfolg, Ansehen, meldet sich das tiefste Verlangen nach dem Bleibenden, Ewigen. Jesus sagt zu ihnen: „Kommt her zu mir, trinkt.“ Ob Jesus gehört werden wird? Oder kommen der Durst und das Wasser nicht zusammen, weil eine Barriere dazwischen ist? „Ach dieser Jesus und das alles mit dem Glauben, das ist doch kein Drink für moderne Menschen“ sagen die, die sich in der Bar einen doppelten Whisky bestellt haben. „Dieser Jesus, dessen Wasser aus der Zisterne „Kirche“ stammt. Die ist doch abgestanden und schal. Das kann uns nicht einmal in der „Corona-Krise“ helfen.“

 Kehren wir noch einmal zurück zum Tempelplatz in Jerusalem. Kann der Anspruch des einsamen Mannes, der in den Rausch der Festfreude, in die Sehnsucht der Menschen und ihren Lebensdurst hineinruft: „Wen dürstet, der komme zu mir und trinke!“ heute noch gelten? Deshalb hat man ihn gerade wegen dieses Anspruches ausgelacht und schließlich umgebracht. Es wird darum auch nicht mehr genügen, sich nur der Sprache der überlieferten Glaubenssätze zu bedienen. Die ist gut, aber unserer Zeit fremd geworden. Etwa die unüberbietbare Frage 1 des Heidelberger Katechismus: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ Die Antwort: „Dass ich mit Leib und Seele, beides, im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilandes Jesu Christi eigen bin, der mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkömmlich bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst und also wahrt.“ Hartes Brot für unsere heutigen Ohren.

Wir müssen wieder mehr dem Ruf Jesus „kommt zu mir,“ ernst nehmen, auch in den schwierigen „Corona-Zeiten.“ Nicht Meinungen, nicht Diskussionen über ihn, ihn selbst sollten wir wieder hören. „Kennen wir Jesus?“ Viele kennen ihn scheinbar nicht mehr. Er aber bietet uns an, ihn wieder kennen zu lernen. „Komm, trinke!“ sagt Jesus. „Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme des lebendigen Wassers fließen.“ Wir sind eingeladen zu trinken und sollen selbst zur durststillenden Quelle werden. Dann finden wir selbst Halt in der „Virus-Zeit“ und können zum Halt für andere werden. Auf einem Holzschnitt des Malers Rolf Müller sind drei Köpfe zu sehen. Der Gekreuzigte in der Mitte, an den Seiten die beiden gehenkten Verbrecher. Abgewandt, verkrampft, mit zusammen gepressten Lippen der eine, weit die Lippen geöffnet der andere. Ein Verdurstender, Jesus zugewandt, dem der rettende Trank gereicht wird. So ist gemeint: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke.“ Trinkt, weil davon das Leben abhängt!

Wir sind eingeladen. Trinken aber müssen wir selbst. Dazu gezwungen werden wir nicht. Denn man kann einen Esel zum Brunnen führen, zum Trinken bewegen kann man ihn nicht. Man kann über Jesus sehr klug diskutieren und bleibt ihm doch fern. Anderseits braucht man nicht viel von Theologie und Philosophie zu verstehen und kann doch bei ihm das Leben finden, wenn man hungert und dürstet nach Wahrheit und Leben, Liebe und Freiheit, nach einem festen Glauben und einem guten Mut in schwierigen Zeiten. Das bietet Jesus uns an: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!“ Und dann das andere: „Von des Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Wo Wasser in Tümpeln stehen bleibt und nicht weiter fließt wird es faul und stinkend, eine Brutstätte für Krankheitserreger aller Art. Wenn wir die Gaben, die Gott uns schenkt empfangen aber nicht weitergeben, dann versiegen die Ströme bebendigen Wassers. Wo man die guten Gaben Gottes jedoch teilt, da werden wir zur Quelle des Lebens für andere. Gerade heute, wo Hunger, Armut, Knechtschaft, Heimatlosigkeit, Krankheit, Alter und ein Virus, das eine Pandemie auslöste, Völker aus allen Erdteilen quälen, brauchen wir eine Christen, von denen Ströme lebendigen Wassers ausgehen. Unsere Welt ist in vielerlei Hinsicht in verschiedene Lager getrennt. Schnell werden heute aus Menschen mit anderer Meinung Feinde. Müssten da nicht heilende Ströme und ein neuer Geist fließen? Schauen wir auf unsere Welt. Überall Corona-Not. Dazu kommt im Süden noch der Hunger. Im Osten vielfach der Atheismus und bei uns im Westen die Orientierungslosigkeit. Überall eine gefährdete Schöpfung. Da brauchen wir einen Geist, den wir uns nicht selbst geben können. Den müssen wir uns schenken lassen. Von Gott selbst. Wir gehen wieder auf Pfingsten zu. Nicht nur, weil es so im Kalender steht, sondern weil Gott die Schleusen seines Geistes öffnen und uns damit beschenken will. „Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten.“ Pfingsten will uns ermutigen, um den Geist der Erneuerung zu beten. Und der heutige Sonntag Exaudi ist die Vorbereitung dafür.

Wir können, dürfen und sollen Gott um seinen Geist bitten. Den Geist der Erneuerung, der Freiheit, der Gemeinschaft mit Gott, den Menschen, der ganzen Schöpfung. Ich bin mir sicher: Er wird sich unserer Bitte nicht verweigern und dann werden wir erleben wie unser Lebensdurst gestillt wird und wir selbst zu einer Quelle lebendigen Wassers für andere werden!

Seien Sie behütet!

Ihr Pfarrer Andreas Gutting


Andacht über 1. Könige 8, 22 – 4 + 26 – 28, Christi Himmelfahrt 2021

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

der Bibeltext zum heutigen Tag zielt in den Himmel hinein und stellt uns vor eine der schwierigsten Fragen überhaupt: „Wo wohnt Gott?“

Mir ist zu dieser diffizilen Frage sofort der Witz mit dem Badezimmer eingefallen. "Wo glaubt ihr, wohnt Gott?" will die Religionslehrerin von ihren Schülern wissen. "Im Badezimmer", antwortet Fritzchen, ohne zu zögern. "Ja, wie kommst du denn darauf?" fragt die Lehrerin verwundert. "Na jeden Morgen, wenn mein Vater aufsteht, hämmert er gegen die Badezimmertür und schreit: „Mein Gott, bist du denn immer noch da drin?"

Wo wohnt Gott? Gut, das Badezimmer können wir schon mal streichen. Auch wenn ein Blick in die Regale der Drogeriediscounter uns daran wieder zweifeln lassen könnte: „Duschbad Himmlische Freuden“ oder „Im 7. Himmel Nagellackentferner…“

Orientieren wir uns bei unserer Suche an der deutschen Klassik, fällt uns sofort ein gewisser Friedrich Schiller ein: „Brüder überm Sternenzelt, muss ein lieber Vater wohnen…!“ Jemand hat mal gesagt: „Unter der Woche wohnt Gott im Himmel – der kannte seinen Schiller – … und am Sonntag in der Kirche.“

Und an Himmelfahrt überall, wo Gottesdienst gefeiert wird und Menschen in seinem Namen zusammenkommen…. können. Das gilt natürlich nur, wenn Himmelfahrt ein gesetzlicher Feiertag ist. Walter Ulbricht hatte ihn ja schon mal abgeschafft. Daraufhin lancierten damals hohe Kirchenvertreter folgenden Witz unter die Bevölkerung: Walter Ulbricht ist gestorben und das spricht sich in Windeseile im Himmel herum. Marx, Engels, Lenin und Thälmann warten 2 Wochen lang auf ihn, doch er kommt und kommt nicht. Schließlich gehen sie zu Petrus, um mal nachzufragen, wo denn Ulbricht solange bleiben würde. Worauf Petrus antwortet: "Tja Jungs, Ulbricht hat Himmelfahrt abgeschafft – jetzt muss er laufen."

Aber: Spaß beiseite, Ernst komm her: Wo wohnt Gott denn nun? Wer hätte eine schnelle Antwort parat? Im Stillen Kämmerlein? Aber wo gibt es das noch, ein Raum, in dem es wirklich völlig still ist?

In der Kirche? Aber in welcher von den vielen? Im unserem Herzen? Aber das wäre dann eine WG mit ziemlich vielen anderen interessanten – oder zweifelhaften - Typen. Über den Himmeln? Dort wiederum im Himmel, der wieder einen Himmel hat der wieder einen Himmel hat. Das geht gegen Unendlich. Gott wohnt in der Unendlichkeit? Schwer vorstellbar… Und wenn, dann wäre er ziemlich distanziert und wir könnten ihm gar nicht mehr recht glauben, dass er mit uns zusammen sein will.

Wo wohnt Gott? Wir gedenken der Himmelfahrt Jesu – er geht nach Haus zu seinem Vater. Dahin zurück, wo er hergekommen ist. Da braucht er doch eine Adresse, eine Anschrift.

Und wir brauchen sie auch, wir sollen ihm ja mal folgen, jetzt noch nicht gleich, aber dann irgendwann.

Wo geht’s denn nun hin? Wo wohnt er? Vielleicht hat jemand schon die Lösung und verrät sie uns nur nicht? Z.B.: „Gott wohnt -überall und nirgends!“ Na, das wäre doch schon mal was!

„Sag mir wo Gott wohnt, und ich gebe dir 1 Schekel. Sag mir, wo Gott nicht wohnt und ich geb‘ dir 100 Schekel.“ So antworten die Leute auf unsere Frage, die Gott schon tausend Jahre länger kennen als wir Christen. Kurz und bündig. Bei denen wird nicht lange um die Sache herumgepredigt – ohne etwas zu sagen…

Aber das reicht uns natürlich wieder nicht… „Überall und nirgends!“ Und bei genauem Hinsehen hat es denen vor bald dreitausend Jahren ja auch nicht gereicht. Da musste unbedingt ein bescheidenes Tempelchen gebaut werden. Mit goldenen Türklinken und Massivholzlaminat und dem ganzen Schnickschnack. Und bei der Einweihungsfeier sagt der Festredner einfach: Wir haben Gott ein Haus gebaut in dem er nicht wohnen kann. Eben weil er Gott ist.

Wenn die Himmel der Himmel Gott zu klein sind, dann ist es jede irdische Hütte erst recht. Und doch machen wir ihm immer wieder und zu allen Zeiten solche Vorschläge: Hier in unserer Kirche in Zeiskam könnte er doch ganz gut wohnen. Darum renovieren wir sie unter anderem ja, dass es ihm bei uns gefällt… Aber Gott ist ja einer und nicht zwei, und deshalb kann er nicht bei den anderen und bei uns wohnen. Also wohnt er nur bei uns.

Die Methodisten kamen über den großen Teich nach Deutschland und haben von jenseits des Meeres den lieben Gott mitgebracht. Aus Gottes eigenem Land! Meinten sie. Das hat natürlich diejenigen sehr erregt, die der Überzeugung waren, er würde schon immer bei ihnen in Deutschland wohnen. Dabei waren die Methodisten gar nicht die einzigen, die da im gut lutherischen und streng katholischen Deutschland die angestammten Wohnrechte Gottes streitig machten. Mit ihnen kamen die Baptisten, die Adventisten, und noch viel andere, die die guten deutschen Christenmenschen erzürnten. Bei wem wohnt er denn nun? Und alle gemeinsam riefen es sich gegenseitig ins Gesicht: Bei uns, selbstverständlich! Schon im 16. Jahrhundert spielte man das gleiche Spiel, als sich die guten Katholiken ebenso maßlos darüber aufgeregt hatten, dass der liebe Gott plötzlich nicht mehr allein in einer guten katholischen Messe anwesend sein sollte. Die haben damals sogar richtig Krieg darum geführt, bei wem Gott nun wirklich wohnt. Gleich dreißig Jahre lang. Ohne die Frage wirklich zu klären.

Von daher ist es irgendwie auch entlastend, ja geradezu friedenstiftend, wenn wir uns nicht mehr so ganz sicher sein können, ob wir die richtige Antwort gefunden haben auf diese so wichtige Frage: „Wo wohnt Gott?“ Wo wohnt er? Das ist ja immer auch die Frage: Bei wem wohnt er?

Oder wohnt er gar nicht bei uns, sondern lieber für sich? Ganz allein? Und eher licht und luftig als massiv und ortsgebunden? Der erste Versuch, Gott ein Haus zu bauen, damals vor 3000 Jahren, wurde höchst misstrauisch beäugt und hatte die damalige Theologenzunft tief gespalten. Und Salomo, König, Bauherr und Festredner kann sich nicht zurückhalten, die Stimmen der Kritiker aufzunehmen: Wir haben Gott ein Haus gebaut in dem er nicht wohnen kann. Eben weil er Gott ist. Warum also jetzt ein Haus? Für eine Person?

Warum sollte es plötzlich das alte Zelt nicht mehr tun? Gott als Camper, so kannte man ihn. Aber nicht etwa mit so einem Wohnmobil, das aussieht wie ein Reisebus und man sich fragt, wenn das Ungetüm auf den Campingplatz rollt, warum die nicht gleich zuhause geblieben sind.

Nein, ein 1-Mann-Zelt war es bisher: nur durch ein Stück Stoff vom wirklichen Leben getrennt. Abends aufbauen zum Schlafen und morgens abbauen, verstauen und wieder rauf aufs Bike…

Plötzlich musste es nun etwas Massives sein, eine Immobilie. Ganz klar: Das haben die sich im Alten Israel bei den Nachbarn abgeguckt: Alle hatten sie einen Tempel. Mindestens einen… Och – so was wollen wir auch haben! So haben sie wohl gedacht und gesagt. Und dann haben sie gebaut. Wie für die Ewigkeit. Aber schauen wir uns an, was von dieser Wohnung Gottes heute noch übriggeblieben ist: eine einzige Mauer. Und die stammt schon vom 2. Versuch! Der erste lag schon 400 Jahre nach der Einweihung wieder in Schutt und Asche.

Welche Lehre ziehen wir heute daraus? Von Immobilien sollte man die Finger lassen, wenn’s ums Ewige geht. Interessant ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass auf der allerletzten Seite der Bibel schwarz auf weiß zu lesen ist, dass Gott einmal wieder bei den Menschen zelten wird. Zelten! Versprochen. Das hilft uns heute am Himmelfahrtstag freilich wenig. Zumal es die entgegengesetzte Richtung ist. „… Gottes Zelt bei den Menschen…“ Da gehen wir nicht zu ihm, da geht es anders lang… da kommt er zu uns.

„Wo wohnt Gott?“

Wir könnten ja jetzt noch was ganz Modernes ins Spiel bringen. Der letzte Schrei der Wissenschaft: Gott im Gehirn! Der Himmel ist jetzt in unseren Köpfen. Ich meine, irgendwie ahnten wir das vielleicht schon immer. Wie heißt es so schön: „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich…“

Gott wohnt, wenn man den modernen Neurotheologen Glauben schenken will, in den Windungen unseres Gehirns. Genau genommen im so genannten Temporallappen. Temporal-Lappen! „Temporal“ heißt „zeitweise“. Also ab und zu mal. Also in dem Teil des Hirns, der nur zeitweise in Benutzung ist. Das würde passen. Einen Tag in der Woche ist er an, immer wieder sonntags, und den Rest der Woche steht der auf „Standby“…

Trotzdem bleiben natürlich doch wieder zwei Einwände bestehen.

Erstens: Es könnte es ja immerhin sein, dass Gott einfach mal – unter der Woche sogar und gegen die Regel – dem Neurotheologen mit der Temporallappentheorie höchst persönlich zu Kopf gestiegen ist. Und dort, in seinem Hirn, hat er dann den Temporallappen angehoben und unter ihm die Info abgelegt, er würde jetzt hier wohnen. Sozusagen, um ihn in Sicherheit zu wiegen und um seine wirkliche Spur gleich wieder zu verwischen. Je lauter also einer ruft: „Ich hab ihn!“ umso sicherer könnte er damit falsch liegen. Es ist eben Gott, dessen Wohnsitz wir suchen und nicht irgendein Frömmigkeitsneuron.

Und zweitens: Sollte die Theorie doch stimmen, Gott wohnt im Hirn, dann heißt die zweite Frage ja wieder: In welchem von den vielen denn?

Wo wohnt Gott?

Ich komme zum Schluss n. Und würde mich nun doch endlich festlegen und eindeutig sagen: „Gott wohnt immer – gegenüber!“ Im DU. In dem Gesicht, in das wir schauen, da können wir ihn erkennen. Obs uns gefällt oder nicht. Ja und auch in der Natur, seiner guten Schöpfung, die uns anvertraut ist – auch da können wir ihn erkennen. Auch wenn wir uns seit geraumer Zeit die größte Mühe geben sein Antlitz darin zu entstellen.

Weil wir es aber gewohnt sind, von einer Andacht immer etwas ganz Sicheres mit zu bekommen - eine Lösung, eine Antwort - gebe jetzt zum Schluss eine der schönsten Antworten auf die Frage „Wo wohnt Gott“.

Es ist eine jüdische Antwort und sie lautet: „Gott wohnt, wo man ihn einlässt.“

Probieren sie‘s mal aus! Und seien Sie behütet!                                                 Ihr Pfarrer Andreas Gutting


Andacht zu Lukas 11, 5 – 13, Sonntag, den 9. Mai 2021 (Rogate)

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

ein Mann will ein Bild aufhängen, hat aber keinen Hammer. Die Idee, sich beim Nachbarn einen zu borgen, verwirft er schnell wieder: Der Nachbar könnte ihm nichts leihen wollen. Wahrscheinlich kann er einen auch gar nicht leiden. Fast ist er sich sicher, dass der Andere ein ganz unmöglicher Mensch ist. Der soll bloß nicht denken, man sei auf ihn angewiesen! Am Ende rennt unser Mann zum Nachbarn und schleudert dem Ahnungslosen ins Gesicht, er sei ein Rüpel und können seinen Hammer behalten.

Paul Watzlawick erzählt diese Geschichte in seiner ‚Anleitung zum Unglücklich sein‘.

Und damit erzählt er auch eine ganze Menge von mir. Er redet über die Unfähigkeit, mit einem Anliegen offen auf Andere zuzugehen. Und er erzählt von den Vorurteilen, die uns manchmal derart behindern, dass sie jeden Ansatz eines Miteinanders zerstören.

Der Text aus dem Lukasevangelium schildert eine Szene aus dem alten Palästina. Genauer gesagt: Aus dem Arme-Leute Milieu der damaligen Zeit. Es gibt keinen Bäcker, aber man weiß im Dorf, wer abends noch Brot hat. Einen Gast zu bewirten, das ist Ehrensache. Da muss man sich anstrengen, auch wenn man selber nichts hat. Also klopft man jemanden heraus, um sich wenigstens Brot zu borgen. Dass der den Hilfsdienst verweigert, das ist undenkbar. Vielleicht hilft er knurrend, aber allein die Angst, es könnten alle im Hause wach werden, treibt ihn von seiner Schlafstelle zur Tür.

Die Bitte des bittenden Freundes wäre unerhört geblieben, hätte der sich - aus lauter Bescheidenheit oder Misstrauen – gar nicht erst auf den Weg gemacht. Meine Bitte bleibt unerhört, wenn ich mich nicht auf den Weg mache. Wie in der Geschichte von Paul Watzlawick.

Unsere Erzählung aus dem Lukasevangelium ist ein schön zusammengestelltes Lehrstück über das Beten.

Eingeleitet wird unser Text durch die Bitte der Jünger: Herr, lehre uns beten. Das Vorbild des betenden Jesus alleine reicht offenbar nicht aus. Sie brauchen Hilfe.

Doch von Jesus erfahren die Jünger herzlich wenig darüber, wie oft und aus welchem Anlass man beten soll. Und ich glaube, das ist Absicht. Denn Beten ist etwas Persönliches und muss darum auch zur Persönlichkeit passen. Es kann sinnvoll sein, bei Tisch vor dem Essen zu beten – oder auch nicht. Es kann gut sein, abends oder morgens zu beten – oder auch nicht.

Konsequenterweise redet Jesus vom Beten, wie von einem Handeln unter Freunden. Dem bittenden Freund ist es egal, warum er das Brot bekommen hat. Hauptsache er hat es und kann seinen Pflichten als Gastgeber nachkommen. Er hat seinen Freund empfindlich gestört, aber hatte Erfolg. Eine Freundschaft muss das aushalten können. Sonst taugt sie nichts.

Mit Gott kann ich reden wie mit einem Freund, ein Satz, der Menschen immer wieder staunen lässt, weil sie scheinbar anderes erfahren. Vor Gott muss man würdig auftreten, heißt es. Die Bibel erzählt ganz andere Geschichten. Sie erzählt von Menschen, die es so machen, wie der Freund in dieser Geschichte. Die einfach losgehen und bitten. Die darauf vertrauen, dass sie mit Gott reden dürfen und er hören will, egal wie ungefiltert oder gestammelt mein Gebet daherkommt. Egal ob ich täglich bete oder unregelmäßig. Natürlich hat es Vorteile, wenn ich regelmäßig bete. Dann lerne ich mich selbst besser kennen und lerne mehr auf Gott zu vertrauen. Aber Gott will mich hören, wenn ich ihn brauche oder einfach nur mal „Danke“ sagen will. Auch wenn ich mitten in der Nacht zu ihm komme, wenn ich störe und auf die Nerven gehe.

So wie kein Vater und keine Mutter Kinder freiwillig enttäuschen würden, so wird auch Gott uns nicht enttäuschen. Und selbst dort, wo Eltern ihre Kinder enttäuschen, dürfen wir uns darauf verlassen, dass Gott genau das nicht tun will.

Im Mittelpunkt von dem, was Jesus sagen will, steht mein Tun.

Wie gehe ich mit dieser Einladung um, mit Gott zu reden? Wie mit einem Freund, dem ich blind vertraue? Wie nähere ich mich meinem Gott?

Seit der Tempelvorhang bei der Kreuzigung Jesu zerrissen ist, haben wir einen ganz persönlichen Zugang zu Gott. Wir müssen uns Gott nicht sklavisch und ehrerbietig annähern, sondern mit dem Selbstbewusstsein, die aus der Berufung kommt: Ich bin Gottes Kind, und darum darf ich bitten. Ich darf aufrecht gehen und mit ihm reden. Ich darf mit ihm diskutieren und ihm widersprechen. Ich darf nervig sein.

Meinen eigenen Weg zu beten, muss ich allerdings selber finden. Jesu Gebot zielt weder auf Tischgebete noch auf Gute-Nacht-Gebete. Das alles kann zum entsetzlichen Zwang werden. Doch Zwang sollte Beten niemals sein! Jesus geht es vielmehr um befreites Beten. Um ein Reden mit Gott voll Vertrauen. Aber auch in dem Bewusstsein: Gottes Wille kann oft mehr als das, was ich verstehen kann oder was ich erwarte. Darum heißt es ja im „Vater Unser“, das Jesus selbst uns zu beten gelehrt hat, auch: ‚Dein Wille geschehe‘.

Nicht alles, was ich bete, passt unter Umständen zu Gottes Willen. Aber ich darf es aussprechen. Ich darf und soll mich überwinden, „Bitte“ zu sagen.

Das könnte auch meinen Umgang mit meinen Mitmenschen verändern. „Bitte“ gehört ja für viele Menschen zu den schwierigsten Worten. „Bitte“ zu sagen bedeutet, meine Abhängigkeit einzugestehen, von meiner Hilfsbedürftigkeit zu erzählen. Für die Alten war das noch selbstverständlich. Kein Ei im Haus? Die Läden zu? Dann geht man bitten. Und erhält.

Ich brauche den Mut, zu bitten und zu beten. Die Antwort Jesu ist eine Einladung. Das Gebet zu Gott. Es soll und darf genauso selbstverständlich sein, wie einen Freund oder Nachbarn um Hilfe zu bitten. Und es wird nicht unerhört bleiben. Probieren Sie es doch einfach einmal aus!

Seien Sie behütet!

Ihr Pfarrer Andreas Gutting

 

 

Andacht zum Lied „Weißt du wieviel Sternlein stehen?“ EG 511 Sonntag, den 2. Mai 2021 (Kantate)

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

wenn ich die Melodie dieses Liedes höre, dann öffnen sich in meiner Erinnerung Türen. Türen in die Zeit, als ich ein Kind war. Das Lied gehört zum Soundtrack meiner Kindheit. Es wandert mit mir und uns durch die Zeit. Schon durch viele Generationen lang und ich habe mich damals sehr gefreut, als es wieder Aufnahme in unser Gesangbuch gefunden hatte.

Es ist ein Lied für den Abend. Wenn es draußen schon dunkel geworden ist und nur noch ein Nachtlicht brennt. Es ist ein Lied für den Sommer. Eines, das man vor sich hin summt, wenn man draußen sitzt, der Himmel ganz weit ist und es sind vielleicht Ferien. Auf jeden Fall genug Zeit, den Wolken hinterher zu sehen und sie zu zählen: eins, zwei, drei, vier… fünfundachtzig, sechsundachtzig, siebenundachtzig… Und dabei ins Träumen zu kommen.

Strophe 1

Weißt du wieviel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?

Weißt du wieviel Wolken gehen weithin über alle Welt?

Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet

An der ganzen großen Zahl, an der ganzen großen Zahl.

Im Sommer im August habe ich oft in den Sternenhimmel geschaut. Weil es so warm war und man an vielen Abenden lange draußen sitzen konnte. Ich darauf gewartet, dass Sternschnuppen am Himmel zu sehen wären. Das finde ich immer wieder faszinierend. Ok, ich bin schon auch mal im Liegestuhl eingeschlafen. Aber das macht nichts. Auch der Schlaf unter freiem Himmel ist ja durchaus etwas Besonderes.

Das Lied lenkt unseren Blick in den Himmel. So viele Sterne. So viele Wolken. Niemand kann sie zählen. Die Frage „Weißt du, wieviel Sternlein stehen?“ ist keine echte Frage. Sie stupst uns an, damit wir hinter die Sterne schauen und weiter als die Wolken. Sie will uns anregen, weiter zu schauen, in die Unendlichkeit, damit wir in der Unendlichkeit der Sterne und in der Freiheit der Wolken Gott finden. Er, um den die Sterne kreisen, er, der Wolken Lauf und Bahn gibt, weiß es. Gott weiß um Sterne und Wolken. Wolken und Sterne kümmern Gott aber nicht, weil er der große Buchhalter oder Mathematiker ist. Gott ist hier nicht der Alleswisser. Er ist der, den es kümmert, wenn eines fehlt. Wenn ein Licht verlöscht. Wenn die Wolken fehlen, weil die Erde so sehr ins Schwitzen kommt. Gott ist ein Kümmerer. Er merkt es, wenn etwas verloren geht.

Wir denken vielleicht, es kommt nicht so auf uns an. Wir sind doch nur ein Mensch unter vielen. Bedeutungslos. Wie ein winziges Sandkorn an einem riesigen Strand. Gott sieht uns ganz anders an. Ihm fehlt etwas, wenn wir nicht sind. Er kriegt ein Loch ins Herz, wenn wir verlöschen. Er will, dass unser Licht leuchtet. Darum ist dieses Lied so wichtig für Kinder und für Erwachsene. Darum ist es so richtig am Platz, wenn wir Kinder taufen und ihnen versichern: Du bist Gott alles andere als egal. Gott hat dich lieb. Und wir wollen es für uns hören: Gott will, dass du da bist. Er will, dass dein Lebenslicht leuchtet.

Strophe 2

Weißt du wieviel Mücklein spielen in der heißen Sonnenglut?

Wieviel Fischlein auch sich kühlen in der hellen Wasserflut?

Gott der Herr rief sie mit Namen, dass sie all ins Leben kamen

Dass sie nun so fröhlich sind, dass sie nun so fröhlich sind.

Gott ruft ins Leben. Wir sind Gerufene. In unserer Taufe wird uns das vor Augen gestellt. Bei der Taufe wird der Name des Menschen genannt, der getauft wird. Damit wird gesagt: Du bist nicht irgendwer. Du bist nicht die Nummer 38 im Taufbuch. Du bist ein Mensch, den Gott ins Leben gerufen hat. Den er gewollt und gedacht hat. Du kommst aus der Liebe Gottes und hast noch Sternenstaub im Haar.

Eltern sprechen ja oft von dem Wunder, das geschieht, wenn ein Kind geboren wird. Ein Wunder, das allen Erklärungen zum Trotz, ein Geheimnis in sich trägt und uns staunen lässt.

Wir sind Gerufene. Das Lied ordnet diesen Ruf Gottes aber nicht nur uns Menschen zu, sondern auch den Fischlein und Mücklein, die zu den kleinsten Lebewesen in seiner Schöpfung gehören. Alles, was lebt gehört dazu für ihn. Ist gewollt. Soll sein!

So wird deutlich, dass wir Menschen eben nur ein Teil seiner Schöpfung sind. Wie Gott uns gewollt hat, so hat er den ganzen Reichtum der Schöpfung gewollt und bejaht. „Unser Leben ist Leben inmitten von anderem Leben, das leben will.“ (Alberst Schweizer)

Wir sind Gerufene. Es ist wunderschön, wenn ein geliebter Mensch uns beim Namen ruft. Liebevoll, unverwechselbar, unersetzlich. Das merken wir, wenn dieser geliebte Mensch uns fehlt. Wie er oder sie uns beim Namen genannt hat, das kann niemand sonst. So stelle ich es mir vor, dass Gott uns beim Namen ruft. Liebevoll und unverwechselbar. Er ruft uns ins Leben, am Anfang, wenn wir aus seinen Gedanken, aus seinem Herzen und seinen Träumen kommen. Im Leben macht sein Ruf uns Mut, wirklich zu leben – mit mehr Mut, mit mehr Kraft und mit mehr Liebe. Manche sagen, wir würden geboren, um zu sterben. Im Ruf Gottes erfahren wir etwas Anderes: Wir sind nicht gekommen, um zu sterben. Wir sind gekommen, um zu lieben. Wir sind Gerufene. Bis zum Schluss. Gott ruft uns beim Namen, wenn wir über die Grenze gehen. Dann kommen wir nach Hause. Wie ein Kind nach Hause kommt am Ende eines Tages.

Strophe 3

Weißt du wieviel Kinder frühe stehn aus ihren Bettlein auf?

Dass sie ohne Sorg und Mühe fröhlich sind im Tageslauf?

Gott im Himmel hat an allen seine Lust, sein Wohlgefallen

Kennt auch dich und hat die lieb, kennt auch dich und hat dich lieb.

Einfach so gestimmt hat das noch nie. Schon damals nicht, als Wilhelm Hey das Lied gedichtet hat. In seiner Zeit war Kindheit oft von Armut, Hunger und schwerer Arbeit geprägt. Einfach so gestimmt hat das nie, dass Kinder ohne Sorge und Mühe fröhlich sind im Tageslauf. Auch heute nicht. Nicht hier bei uns. Und erst Recht nicht in den armen Ländern dieser Welt. Überall erfahren Kinder Tag für Tag Gewalt, Ausbeutung, Geringschätzung, Armut und Hunger.

„Weißt du, wieviel Kinder frühe stehn aus ihrem Bettlein auf, dass sie ohne Sorg und Mühe fröhlich sind im Tageslauf?“ das heute wohl zu hören und zu singenn icht als eine Beschreibung sorgloser Kindheit, sondern als ein Auftrag, eine Mahnung. So soll es sein. So möchte es Gott, der jedes Kind kennt und liebt. Es ist Gottes Traum für diese Erde, dass Kinder beschützt werden, so dass sie sich entfalten können. Das heißt sicher nicht, alles Widerständige und Schwierige von ihnen fern zu halten. Aber doch, ein Grundvertrauen zu ermöglichen, dass es gut werden kann.

Mit jedem Kind kommt uns ein Auftrag zu, diese Welt so zu gestalten, dass Kinder in ihr fröhlich sein können. Dass sie das bekommen, was sie brauchen. Dass sie zu Menschen werden können, die glauben, hoffen und lieben. Der Welt zum Segen und Gott zur Ehre!

 

 

Seien Sie behütet!                                                                                                     Ihr Pfarrer Andreas Gutting

Andacht zu Johannes 15, 1 – 8, Sonntag, 25. April 2021 (Jubilate)

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

„Reblaus“. So heißt nicht nur so manches Weinlokal, sondern auch ein Schädling, der Mitte des 19. Jahrhunderts von Amerika nach Europa eingeschleppt wurde und hier den gesamten Weinbau zu vernichten drohte. Das Tier saugt an den Wurzeln des Rebstocks und macht ihm schließlich den Gar aus. Heilung brachten amerikanische Wurzelstöcke, die gegen den Schädling resistent sind. Auf sie pfropft man seither die europäischen Weinsorten auf. Und die Reblaus guckt in die Röhre.

Auch dem Weinstock Kirche wird heute ja kritisch die ein oder andere Krankheit bescheinigt: Allgemeiner Kümmerwuchs bei schwindender Substanz. Mageres oder ungenießbares Fruchten. Schwindende Verwurzelung in der Gesellschaft. Um nur einige zu nennen. So wird denn seit geraumer Zeit immer wieder darüber nachgedacht, wo etwas zu beschneiden wäre und wie nutzlose Mitesser, Rebläuse also, zu entfernen wären. Und natürlich gibt es auch Ideen, die Kirche gegebenenfalls auf vermeintlich bessere Wurzelstöcke zu pfropfen. Z.B. auf die amerikanische Sorte „Willow Creek“ oder die weit verbreitete Sorte „McKinsey“. Auch wird dem gesamten Weinberg „Fundraising“ verordnet. Das heißt zu Deutsch „Kapital aufbringen“, wird im Raum der Kirche aber gerne mit „Schätze heben“ übersetzt. In Verwechslung mit dem Gleichnis vom Schatz im Acker, wo es um etwas ganz anderes geht. Es ist offensichtlich: Wir haben es bei all dem mit dem Versuch einer grundlegenden Bodenverbesserung für den Weinberg Kirche zu tun.

Ich möchte all die ernannten und selbsternannten Pflanzendoktoren und Weinbauexperten in der Kirche nicht entmutigen. Ich stelle jedoch fest, dass Rebläuse und andere Krankheiten in unserem Predigttext überhaupt keine Rolle spielen. Sie kommen nicht vor. Auch ist in dem Weinberg, den Jesus uns vor Augen malt, nur ein Weinbauer am Werk: nämlich Gott selbst. Und schließlich muss die Kirche auch noch die „Kränkung“ hinnehmen, dass sie nicht der Weinstock, sondern nur die Reben ist.

Christus ist der Weinstock! Und die Kirche hängt sozusagen nur an ihm. Oder fällt ab, verdorrt und taugt nur noch zum Verheizen. „Denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ sagt Jesus. Das können Kirchenaktivisten, die es ja auch gibt, oft wirklich nur schwer hören oder akzeptieren.

Doch in jeder „Kränkung“, die ein Wort der Bibel für uns auf den ersten Blick bereithält, steckt auch etwas Heilsames. Oder ist es etwa nicht entlastend, wenn Jesus uns den Platz als Rebe und Traube zuweist, um die sich Gott der Weingärtner kümmert? Er geht achtsam mit uns um; beschneidet den einen oder anderen Wildwuchs, bindet an und nimmt auch einmal etwas weg, an dem wir hängen. Das mag schmerzlich sein, aber der Weingärtner weiß um das gute Ziel. „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe“ sagt Jesus und nimmt seinen Jüngern die Angst, der Weingärtner könnte gleich zu Spaten oder zur Axt greifen, um den Wingert ganz abzuhacken. Wer am Weinstock Christus wächst hat für immer Zukunft. Denn in Ewigkeit wird Gott diesen Weinstock nicht verwerfen. Deshalb ist dies auch ein österlicher Text. Deshalb gehört er zum Sonntag Jubilate: Wir dürfen ganz zu dem gehören, der an Ostern die Mauern des Todes für immer eingerissen hat. Es mag seltsam klingen, dass Christus uns zum Bleiben auffordert. Einer Rebe am Weinstock muss das ja nicht extra gesagt werden. Für sie ist es eine „unmögliche Möglichkeit“, sich selbst vom Weinstock zu trennen. Aber Jesus weiß, was für Früchtchen wird sind und dass uns immer wieder in den Sinn „unmögliche Möglichkeiten“ kommen. Abhängig sein, schmeckt unserem Stolz gar nicht. Und deshalb wollen wir uns oft gar nicht Mühe machen, die guten von den schlechten, die lebensnotwendigen von den zerstörerischen Möglichkeiten zu unterscheiden. Besonders der aufgeklärte und moderne Mensch hat ein Talent dazu, auch solche Äste abzusägen, auf denen er sitzt: Er zerstört die Lebensräume, von denen er lebt. Er vergiftet die Luft, die er atmet Er verbraucht die Schätze der Erde, als gäbe es kein Morgen mehr, Er vergisst seine Grenzen und dass ihm erst einer sagen muss, was gut ist und was dem Frieden dient. Wenn wir auf dieser Welt die Augen aufschlagen, wissen wir das noch nicht. Wir müssen erst gebildet werden, um für diese Welt gerüstet zu sein. Und darum muss Kirche Bildung im umfassenden Sinn zu ihren Grundanliegen zählen, weil sie um diese Wahrheit weiß: Den Saft, den der Mensch braucht, um zu blühen und Frucht zu tragen, kann er sich nicht selbst herstellen. Er ist wie die Rebe auf den Weinstock angewiesen. Wir alle kennen genug Beispiele, was passiert wenn Menschen von allen guten Säften, oder sagen wir besser, von allen guten Geistern verlassen sind. Man muss nur einmal am Nachmittag das Privatfernsehen einschalten, oder in Coronazeiten manche Menschen beobachten. Live oder in den sogenannten „sozialen Netzwerken“.

Es macht also Sinn, dass uns Jesus zum Bleiben auffordert. Wie solches Bleiben im Einzelnen aussieht, können wir im Bild des Weinstocks ohne große Aufregung betrachten. Eine Rebe muss sich darüber nicht jeden Tag Gedanken machen. Schon gar nicht muss man ihr dieses Bleiben als besonderes Werk erklären und sie zu größerer Anstrengung ermahnen. Alles andere als verkrampft, hängt sie am Weinstock. Ist es vermessen, mit diesem Bild auf die „Vegetation des Glaubens“ aufmerksam zu machen? Der Glaube hält sich an Gott fest, selbstverständlich und unspektakulär. Manchen Halt, den die Weinranke entwickelt, wird der Weingärtner sogar wieder lösen um ihr eine bessere Richtung zu geben. Es wäre daher wirklich lächerlich, ein Handbuch für Reben zu schreiben, in dem im Einzelnen erklärt wird, wie sie am Weinstock zu bleiben hätte. Es geht wirklich auch ohne. Aber ohne zwei Dinge geht es nicht: Ohne Jesus Christus und sein Wort. Vom Weinstock Christus kommt der Saft, der der Rebe Kirche alles gibt, was sie zum Wachsen, Fruchtbringen und Gesundbleiben braucht: Sein Wort das Orientierung und Halt gibt und sein Sakrament, das Gemeinschaft stiftet. Und hierher gehört schließlich, was im Bild der „Vegetation des Glaubens“ „Früchte“ genannt wird. Jetzt in diesen letzten April und kommenden Maitagen erleben wir, was wir noch wenige Wochen vorher für schier unmöglich hielten. Keiner kann sich dem Wunder verschließen, wenn über Nacht mit dem ersten warmen Regen das Wachsen losbricht. Und in meiner Birke der Star sitzt und alle Melodien aus dem Repertoire jubiliert, das er sich auf seinen Reisen zugelegt hat. Stare sind gebildete Vögel. Eine Stimme braucht Bildung. Ein Herz noch viel mehr. Nicht jeder hat ein Herz für Kinder oder für seinen Nächsten allgemein. Nicht jeder bremst auch für Tiere. Nicht jeder, der viel hat, hat auch viel übrig. Darüber schimpfen, hilft Keinem. Darum zu beten umso mehr: Um üppige „Vegetation des Glaubens“, um Bildung des Herzens, um Achtsamkeit mit den Mitgeschöpfen, um einen guten Schuss Menschlichkeit jeden Tag. Denn das sind die Früchte, über die sich der wahre Wein- und Weltengärtner am meisten freut.

Seien Sie behütet! 

Ihr Pfarrer Andreas Gutting

 

 

 

 

 

 

Blaubeeren

Andacht zu Ezechiel (Hesekiel) 34, - 16. 31 am 18. April 2021 (Misericordias Domini)

Liebe Gemeinde,

diese Rede des Propheten ist zweieinhalbtausend Jahre alt und doch höchst aktuell.

Menschen, die Führungs- und Leitungsaufgaben innehaben, die Verantwortung tragen und übernehmen, machen Fehler. In der Politik, der Wirtschaft, in Vereinen und auch in der Kirche. Und sie werden dafür nicht selten in geradezu herber Art und Weise, pauschal abgeurteilt und verurteilt. Besonders in den sogenannten „sozialen“ Medien.

Der heutige Sonntag hat als Leitbild den guten Hirten zum Thema. Und wenn wir heute hierzulande auch nur selten einem Hirten mit seinen Schafen begegnen, schreiben wir diesen Menschen Eigenschaften wie sicheres Führen und Leiten, Schutz und Fürsorge, Verantwortungsbewusstsein zu. Das Hirtenbild gehört auch zu den Urbildern väterlichen und mütterlichen Handelns, das um das Wohl eines anvertrauten Menschen oder einer Gemeinschaft bemüht ist. In diesem Sinn hebt die lateinische Bezeichnung „Pastor“, das „Hirte“ bedeutet, die seelsorglich begleitende Aufgabe dieses Berufes hervor.

Allerdings lässt sich auch eine starke Tendenz feststellen, in Menschen, die verantwortliche Positionen innehaben, all die Dinge hinein zu projizieren, die man selbst nicht tun und erfüllen kann oder will. In der Kirche sollen Pfarrerinnen und Pfarrer Dinge leben und vorleben, die die meisten Kirchenmitglieder für sich schon lange nicht mehr gelten lassen wollen oder die ihnen persönlich schlicht unangenehm oder lästig sind. In der Politik werden von Politikerinnen und Politikern ethische Maßstäbe bis ins Kleinste erwartet, die man an sich selbst nicht so gern angelegt sähe. Usw. Usw.

Oder wenn etwas schiefgeht im Leben, dann ist doch oft genug der Staat, die Gesellschaft, die Schule, zur Not noch die Eltern schuld an der eigenen Misere – nur nicht man selbst. Wir erleben das gerade in Zeiten der Coronakrise beinahe täglich. Eigenverantwortung wird abgeschoben. Das ist der erste Schritt. Der zweite ergibt sich daraus fast wie von selbst. „Soll ich meines Bruders Hüter sein“, fragte Kain Gott, nachdem er seinen Bruder erschlagen hat. Die Bibelstelle lässt sich auch mit „Hirte“ übersetzen – „soll ich der Hirte meines Bruders sein“/ „die Hüterin meiner Schwester“? Verantwortung für einen anderen Menschen übernehmen? Soll er doch selber auf sich aufpassen, schließlich ist er für sich selbst verantwortlich. Gehören aber nicht beide zusammen? Die Eigenverantwortung und die Verantwortung für den Mitmenschen? Ja zur Eigenverantwortung, denn es gibt Grenzen meiner Verantwortung. Sie darf nicht zum Übergriff in ein anderes Leben führen. Nein zum Bestehen auf Eigenverantwortung, wenn es um ein hilfe- oder schutzbedürftiges Leben geht, das ganz auf Schutz und Hilfe angewiesen ist.

Wer alte Eltern hat weiß, wie schmal der Grat zwischen diesen beiden Polen sein kann.

In wenigen Wochen erleben wir den 76. Jahrestag des Kriegsendes. Eine der Lehren aus den schrecklichen Jahren des Nazi-Terror-Regimes ist doch: Eigenverantwortung für persönliches Handeln wie Nichthandeln lässt sich nicht einfach durch den Verweis auf zeitliche Umstände oder gar Befehlsnotstände ersetzen. Verweigerte Verantwortung für den Mitmenschen in Not verstrickt objektiv in Schuld. Da kann ich nicht einfach den schwarzen Peter an ein Regime oder eine Institution weiter schieben. Da muss ich mich auch selber fragen lassen, was ich getan oder nicht getan habe.

In der israelitischen Gesellschaft zur Zeit des Propheten Ezechiel galten die politischen Machthaber als Hirten. Sie sollten ihr Volk führen und leiten. Aber oft missbrauchten sie ihr Amt, sahen in ihrer Macht nur ein „gefundenes Fressen“, um sich selbst Vorteile zu verschaffen. Der Prophet erinnerte sie darum an ihre eigentliche Aufgabe und Verantwortung: „Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?“ Im Bibeltext werden die schlechten Hirten dem einen guten Hirten, Gott, gegenübergestellt. Sie müssen sich an ihm messen lassen. Ezechiel wirft ihnen vor: „Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr nicht…“ (V. 4). Ihr Verhalten führt das Volk in die Katastrophe hinein. Wie ein guter Hirte handelt, wird mit Blick auf Gott deutlich: „Ich will das Verlorene suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und …behüten ; ich will sie weiden, wie es recht ist (V. 16). An Gott sollen sich die Verantwortlichen orientieren. Gott sucht, „führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen“, wendet sich dem Verletzten zu, stärkt, behütet, richtet auf. Und Gott sucht Hirten, die ihm darin nacheifern wollen.

Wie kann ich Hirte sein, Hüterin und Hüter meines Nächsten?

Die Gefahr, sich selbst zu weiden, nur sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse zu sehen, ist täglich gegenwärtig. Aber Gott bleibt seinem Volk zugewandt, wie in seinem Namen ausgedrückt wird. In dem hebräischen Gottesname klingt seine ewige Zuwendung an: Ich bin für euch da, „ich will euer Gott sein“ (V. 31). Der Prophet Ezechiel erinnert an die Verantwortung des einzelnen Menschen vor Gott. Gott traut uns Menschen zu, füreinander da zu sein, wie es später der Apostel Paulus zum Ausdruck bringt: „Ein jeder sehe nicht (nur) auf das Seine, sondern auch auf das, was dem anderen dient.“ Deutliche Worte fand z. B. Dietrich Bonhoeffer vor fast siebzig Jahren über den „Hirtendienst“ der christlichen Kirche. Er kritisierte eine Kirche, „die nur mit sich selbst beschäftigt ist“ und forderte eine konsequente Besinnung auf den eigentlichen Auftrag. Sein Ausspruch „Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“ behält seine Gültigkeit und ist heute wie damals nicht nur für die Kirche aktuell. Doch nicht nur für Pfarrerinnen und Pfarrer, Dekane und Oberkirchenräte gilt das, sondern für jeden getauften Christen, der Anteil am Wohl und Wehe seiner Kirche trägt. Das sollten wir uns immer wieder klar machen. Wir alle sind gemeint, wenn es um das Hirtenamt in unserer Kirche geht. Mit vollem Ernst.

Dietrich Bonhoeffer verstand sich als Hüter seines Volkes gegen den politischen Terror eines Regimes, dessen Opfer er zuletzt wurde. Er glaubte fest daran, dass der Hüter, dem er sich verpflichtet wusste, auch aus dem Bösesten Gutes entstehen lassen kann und will“. Gott war für ihn nicht der übermächtige Fadenzieher von Menschenmarionetten. Er wusste sich unter der Führung eines behutsam leitenden und begleitenden Hirten, der an die Menschen, seine Geschöpfe, glaubt: Sie gehen behutsam miteinander um, sind einander Stütze und Halt, schützen das Recht eines jeden Menschen auf ein Leben in Freiheit und Würde, sie sind sich ihrer Verantwortung bewusst und werden so einander gerecht.

Am heutigen Sonntag „Misericordias Domini“, dem zweiten Sonntag nach Ostern, werden wir an die Barmherzigkeit Gottes erinnert. Wir schauen dabei auf Jesus, unseren guten Hirten. In ihm lässt Gott sein österliches Licht über unserer Welt leuchten. Tröstet er, wie eine Mutter tröstet. Und Kain, der in uns allen steckt, gibt Gott Augen für seinen Bruder. Mit ganz neuem Blick wird aus der abwehrenden Frage „Soll ich meines Bruders Hüter / Hirte sein?“ eine beherzte Zustimmung: „Ich begleite dich mein Bruder, meine Schwester und bin für dich da.“

Lassen wir uns doch von diesem Osterlicht anstecken und reichen es weiter, damit es hell werden kann in den Dunkelheiten auch unserer Tage!

Seien Sie behütet!                                                                                        

Ihr Pfarrer Andreas Gutting

Andacht zum Sonntag, den 11. April 2021 (Quasimodogeniti)

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

„Ich glaube nur, was ich sehe" - so lautet verkürzt und vereinfacht das Credo gar nicht so weniger Menschen. Und scheinbar auch das des Jüngers Thomas. Doch in Wirklichkeit traut der ja seinen Augen nicht. Sie könnten ja täuschen. So wie die sich getäuscht haben könnten, die von der Auferstehung Jesu berichtet haben, die erzählten von dem, was sie sahen, von dem, was sie glaubten, verstanden zu haben.

„Ich glaube nur, was ich sehe!" „Das, was sich beweisen, jederzeit wiederholen lässt.“ Ich habe solche Sätze schon oft gehört, wenn es um den Glauben ging.  Von Menschen, die sich als aufgeklärt und modern empfinden. Dabei ist es doch eigentlich ein Widerspruch in sich: Was ich sehe, was ich experimentell feststellen, wissenschaftlich sichern kann, das brauche ich nicht mehr zu glauben, das weiß ich! Damit aber wäre der Glaube ein für alle Mal und endgültig überflüssig geworden. Abgeschafft, im Müll der Menschheitsgeschichte entsorgt. Und der sprichwörtlich gewordene „ungläubige Thomas" wäre dann so etwas wie der Vorreiter dieser Entwicklung. Eben der erste, uns begegnende, moderne Mensch.

Aber, so einfach ist es nicht. Nicht mit Thomas, nicht mit der Wissenschaftlichkeit, nicht mit dem Unglauben.

Erstens: Was kann ich denn wirklich selber nachprüfen von dem, was die Wissenschaft heute zu sagen hat? Ich bin ja nicht einmal wirklich in der Lage, vieles davon zu verstehen, was das heutige Weltbild ausmacht. Wenn da von Elementarteilchen die Rede ist, die so schöne Namen haben wie „up" und „down" und „charm", von Quarks und Quanten, von Gluonen und Neutrinos, von Teilchen, die man schon gar nicht mehr sehen kann, von denen man nur Spuren nachzuweisen vermag - und manchmal nicht einmal das: Sie sind sozusagen mathematisch nötig, aber experimentell nicht nachzuweisen.

Wenn ich das in mein Weltbild übernehme - dann glaube ich. Glaube das, was die wenigen sagen, die sich damit auseinandersetzen können. Ich vertraue ihnen - nicht mehr, nicht weniger.

Zweitens: Das, was für mein Leben wirklich wichtig ist, entzieht sich der Überprüfung und dem Experiment. Dass sich jemanden liebe, dass ich geliebt werde, das lässt sich eben nicht beweisen. Wer den Beweis einfordert, der ist schon gescheitert, ehe das Experiment begonnen hat. Hier helfen nur Glauben, Vertrauen, Erleben!

Und übrigens: Beeinflussen die Erkenntnisse der Wissenschaft eigentlich wirklich mein Leben? Ob ich weiß, dass die Erde sich um die Sonne dreht ändert nichts daran, dass ich sie morgens aufgehen, ihren Bogen am Himmel beschreiben und im Westen untergehen sehe. Ob ich weißt, dass die Jahreszeiten von der Neigung der Erdachse abhängen, ändert nichts daran, dass ich die Sonne höher am Himmel sehe, bis sie wieder sinkt - und ein Regenbogen wird nicht dadurch schöner, dass ich weiß, dass er durch die Zerlegung des Sonnenlichts entsteht. Wie viel weniger beeinflusst mein Leben die Existenz dunkler Materie, die niemand zu sehen vermag oder die Möglichkeit von Paralleluniversen, mit denen laut Definition kein Kontakt möglich ist.

Drittens: Thomas setzt in der Erzählung des Johannesevangeliums ja eigentlich nur etwas fort, was Jesus selbst begonnen hatte: Als er seinen Freunden das erste Mal als der Auferstandene begegnet, da - so heißt es „zeigte er ihnen die Hände und die Seite" - er zeigt ihnen die Wundmale, die die Nägel der Kreuzigung hinterließen, um ihnen ganz klar zu machen: Ich bin es wirklich  Ich bin der, bei dessen Kreuzigung und Tod ihr Zeugen wart, den ihr begraben habt und den ihr betrauert habt – und kein anderer. Davon berichten die Jünger Jesu, die dabei waren, Thomas, der diesen Augenblick verpasst hatte.

Keinen Augenblick bezweifelt er, was seine Freunde gesehen haben - noch viel weniger bezweifelt er überhaupt das, was die Wochenzeitschrift „Die Zeit" einmal auf der Titelseite ihrer Osterausgabe als die „unglaublichste Geschichte der Welt" bezeichnete. Die Auferweckung Jesu von den Toten erscheint ihm, Thomas, weder als unmöglich noch als unglaublich. Er will sich vielmehr vergewissern, dass dieses Ereignis wirklich stattgefunden hat. Dass das, was die Jünger sahen, keine Illusion war, kein Ergebnis überspannter Sinne, strapazierter Nerven, kein Wunschtraum  oder gar ein Gespenst. Darum reicht es ihm zunächst nicht, dass man die Wundmale Jesus gesehen ha. Er will sie berühren. Er will sich vergewissern, dass sie real, dass sie wirklich sind.

Dass der auferstandene Jesus diesen Wunsch versteht, ja sogar billigt, zeigt die weitere Erzählung: Wieder erscheint der Auferstandenen seinen Jünger und fordert Thomas auf: „Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!" Und jetzt kommt der entscheidende Augenblick - entscheidend für Thomas, entscheidend für den Glauben: Thomas verzichtet auf das, was er sich so sehr wünschte - er berührt die Nagelwunden nicht, fasst die Speerwunde in der Seite des Auferstandenen nicht an. Die Begegnung mit dem Auferstandenen überwältigt ihn, wie sie später und ganz anders auch Paulus überwinden wird.

„Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!" Das ist nicht etwa eine Wertung, ein Abwägen von Sehen und Glauben gegeneinander, sondern eine schlichte Feststellung Jesu. Für uns, die wir nach den Jüngern, nach Thomas, leben: Wir vertrauen auf das, was die Jünger sahen und erlebten: Dass der Gekreuzigte lebt. Wir vertrauen darauf, weil es ihr Leben beeinflusst, geprägt und bestimmt hat.

Vor allem aber: Auch wir können Christus als den Lebendigen erleben - wenn er uns begegnet - begegnet in der Kraft der Liebe Gottes - in Glaube, Liebe, Hoffnung. In einer Welt, die aus sich heraus nichts davon hervorbringen könnte.

Paulus hat über das Kreuz einmal geschrieben, es sei den Juden ein Ärgernis und den Griechen ein Torheit, uns aber ein Kraft Gottes. (1. Kor 1,18) Ich glaube, das können wir genau so auch von der Auferstehung sagen: Manchen gilt der Glaube daran als Dummheit, anderen ist er etwas, was sie zutiefst verärgert - für uns aber ist sie die Kraft, die uns Leben ermöglicht. Leben für uns, mit und für unsere Mitmenschen - und das wird niemals unmodern werden! Amen

Seien Sie behütet                                                                                          Ihr Pfarrer Andreas Gutting

Andacht zum Fest der Auferstehung 2021

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

„Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Halleluja!“

Mit diesen Worten begrüßen Christen in aller Welt den Ostertag und einander. Mit diesen Worten verkünden wir die frohe Botschaft unseres Glaubens: Jesus lebt! Der Tod ist überwunden! Gott hat dem Leben zum Sieg verholfen!

Eine Botschaft, die fast zu schön ist um wahr zu sein. Der Tod braucht mich nicht mehr zu schrecken. Ich darf Leben hier und jetzt und in Ewigkeit. Ist das nicht großartig?

Ist es! So großartig, dass es die Vorstellungskraft nicht weniger Menschen übersteigt, Zweifel hervorruft, manchmal sogar Spott. Schon unmittelbar nach dem ersten Ostern gab es Zweifler an der Botschaft vom leeren Grab, gab es sogar Unterstellungen, üble Gerüchte. Etwa, dass die Jünger Jesu Leichnam gestohlen hätten, er gar nicht wirklich tot gewesen sei usw. usw.

In der folgenden Geschichte wird manches von dem noch einmal laut, was damals und heute gedacht und geredet wurde, wenn es um das Thema geht: Gibt es seit der Auferstehung ein Leben nach dem irdischen Tod? Lesen Sie selbst:

Ein ungeborenes Zwillingspärchen unterhält sich im Bauch seiner Mutter:

“Sag mal, glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?” fragt der eine Zwilling.

“Ja, auf jeden Fall! Hier drinnen wachsen wir und werden stark für das, was draußen kommen wird”, antwortet der Andere.

“Ich glaube, das ist Blödsinn!” sagt der Erste. “Es kann kein Leben nach der Geburt geben - wie sollte das denn bitteschön aussehen?”

“So ganz genau weiß ich das auch nicht. Aber es wird sicher viel heller als hier sein. Und vielleicht werden wir herumlaufen und mit dem Mund essen?” “So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört! Mit dem Mund essen, was für eine verrückte Idee. Es gibt doch die Nabelschnur, die uns ernährt. Und wie willst du herumlaufen? Dafür ist die Nabelschnur viel zu kurz.” “Doch, es geht ganz bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders.” “Du spinnst! Es ist noch nie einer zurückgekommen von ‘nach der Geburt’. Mit der Geburt ist das Leben zu Ende. Punktum.”

“Ich gebe ja zu, dass keiner weiß, wie das Leben nach der Geburt aussehen wird. Aber ich weiß, dass wir dann unsere Mutter sehen werden und sie wird für uns sorgen.”

“Mutter?? Du glaubst doch wohl nicht an eine Mutter? Wo ist sie denn bitte?” “Na hier - überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne sie könnten wir gar nicht sein!”

“Quatsch! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht.”

“Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere Welt streichelt … ”

So oder so ähnlich laufen bis heute so manche Diskussionen um Gott und das Leben nach dem irdischen Tod ab. Seit Ostern dürfen wir Gewissheit haben: Jesus hat uns diesen Weg in die Ewigkeit des Lebens eröffnet. Und wenn wir aufmerksam sind, wenn wir unsere Sinne, Gefühle, unsere Seele offenhalten für Gott, für die Schönheit seiner Schöpfung, für die Liebe, dann können wir auch hier auf Erden immer wieder etwas spüren und erfahren von ihm und seiner Ewigkeit.

Und das hat Folgen. Für unser Leben hier und jetzt. Denn weil wir uns um die letzten Dinge nicht mehr zu sorgen brauchen, können wir uns ganz getrost und gelassen den vorletzten Dingen – unserem Leben – zuwenden.

Der Schweizer Pfarrer Kurt Marti hat das in einem Gedicht einmal so ausgedrückt:

ihr fragt: wie ist die auferstehung der toten? - ich weiß es nicht

ihr fragt: wann ist die auferstehung der toten? - ich weiß es nicht

ihr fragt: gibt's eine auferstehung der toten? - ich weiß es nicht

ihr fragt: gibt's keine auferstehung der toten? - ich weiß es nicht

ich weiß nur wonach ihr nicht fragt: die auferstehung derer die leben

ich weiß nur wozu Er uns ruft: zur auferstehung hier und jetzt

Was Kurt Marti zum Ausdruck bringen möchte ist, dass wir vor lauter unsicherer Jenseitsschau als Christen nicht den Blick auf das Hier und Jetzt vergessen. Dass wir erkennen, dass Auferstehung auch hier und heute mitten unter uns geschehen kann und muss. Weil immer noch viel zu oft die Mächte des Todes, der Gewalt und der Zerstörung unsere Welt regieren. Ihr aber, der ganzen Welt, soll das Leben blühen und wir alle sind eingeladen an diesem Leben teilzuhaben und aufgefordert Leben zu schützen und zu bewahren. Das wahre Leben erst im Jenseits zu suchen, wäre religiöser Zynismus.

Wer Ostern glaubt, weil er Gott vertraut, der kann sich für das Leben hier und jetzt einsetzen und kann sich in vollen Zügen daran erfreuen. Weil nicht nur das ewige Leben, sondern auch die Zeit zwischen Geburt und irdischem Tod ein wunderbares und einzigartiges Geschenkt Gottes ist.

Ein gutes Jahr Corona-Pandemie lässt mich den Text von Kurt Marti aber auch ganz konkret auf unsere Situation als Kirche und Gemeinde verstehen. Irgendwann in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft werden wir wieder zurückkehren in das Leben, das wir vor Ausbruch der Epidemie geführt haben. Hoffentlich verhalten wir uns dann nicht kollektiv wie eine Horde außer Kontrolle geratener Malle-Urlauber. Sondern machen langsam zu Beginn. Gehen Schritt für Schritt. Mit Vorsicht. Aber zuversichtlich. Und hoffentlich auch dankbar. Weil wir uns dann wieder sehen und treffen können. Miteinander unser Leben teilen ohne Abstand halten zu müssen und Personen zu zählen. Weil wir wieder unbeschwert und ohne Angst miteinander singen können, feiern auch. Einfach fröhlich sein und unseren Glauben teilen. Hoffentlich vergessen wir darüber dann nicht, was vorher schon in Schieflage war. Hoffentlich bringt uns die Dankbarkeit darüber, dieses dunkle Tal hinter uns lassen zu dürfen dazu, das Leben mehr zu schätzen, achtsamer damit umzugehen. Und das nicht nur mit dem eigenen. Dann, da bin ich mir sicher, werden wir als Einzelne und als Gemeinde dieses Gefühl der Auferstehung hier und jetzt am eigenen Leib erfahren. Und wir werden erfahren, welch großes Geschenk uns mit Ostern gemacht wurde und immer wieder neu gemacht wird.

Das ist mein Osterwunsch für Sie, für uns alle in diesem Jahr: Dass wir miteinander Auferstehung erleben und erfahren dürfen. Im Hier und Jetzt. Dass wir das in großer Dankbarkeit miteinander feiern werden und nicht zu schnell wieder in einen gedankenlosen Alltagstrott verfallen.

Denn: Unser Herr ist für uns auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden! Das gilt! Für die Ewigkeit und für hier und heute!

Ich wünsche Ihnen ein frohes und gesegnetes Osterfest in besonderen Zeiten!

 

Seien Sie behütet!                                                                                        

Ihr Pfarrer Andreas Gutting

Jesu Weg nach Golgatha – Ein Kreuzweg

Andacht zum Karfreitag 2021

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

wohl in jeder katholischen Kirche ist einer zu entdecken: Der in Bildern dargestellt Weg Jesu ans Kreuz. Ein Kreuzweg. Gerade am Karfreitag von unseren katholischen Schwestern und Brüdern in Gottesdiensten nachgegangen und nachempfunden.

Ich möchte Sie herzlich einladen, an diesem besonderen Tag, dem Karfreitag, seinen Weg beim Lesen in Gedanken mitzugehen und so diesem Geheimnis nachzuspüren, dass Gott für uns auch seinen Sohn nicht schonte. Ihn dem Hass, der Gottlosigkeit, der Gedankenlosigkeit und Verblendung der Menschen aussetzte, die ihn schließlich ans Kreuz nagelten.

Er nahm den Tod auf sich, damit wir leben können und die grausame Logik des Todes durchbrochen würde.

Station 1: Jesus ist zum Tode verurteilt worden, zum Tod am Kreuz

Er wollte der gute Hirte sein. Er war bereit, sein Leben zu lassen für seine Schafe. Er wollte ein guter Menschenhirt sein. Aber er hat auch gesagt: „Ich und der Vater sind eins.“ Er sei Gottes- und Menschensohn zugleich. Das hat die Obrigkeit irritiert. Das hat sie geärgert, empört, verunsichert. Die eine wie die andere Obrigkeit. Die Juden wollten ihn nicht mehr freilassen, nachdem er gefangen worden war. Die Römer durften ihn nicht mehr freilassen, weil die aufgeregte Menge gegen ihn entschieden hatte. Die Schreihälse wollten Barabbas freihaben, den Sohn des Abbas, nicht diesen Jesus aus Nazareth. Die Menge rief: „Kreuzige ihn!“ Und damit war die Sache entschieden. In Jerusalem muss Ruhe und Ordnung herrschen, damit die Obrigkeit ihre Macht behalten kann. Die eine wie die andere.

Geben vor, Gott zu schützen.

Befinden über Leben und Sterben.

Unterlassen es, über ihre Angst zu sprechen. Töten Gott.

Station 2: Jesus lässt sich das Kreuz auf seine Schultern legen

„Was ihr einem meiner Nächsten getan habt, das habt ihr auch mir getan.“

Das hat er selbst so gesagt. Und daran hat er sich gehalten. Er ist der wahre Gottesknecht, der seinen Buckel hinhält, damit wir nicht kaputt gehen. Damit wir nicht zusammenbrechen. Weder unter dem Kreuz einer ungerechten Obrigkeit, noch unter der Belastung selbst begangenen Unrechts. Dafür hält er seinen Buckel hin, damit wir leben können. 

Ich habe angenommen allen Schmerz – nun lass mich damit nicht stürzen.

Ich habe getragen alle Demütigung – nun lass sie mit dem Schmerz mir den Weg zeigen.

Ich habe nach dem Tod geschrien. – nun lass mein Leben treiben in deine Hand Gott, der du nach mir schlugst.

Station 3: Der erste Zusammenbruch unter dem Kreuz

Er wusste, was auf ihn zukommt. Hier geht kein Ahnungsloser zu Boden in der Nacht, in der er verraten wurde, hatte er gebetet: „Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorüber ziehen, aber nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“

Schon da geschah es, dass er mit dem Tode rang. Und immer heftiger betete. Bis sein Schweiß auf die Erde fiel. Im Garten von Gethsemane. Mitten in der Nacht. Hier sehen wir bei Tage, was er auf sich geladen hat.

Der einsamste Gang vom Verrat nach Golgatha.

Durch die Gasse voll Spott, Hohn, Kränkung, Schändung. Zum Kreuz.

Kein Wort vermag dieses Leiden auszudrücken.

Nur Schweigen, Finsternis und der Erde Beben.

Station 4: Jesus begegnet seiner Mutter

Die Evangelien haben nichts davon berichtet, dass Maria ihren Sohn auf diesem Weg begleitet hat. Das haben Mitleidige so hinzugesehen, hinzugedacht, hinzugedichtet. Mehr konnten sie nicht tun. Weder damals noch heute. Sie konnten das Unrecht nicht verhindern, die Welt nicht aus den Angeln heben, den Lauf der Dinge nicht verändern. Dazu waren sie zu schwach. Und nun leiden sie sie mit. Mit ihm, wie er seinen Leidensweg geht. Und mit seiner Mutter, die nicht verhindern konnte, dass ihm Leid geschieht.

DER Mensch war geboren wie er starb

mit Schmerzen, Blut und Wasser

hinterlässt im Leben wie im Sterben einen breiten Strom - WÄRME

Station 5: Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen

Dass Simon von Cyrene ein besonders guter Mensch war, der Jesus half sein Kreuz zu tragen, davon ist keine Rede. Matthäus weiß nichts davon. Er weiß nur, dass dieselben Kriegsknechte des Pilatus, die Jesus als König der Juden verspottet hatten, den nächstbesten Menschen aufgriffen und ihn zwangen für Jesus das Kreuz zu tragen. Ein Stück weit. Damit hier alles seine Ordnung hat. Damit Jesus mit seinem Kreuz bis zur Schädelstätte käme. Genau nach Dienstvorschrift.

Der blind war, sieht weg.

Der lahm war, springt nicht bei.

Die von Gicht geheilten fehlen

Er trägt das Kreuz allein

Ein Fremder kommt hinzu und trägt zum Kreuz die Angst davon

Station 6: Veronika trocknet Jesus das Gesicht

Wenn einer zu helfen anfängt, dann trauen sich die die anderen. Der Mann aus Cyrene war dazu gezwungen worden, Jesus das Kreuz tragen zu helfen. Das konnte man sehen. Und Veronika sah, dass Jesus eine Erfrischung nötig hatte, dass sein Gesicht ganz nass war vor Schweiß. Sie trocknet sein Gesicht, weil Jesus, der das Kreuz trägt keine Hand frei hat dafür. Deshalb macht sie das selbst, mit einem trockenen Tuch, mit ihren Händen. Mehr kann sie nicht tun. Aber das wenige, was sie vermag, das tut sie. 

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

und…

Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist! 

Station 7: Jesus fällt zum zweiten Mal

Das war vorauszusehen. Das Kreuz ist zu schwer. Und der Weg ist zu weit. Vom Richthaus des Pilatus bis zur Schädelstätte. Und immer bergauf. Da reichen die kleinen Hilfen nicht. Jesus muss es alleine schaffen. Obgleich er wirklich kein Athlet ist, kein Langstreckenläufer, kein Schwergewichtheber. So ein Kreuz zu tragen hat er noch nicht geübt.

Sende uns Engel, dass sie uns behüten, dass sie uns beistehn auf unseren Wegen. 

Station 8: Jesus begegnet den weinenden Frauen

Wer ist hier wem entgegengekommen? Wer begegnet wem? Jesus den Frauen, die ihre Kinder mitgebracht haben, oder die Frauen hier dem, der sein Kreuz in Richtung Richtstätte schleppt?

Die Frauen weinen. Was könnten sie sonst noch tun? Was hier zu sagen wäre, hat er längst gesagt: „Weint nicht über mich, weint über euch und eure Kinder.“

Er hat keine Kraft mehr zu sprechen. Auf diesem Kreuzweg hat er kein einziges Wort gesprochen.

„Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!“

Station 9:Jesus fällt zum dritten Mal

Gefallen ist er ganz allein. Zusammengebrochen unter einer Last, die er weder tragen noch abschütteln kann. Vielleicht sah ihm jemand aus der Ferne zu. Wie übel er daran trägt, was er sich vorgenommen hat: bis nach Golgatha zu kommen mit seinem Kreuz. Es ist nicht angenehm, ihm dabei zuzusehen. Weder aus der Nähe, noch aus der Ferne. Weil er gesagt hat: „Wer mein Freund sein will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach:“

Gott will uns die Kraft geben unser Kreuz zu tragen. Nicht im Voraus, aber dann wenn wir sie brauchen,“

Station 10: Jesus wird seiner Kleider beraubt

Als Jesus auf Golgatha ankam, gaben die Kriegsknechte ihm Wein zu trinken. Aber der Wein war mit Galle vermischt. Als Jesus das schmeckte, trank er ihn nicht. Dann zogen sie ihm seine Kleider aus und ließen ihm nur ein Lendentuch. Seine Kleider haben sie unter sich aufgeteilt, bis auf den Rock. Der war von oben bis unten nahtlos durchgewebt. Der war zu schade, um geteilt zu werden. Sie losten aus, wem er gehören sollte.

Der mein Gewand gewinnt, von dem bin ich wund.

Nun fährt er mit einem Ruck in meinen Rock und blickt nicht mehr zurück.

Er trägt den Rock zu den Frauen, um sich zu freuen und sich von der Angst zu befreien.

Vater, lass ihn sich freuen bei seinen Frauen und mach ihn frei von dem Grauen.

Vater, wirf keinen Fluch auf den Bruder in meinem Tuch.

Vater, wirf keinen Brand auf den Bruder in meinem Gewand.

Erde, klaffe nicht weit vor dem Bruder in meinem Kleid.

Wind, kühle das Haar dem Bruder, der das ist, was ich war.

Station 11:Jesus wird gekreuzigt

Nach römischer Vorschrift geschah das so: Das Kreuz liegt auf dem Boden. Und wer zum Tode verurteilt war, wurde auf dieses Kreuz gelegt. Die Arme auf dem Querbalken ausgestreckt, die Hände mit Nägeln angenagelt. Unten, am Senkrechtbalken, wurde die Füße angebunden, dann beide Füße mit einem Nagel durchbohrt. An diesem Kreuz wurde oben noch ein Schild angebracht. Die lateinischen Buchstaben „I.N.R.I.“ Das sollte zugleich sein Schuldspruch sein: „Jesus von Nazareth, König der Juden.“

Weniger als die Hoffnung auf ihn

Das ist der Mensch

Einarmig

Immer

Nur der Gekreuzigt

Beide Arme

Weit offen

Der: Hier bin ich!

Station 12: Jesus stirbt am Kreuz

Als die Kriegsknechte das Kreuz aufgerichtet und fest in die Erde gerammt hatten, machten sie Pause du bewachten ihn. Schaulustige kamen vorüber und verspotteten den Gekreuzigten: „Bist du Gottes Sohn, dann steig doch herab!“ Und einige Schriftgelehrte waren nicht feiner. Sie meinten: „Er hat seinem Gott vertraut, der mag ihn auch erlösen, wenn er Lust dazu hat.“

Unter dem Kreuz versammelten sich Maria, seine Mutter, dazu eine andere Maria, ebenso Maria Magdalena und Johannes, sein Lieblingsjünger und einige Bekannte, die ihm von Galliläa nach Jerusalem gefolgt waren. Bevor Jesus starb, berichtet der Evangelist Johannes, habe er gesagt: „Es ist vollbracht.“

Der sich ganz auf Gott verließ, hängt am Kreuz von Gott verlassen

Der die Gnade ist, schreit im Schmerz, der gnadenlos

Der für die Liebe stritt, stirbt von Hass durchbohrt 

Du großer Schmerzensmann, vom Vater so geschlagen

Herr Jesu dir sei Dank, für alle deine Plagen

Für deine Seelenangst, für deine Band und Not

Für deine Geißelung, für deinen bittern Tod

Station 13: Jesus in den Armen seiner Mutter

Als Jesus gestorben war, musste alles sehr schnell gehen. Denn es war Sabbath, jüdischer Feiertag. Die Leichen durften nicht an den Kreuzen hängen bleiben. Einem Ratsherrn von Jerusalem, Joseph von Arimathia, dem hatte Pilatus erlaubt, den Leichnam des Nazareners vom Kreuz zu nehmen und zu begraben. Und seine Freunde halfen ihm dabei. Maria war immer dabei. Sie hatte Abschied genommen von ihrem Sohn.

Der-da-oben wollte ein Beispiel geben

Aus Liebe, sagt er – und ist Der-da-unten geworden

Seine Gefühle in Ehren, aber wo kämen wir hin….

Man kann doch nicht einfach alles auf den Kopf stellen!

Es war nicht ganz einfach.

Jedenfalls ist er wieder da, nämlich oben, wo er hingehört.

Der-da-oben.

Station 14: Jesus wird ins Grab gelegt

Nahe Golgatha gab es einen Garten. Und in dem Garten gab es ein neues, in Stein gehauenes Grab, in dem noch niemand gelegen hatte. Es gehörte Joseph von Arimathia. Aber nun legten sie Jesus hinein, der war gesalbt und fest in Leintücher eingebunden. Als das geschehen war, kehrten die Frauen um. Zu Hause bereiteten sie neue Salben und Spezereien vor. Und dann hielten sie den Sabbat ein.

Am nächsten Tag gingen die Hohepriester und Schriftgelehrten zu Pilatus und baten ihn, er möge das Grab bewachen lassen, weil Jesus gesagt hatte: „Nach drei Tagen will ich auferstehen.“ Es könne doch sein, dass seine Jünger den Leichnam stehlen, um den Volk zu verkünden: „Er ist von den Toten auferstanden.“ Pilatus gab ihnen bewaffnete Wächter mit. Und der Verschlussstein vor dem Grab, der wurde versiegelt.

War einer, der hatte sich festnageln lassen auf sein Wort.

Das sie kreuzförmig aufstellten allen zur Warnung.

War einer, der rief laut mit menschlicher Stimme nach menschlichem Beistand.

Aber für die, die es hörten, war er gestorben.

War einer, der biss nicht die Zähne zusammen, die Hand zur Faust geballt.

Hielt einfach aus – und überlebte.

Seien Sie behütet!  

Ihr Pfarrer Andreas Gutting


Andacht zum Palmsonntag, 28. März 2021, - Matthäus 21, 1 – 11

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

da kommt er geritten, der Sündenbock. Der, den sie für alles verantwortlich machen werden. Über den sie den Stab brechen werden. Für den sie die Todesstrafe fordern werden: „Kreuzige ihn‘!“

Doch das passt nicht recht in die Szene, die unser Bibeltext beschreibt. Sind da die Menschen nicht regelrecht aus dem Häuschen? Rufen sie nicht: „Hosianna dem Sohn Davids“? Empfangen sie ihn nicht wie einen König? Heute würden wir sagen: Wie einen Popstar?

Wie passt das zusammen? Popstar und Sündenbock? Heilsbringer und Verbrecher?

Blenden wir etwas zurück: Jesus war nach seiner Taufe am Jordan und dem Klärungsprozess in der Wüste aufgebrochen. Durchs Land gezogen. Hatte Kranke geheilt, gesellschaftlich Geächtete wie Menschen, wie Kinder Gottes behandelt. Hatte seinen Zeitgenossen ein Bild Gottes gemalt, das für die einen unheimlich anziehend war, für andere aber nicht in ihr Weltbild passte. Und nun zog er hinauf nach Jerusalem, um das Passafest zu feiern. DAS Fest der Juden. Die alljährliche Erinnerung an die Befreiung der Vorfahren aus der Knechtschaft in Ägypten.

Bevor Jesus mit seinen Freundinnen und Freunden jedoch in die Stadt einzieht, sendet er einen stummen Impuls an alle, die ihn sehen können. Wie vom Propheten Sacharja vor Jahrhunderten vorhergesagt, reitet er auf einem Esel auf die Stadt zu. Er braucht keine Herolde, die ihn ankündigen. Keine Propaganda- und Werbemaschine. Stumm reitet er und alle wissen, wer da kommt. Der Gesandte Gottes, der Messias, der Heilskönig auf den sie schon so lange und sehnsüchtig warten. An den sie ihre ganz persönlichen Wünsche und Erwartungen geknüpft haben. Und so sind sie ganz außer sich. Sie bereiten ihm den Weg mit ihren Kleidern und mit Palmzweigen. Sie empfangen Jesus wie einen König.

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Heute wissen wir: Es war der Schatten des Kreuzes. Jesus wusste das wohl auch. Die Menge schwelgte dagegen ganz in ihren Hoffnungen und Erwartungen.

Doch Jesus enttäuschte sie. Weder wollte er ein militärischer Führer sein, der den Widerstand gegen die römischen Besatzer anführte, noch wollte er jedermanns Liebling sein. Er legte sich mit der religiösen Elite an, er warf die Händler aus dem Tempel und verdarb das Geschäft. Nein! So hatten sich die Menschen damals das nicht vorgestellt mit dem Messias. Das konnte nicht gut ausgehen.

Wir kennen das aus unserem Alltag. Wenn einer (oder eine) Erwartungen und Hoffnungen enttäuscht geht’s ihm an den Kragen. Erst wird jemand hochgejubelt, frenetisch gefeiert, in den Himmel gehoben, um dann mit gleicher Inbrunst fertiggemacht, medial zerrissen, verhöhnt, fertig gemacht zu werden. Man stempelt ihn ab, macht ihn zum Sündenbock. Verantwortlich für alles, was schiefläuft.

Politikerinnen und Politiker werden gerne zu solchen Sündenböcken abgestempelt, die dann nicht nur für ihre tatsächlichen Fehler, sondern gleich für alles Übel verantwortlich gemacht werden.

Juden wurden über die Jahrhunderte hinweg in Europa immer wieder zu Sündenböcken gemacht und grausam verfolgt, gequält und umgebracht. Und heute ist Jesus an der Reihe. Selbst schuld. Wenn man sich so über die Wünsche der Menschen hinwegsetzt. Stur seinen eigenen Weg verfolgt und dabei einen so ganz nebenbei noch mit der Nase drauf stößt, dass bei einem selbst auch nicht alles Gold ist, was glänzt. Dass man genug Dreck vor der eigenen Haustüre zu beseitigen hätte, als sich über den der anderen auszulassen. Oder wie Jesus es sagt: Dass man sich lieber über den Splitter im Auge des anderen aufregt, als sich um den Balken im eigenen Auge zu kümmern. Nein. So einer braucht sich doch nicht zu wundern, wenn das mit ihm schiefgeht. Wenn er gegen diese Wand aus Hass, Gewalttätigkeit, Ignoranz, Dummheit und Überheblichkeit fährt und scheitert. Selbst schuld, wenn er am Ende zum Sündenbock wird.

Wir machen andere bis heute zum Sündenbock, um von unserem Versagen, unserer Schuld abzulenken. Das ist wie bei jedem Dorftratsch. So lange ich dabei mitmache, dass über andere geredet wird, wird nicht über mich geredet. Also mitmachen. Auf Teufel komm raus. Komisches Wortspiel werden Sie vielleicht denken. Aber ist es nicht so? Im Sinne des Wortes?

Zurück zu Jesus.

Die Menge, die ihn erst frenetisch feiert, fordert genauso fanatisch seinen Tod. Nur fünf Tage später. Wenn sie Jesus sehen, erkennen sie, wie man eigentlich leben sollte und könnte. Aber nicht kann oder nicht will. Unerträglich wie der Blick in einen Spiegel, der einem die blanke Wahrheit vor Augen hält, ist der Blick auf Jesus geworden. Darum weg mit ihm. Ans Kreuz. Ihn festnageln auf seine Rolle als Sündenbock. Hauptsache weg. Aus den Augen aus dem Sinn. Die Geschichte nimmt ihren unvermeidlichen Lauf.

Er wird den Interessen der Menschen geopfert, damit sie sich nicht mit sich selbst auseinandersetzen müssen. Er wird schuldig gesprochen. Vom Messias zum Sündenbock degradiert.

Und doch ist er am Kreuz und drum herum doch der einzige Unschuldige! Ja mehr noch: Er nimmt die ganze Schuld, das ganze Unvermögen, den ganzen Hass auf andere und sich selbst auf sich, damit zum Vorschein kommen kann, was Gott eigentlich für seine Welt vorgesehen hat: Leben und Liebe.

Doch ist mit diesem Opfer, das Jesus gebracht hat, tatsächlich die Herrschaft der Liebe, der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit in der Welt angebrochen? Herrscht jetzt die Liebe in unserer Welt?

Wenn wir ehrlich sind müssen wir sagen: Nein. Jedenfalls nicht überall. Weder in den Gesellschaften noch in den Kirchen.

Aber darum ist dieser Sonntag, der Palmsonntag, auch so wichtig! Er lenkt unseren Blick vom umjubelten Jesus auf den unschuldigen Sündenbock am Kreuz. Er erinnert uns daran, dass wir Heil und Heilung für unsere inneren Wunden, die wir in und an uns tragen nur erwarten können, wenn wir am Glauben an ihn festhalten. Der Glaube, der uns Gott nahebringt als einen der treu ist und zu seinen Versprechen steht, als einen, der auf uns zukommt, Mensch wird und uns nahe ist und der am Ende alles auf sich nimmt, was wir im Lauf unseres Lebens regelrecht verbocken. Aus welchen Gründen auch immer. Auf ihn am Kreuz schauen, auf ihn vertrauen und ihm darum abgeben, was unsere Schuld ist. Darum geht es. Denn nur so werden wir frei für ein Leben in und aus der Liebe Gottes heraus, das irgendwann diesen mörderischen Kreislauf der Suche nach Sündenböcken beendet. Weil er unschuldig für uns ans Kreuz ging!

Seien Sie behütet!                                                                                         Ihr Pfarrer Andreas Gutting

Predigt über 1. Mose 22 am Sonntag, den 21. März 2021, Sonntag Judika

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

es ist eine archaische Szene, die uns dieses Kapitel aus dem 1. Mosebuch vor Augen führt.

Da hört ein Vater die Stimme Gottes, der ihn in Versuchung führen will und seinen Glauben testen. „Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.“

Und der Vater – Abraham -  der hat offenbar nicht den geringsten Zweifel daran, ob er sich vielleicht nicht verhört hat oder die Stimme gar nicht die von Gott ist. Nein, er gehorcht, bereit bis zum Äußersten zu gehen.

Opfer, Menschenopfer sogar, um Gottes Willen zu erfüllen? Seinen Glauben zu beweisen? Gehorsam zu zeigen? Um Gott gnädig zu stimmen?

Mir kommen Vergleiche in den Sinn. In so mancher alten Religion gehörten Opfer und immer wieder auch Menschenopfer dazu. In Südamerika ebenso wie in Skandinavien oder hier in Europa.

Im Allgemeinen reagieren wir mit einem Gefühl der Ablehnung, des Entsetzens auf solche alten und überkommenen Bräuche. Gott sei Dank sind wir heute darüber hinweg in unserer modernen und fortschrittlichen Welt.

Aber sind wir das? In mir steigen Bilder von vor ein paar Jahren auf, als sogenannte IS – Kämpfer Geißeln vor laufender Kamera geköpft hatten, um unsere Gesellschaften zu schockieren. Oder an die Selbstmordanschläge, Attentate auf Menschen mitten unter uns. Menschen wurden geopfert in dem Wahn und dem Glauben, Gott damit einen Dienst zu tun. Gott hatte angeblich den Auftrag gegeben und die Gläubigen hatten gehorcht. Ohne groß nachzufragen, zu zweifeln, zu zögern. Die Abrahamsgeschichte im 21. Jahrhundert?

Wer das Ganze nun aber zu einem Religionsproblem z.B. der Muslime machen wollte, geht auch in die Irre. Es ist noch nicht zu lang her, dass im christlichen Abendland Andersgläubige, Hexen usw. auf Scheiterhaufen gestellt und verbrannt wurden. Angeblich, weil Gott das so wollte. Übrigens auch noch nach der Reformation!

Wieder könnte man sagen: Alles kalter Kaffee! Längst vorbei! Gibt’s nicht mehr bei uns!

Aber ist das so?

Nun: Vielleicht opfern wir niemanden mehr auf religiösen Altären und im Namen Gottes. Doch hatte nicht Luther sehr richtig erkannt: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott?“

Opfern wir nicht jedes Jahr immer noch tausende Menschen auf dem Altar der Mobilität? Freie Fahrt für freie Bürger! Werden nicht ständig Kinder Opfer einer entgrenzten, zügellosen Sexualität Erwachsener? Oder Frauen, die Opfer männlicher Machtphantasien werden? Oder Menschen, die Opfer von Mobbing werden. Schon in der Schule, am Arbeitsplatz, in den sogenannten „sozialen Netzwerken“, ja, auch in der Politik? Auch wir opfern doch ständig andere Menschen. Neuen Götzen, unseren Interessen. Und nicht zuletzt opfern wir Gottes Schöpfung hemmungslos auf dem Altar unserer Raffgier und Dummheit.

Die Frage nach den Opfern stellt sich für mich. Die Frage auch: Braucht Gott unsere Opfer? Will er Opfer, um sich gnädig stimmen zu lassen?

Die Motivation Gottes Abraham zu versuchen – also ihn auf die Probe zu stellen - verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Aber das ist manchmal so bei Gott. Oder sollte ich sagen, in den Geschichten, die uns von ihm überliefert sind?

Was mir auffällt ist die Ähnlichkeit zwischen Isaak und Jesus. Beide tragen das Holz auf ihren Schultern. Beide sind als Opferlamm vorgesehen. Nur dass Isaak mit dem Leben davonkommt. Doch: Auch Jesus darf ja weiterleben. Nach drei Tagen. Die Geschichte von der verhinderten Opferung Isaaks als Vorgriff auf die Geschichte Jesu am Kreuz? So kann man es sehen.

Im Kreuz, das Jesus auf sich nahm, nahm Gott selbst die Schuld der Menschheit auf sich. So bekennen wir Christen. Und das ist auch mein Glaube.

Doch Gott zeigte uns damit noch etwas Anderes: Nämlich wohin es führt, wenn wir Menschen allein nach unseren Maßstäben und Überzeugungen handeln. Dann geraten andere unter die Räder, werden in Schubladen gesteckt und ans Kreuz genagelt. Im wahrsten Sinne des Wortes oder auch im übertragenen Sinn. Egal. Das Resultat ist immer gleich: Menschen, die anders sind, anders denken, glauben, fühlen, leben werden abgestempelt und fertiggemacht. Gekreuzigt. Opfer. Sinnlos. Gottlos! Indem Gott Jesus – und damit sich selbst -  das Kreuz nicht ersparte hat er uns gezeigt wohin der Weg führt, den Menschen meinen, ohne Gott gehen zu können: In Tod und Vernichtung.

Und darum hat er in der Auferweckung Jesu einen Kontrapunkt gesetzt: Das Leben siegt über den Tod. Nicht nur über den biologischen. Auch über den millionenfachen seelischen, gesellschaftlichen Tod, den Menschen über die Jahrhunderte hinweg angerichtet haben. Im Namen Gottes oder im Namen von Götzen, Idealen, Ideologien. Den Opfern dürfte das am Ende ziemlich gleich sein.

„Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!“ (Mt 9, 13) sagt Jesus und bezieht sich damit auf ein Wort des Propheten Hosea aus dem Alten Testament (Hos 6, 6). Damit sind wir aber bei der Jahreslosung für das Jahr 2021: „Seid barmherzig wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist.“ (Lk 6,36)

Barmherzigkeit, Liebe, Leben. Das sind die Werte, die uns als Christen ans Herz gelegt sind. Jeden Tag neu. Gleich, was alle anderen um uns herum sagen oder tun. Opfer braucht und will Gott nicht! Das ist es, was ich verstanden habe! Dass uns aufgrund von Karfreitag und Ostern sogar ewiges Leben zuteil werden kann, ist ein unfassbares Geschenkt Gottes. Es entbindet uns aber nicht der Frage und Entscheidung, ob wir weiter zu denen gehören wollen, die Opfer darbringen – im Namen wessen auch immer – oder, die dem Leben dienen, wie Gott es für alle und alles will!

Die Passionszeit ist eine gute Gelegenheit darüber nachzudenken, wem unser Herz gehört. 

Seien Sie behütet!

Ihr Pfarrer Andreas Gutting

Predigt zu Johannes 12, 20 – 24, Sonntag, den 14 März 2021 - Lätare

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

„Lätare“. „Freut Euch!“ So heißt der Sonntag am 14. März. Seltsam eigentlich. Dieser Name. Freut euch. Mitten in dieser stillen, nachdenklichen Zeit, in der wir Christen an das Leiden Christi denken. Und dennoch: „Lätare!“ „Freut euch!“. Der Sonntag Lätare markiert die Mitte der Passionszeit. Er zeigt an: Der Frühling ist nicht mehr fern und die Traurigkeit wird nicht ewig dauern. Darum werden in „normalen“ Zeiten an diesem Tag auch an vielen Orten die Lätare – Umzüge veranstaltet, bei denen symbolisch der Winter verbrannt wird. „Lätare. Die Freude kehrt zurück!“

Überall in der Natur können wir es jetzt beobachten. Das Wunder des Lebens.

An den Bäumen und Sträuchern bilden sich an kahlen Ästen Knospen, die sich bald zu Blättern und Blüten entwickeln werden. Aus den kleinen, harten, unscheinbaren Samenkörnern des letzten Sommers sprießt junges Grün, das sich zu einer Blütenpracht entwickeln wird, die unseren Insekten zur Nahrung wird. Auf den Feldern keimt in der dunklen Erde aus vielen einzelnen Getreidekörnern unser Brot von Morgen. Eigentlich ganz selbstverständlich. Denken wir. Das ist doch jedes Jahr so. Und dennoch ist es für mich immer wieder ein Wunder. Das Wunder des Lebens!

Kaum zu glauben, welche Energie, wieviel Leben in solch einem kleinen, einzelnen Korn steckt. Alles, was es zum Wachsen braucht sind Licht, Wasser und Erde. Dann kann das Wunder des Lebens geschehen – das Korn bringt Frucht.

Jesus greift dieses Bild des Weizenkorns auf, Natürlich bezieht er es auf sich. Das Weizenkorn, das sterben muss, um zu neuem Leben erwachen zu können. Doch er sagt damit auch etwas über das Leben an und für sich aus. Zeiten des Ruhens und des Wachsens, Zeit zu Blühen und Frucht zu bringen und Zeiten des Abschiednehmens. Leben und Tod. All das gehört zusammen. Bedingt einander. Macht alles zusammen erst das Wunder des Lebens aus.

Es gibt eine Geschichte von einem kleinen Weizenkorn das nicht sterben wollte. Das wollte immer nur leben. Und weil es so gierig nach Leben war, blieb es allein. Doch das machte es irgendwann einsam und sehr traurig. Es wurde regelrecht depressiv. Ja, das gibt es: Trotz aller Energie, trotz aller Möglichkeiten, die in ihm steckten, sah es nur noch seine Einsamkeit und Traurigkeit.

Dieses kleine Weizenkorn, träumte vom Licht. Träumte von Wärme und Geborgenheit. Es träumte den wunderschönen Traum von der Sonne, die vom Himmel lacht. Und vielleicht würde es auch wieder lachen können, wenn es nur die Sonne sehen könnte. Das kleine Korn wollte sehr viel. Es wollte nicht nur Wärme, Licht, und die Energie der Sonne, sondern es hatte auch Durst. Sehr viel Durst. Durst nach Leben.

Ja, Wasser zum Leben. „Das will ich haben“, sagte sich das Weizenkorn. Dabei vergaß es, dass es zum Leben auch die Erde brauchte. Doch wenn man die Erde braucht und haben will, dann muss man die Erde spüren. Dann muss man in die Erde hinein. Es hatte einen starken Willen, dies depressive Weizenkorn. Viele Depressive haben einen starken Willen und ein Beharrungsvermögen. In seinem Starrsinn wollte das Weizenkorn einfach nur Sonne und Licht haben. Seinen Durst löschen, das Leben trinken. Wozu noch in die dunkle Erde hineinkriechen? Nöö, das wollte es nicht. Und so blieb es allein.

Aber dann, plötzlich und unerwartet, geschah es. Unser kleines Weizenkorn, das nicht in die Erde wollte, wurde in die Erde geworfen. Ihm war zum Sterben elend. Alles wurde anders, verwandelte und veränderte sich. Es kannte sich selbst nicht mehr. Plötzlich wurde das kleine Leben des Kornes groß und reichhaltig. Es war nicht mehr allein, stand mit vielen anderen auf einem großen Feld. Erlebte wie die Sonne aufging, wie der Regen kam und wie es wuchs. Alles war ganz neu. Auf diesem wogenden Kornfeld reiften viele Weizenkörner heran, hatten schwere Ähren und trugen viel Frucht.

Wie Jesus sagt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt bringt es viel Frucht.“

Die Geschichte des Weizenkorns will uns mitten in der Passionszeit erzählen, wie reichhaltig unser Leben werden kann. Wieviel Frucht wir bringen können, wenn wir das Leben als Ganzes annehmen.

Leben ist nicht nur Sonnenschein. Leben heißt nicht nur, den Durst nach Leben zu Stillen. Leben das kann ein schmerzlicher Prozess sein, mit höhen du Tiefen, Gemeinschaft und Abschied, Freude und Leid, Leben und Tod.

Die Geschichte dieses Weizenkorns führt uns aber auch vor Augen, wie wir als Menschen, als Einzelne wie als Gemeinschaft, oft leben: Wir hätten gerne möglichst immer nur die eine Seite. Die schöne, leichte, angenehme. Weil wir die dunkle Seite des Lebens fürchten. Damit laufen wir jedoch Gefahr, das Leben überhaupt zu verpassen, Chancen, die in uns stecken, nicht zu nutzen, Die Frucht, die wir bringen könnten, nicht zu bringen. Doch seit Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen hat das Leben als Ganzes eine ganz neue Dimension und Verheißung bekommen: Tod ist nicht mehr tot im Sinne von aus und vorbei. Durch die Dunkelheit des Todes können und sollen wir einmal vorstoßen ins Licht eines neuen, ewigen Lebens. Um aber neu leben zu können, muss man zuvor sterben. Muss in die Erde, um sich verwandeln zu lassen und dann neu zu beginnen.

Was im Bibelwort auf das Ende Jesu und des irdischen Lebens bezogen ist, können wir aber auch auf unser Leben hier und jetzt beziehen. Auch auf unser Leben als Gemeinde und Kirche. Niemand kann, muss oder soll alleine leben. Das führt nur zur Einsamkeit und dazu, dass keine wirkliche Frucht wachsen kann. Auf Gemeinschaft liegt die Verheißung von fruchtbarem Leben.

Wenn Neues entstehen und wachsen soll, muss immer wieder auch Altes wegfallen. Das zu akzeptieren fällt uns besonders schwer. Abschied nehmen von Gewohntem, Liebgewordenem. Neue Wege zu gehen, von denen wir nicht wissen wo sie hinführen, ob sie zum Ziel führen. Nur auf Vertrauen hin. Das ist nicht einfach. Darum trauen wir uns so oft nicht, Neues zu wagen und lassen viele Möglichkeiten, die eigentlich in uns steckten, ungenutzt.

Die Geschichte vom Weizenkorn, das erst sterben muss, um wirklich zu leben und Frucht zu bringen, sie will uns Mut machen. Mut loszulassen, was nicht zu halten ist. Mut miteinander Leben zu leben, uns einzulassen auf andere, weil Gott seine Verheißung auf solches Miteinander gelegt hat. Ich bin überzeugt: Wenn wir im Vertrauen auf Gott so leben lernen, dann werden wir immer wieder neu das Wunder des Lebens spüren. Am eigenen Leib, in unserer Gemeinde und Gemeinschaft. Ja und irgendwann am Ende auch tief an unserer Seele.

„Lätare“ – „Freut euch!“, „Die Freude kehrt zurück“. Mitten in der Passionszeit. Das soll uns Mut machen, uns auf das Wunder des Lebens, das Gott uns schenkt und verheißt, neu einzulassen, nicht allein zu bleiben, sondern viel Frucht zu bringen. Damit uns allen das Leben blüht! Der Welt zum Segen und Gott zur Ehre!

Seien Sie behütet!

Ihr Pfarrer Andreas Gutting

 

Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt (Evangelisches Gesangbuch Nr. 98)

Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt,
Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt.
Liebe lebt auf, die längst erstorben schien:
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

Über Gottes Liebe brach die Welt den Stab,
Wälzte ihren Felsen vor der Liebe Grab.
Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehn?
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

Im Gestein verloren Gottes Samenkorn,
Unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn –
Hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien:
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.


Predigt über Epheserbrief 5, 1 - 2 + 8 – 9, Sonntag, den 7. März 2021 (Okuli)

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

wenn wir in der Bibel lesen, werden wir oft genug direkt angesprochen: „Du“, „Ihr“…das lesen wir immer wieder. Das heißt: Wir sind gemeint! Ich bin ganz persönlich gemeint und angesprochen. Von Gott. Ohne Sicherheitsabstand. Ohne Umschweife. „Du!“ „Du bist gemeint!“ Das kann manchmal sehr tröstlich sein, ermutigend, aufbauend. Es kann zuweilen aber auch etwas unangenehm werden. Wenn wir uns erwischt fühlen, dass wir nicht so leben, wie es gut wäre. Für uns, unsere Welt und unsere Mitmenschen. In Gottes Augen. Doch auch dann, ja: gerade dann lohnt es sich die Bibel nicht gleich wieder zuzuschlagen nach dem Motto: aus den Augen aus dem Sinn. In solchen Momenten lohnt es sich hinzuschauen, hinzuhören, sich dem auszusetzen, was mit da gesagt wird. Damit sich etwas zum Guten hin ändern kann. Weil es Gott nicht darum geht zu verdammen, sondern zu heilen, Not zu wenden, Leid zu lindern.

Auch im 5. Kapitel des Epheserbriefs werden wir direkt von Gott angesprochen. „Ihr seid Kinder des Lichts! Also lebt auch so!“ Auf diese kurze Formel könnte man den Text bringen. Wir sind Kinder des Lichts, weil wir zu Gott gehören als seine geliebten Kinder. Die Liebe, die wir von ihm empfangen, sollen wir aber nicht für uns behalten, sondern weitergeben. Ein Leben führen, das von Liebe bestimmt ist. Früher einmal gehörten wir zu Finsternis. Jetzt zu Gott. Und darum sind wir jetzt Kinder des Lichts. Und sollen leuchten in der Welt durch Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit.

Das ist eine steile Aussage. Und ein ziemlich hoher Anspruch! „Lebt als Kinder des Lichts!“

Da die Finsternis, hier und jetzt das Licht. Der Text lässt keinen Raum für Zwischentöne, Graustufen. Er ist eindeutig und er fordert uns zur Eindeutigkeit auf. Gerade uns, die wir uns doch so gern im Ungefähren bewegen. Da, wo man sich nicht genau festlegen muss und darum auch nicht auf etwas festgelegt werden kann. Nicht angreifbar, aber auch nicht greifbar ist. So wie der berühmte Pudding, den man versucht an die Wand zu nageln. Das kann nicht funktionieren. Und wir lavieren uns durchs Leben. Doch so sollen Christen nicht leben. Nach Paulus, der uns den Epheserbrief hinterlassen hat. Schließlich hat Jesus sich auf ein Leben in Liebe festgelegt und festnageln lassen. Für uns. Damit wir leben können. Aber eben nicht im Ungefähren. Sondern im Licht. Ganz konsequent. In Liebe, Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Auch wenn´s manchmal unbequem ist.

Ganz oder gar nicht. So könnte man diesen Gegensatz zwischen Finsternis und Licht umschreiben, den uns Paulus vor Augen hält. Ein bisschen Christ sein geht nicht. Genauso wenig wie man ein bisschen schwanger sein kann. Wenn eine Frau schwanger ist, ändert sich ihr Leben (und hoffentlich auch das ihres Partners). Da beginnt etwas Neues. Das Leben sieht plötzlich ganz anders aus. So ist es auch mit dem Glauben. Sagt Paulus. „Ihr seid Kinder des Lichts! Also lebt auch so!“

Wer seinen Glauben leben will wird nicht darum herumkommen, Entscheidungen zu treffen. Auch neue Wege zu gehen. Neue Wege einzuschlagen aber fällt uns schwer. Weil sie ungewohnt sind. Das kann Angst machen. Das Alte ist viel vertrauter. Da fühlen wir uns sicher. Und so bleiben wir zu oft auf den eingefahrenen Gleisen und Wegen. Suchen und finden jede Menge Ausreden, um nur ja nichts ändern zu müssen. Weil wir Angst haben und unsicher sind. Darum sind uns auch junge Menschen suspekt oder ängstigen uns, die plötzlich unsere alten Verhaltens- und Lebensweisen in Frage stellen. Die den Mut und die Entschlossenheit haben, neue Wege auszuprobieren, es einfach anders zu machen als bisher. Weil sie sich um den Zustand unserer Erde sorgen, um ihre Zukunft und die ihrer noch nicht geborenen Kinder. Sie werden oft belächelt, oder runtergemacht, als idealistische Spinner bezeichnet, die schon auch noch draufkommen werden, wie der Hase läuft. Dabei haben sie Recht. Ich wundere mich manchmal, dass angesichts des Zustands unserer Erde kein Sturm von Eltern und Großeltern losbricht, die konsequent für die Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder kämpfen. Stattdessen werden diese häufig genau in dem Lebensstil erzogen, der unsere Welt an den Rand des Abgrunds gebracht hat. Weils bequemer ist? Wir dann schön so weitermachen können wie bisher? Vermutlich. Nichts desto weniger ein Irrweg (Wer´s nicht glauben mag, dem empfehle ich Texte und Lektüre von Prof. Matthias Glaubrecht z.B. Das Ende der Evolution).

Lebt als Kinder des Lichts! Entscheidungen sind gefragt, ja, manchmal vermutlich auch mit Kompromissen. Aber nicht mit halben Sachen. Denn auch beim Glauben geht´s ums Ganze. Ein bisschen schwanger geht ebenso wenig wie ein bisschen Ostern. Da ist Gott, das ist Jesus auf‘s Ganze gegangen. Hat sich festgelegt, festnageln lassen. Dass das Leben siegen soll und nicht Tod und Zerstörung. Damit ist verbunden die Vergebung meiner Sünden und die Verheißung des ewigen Lebens. Es geht ums Ganze! Für mich, für uns alle, für die Welt. Ja, auch für die! Gott geht aufs Ganze und macht keine halben Sachen. Denn wie verletzend wäre eine Vergebung unter Vorbehalten? Auferstehung als bloßes Gedankenspiel könnte niemandem wirklich Halt geben. Daran möchte ich mich festhalten und orientieren: Gott geht aufs Ganze. Darum: Lebt auch ihr als Kinder des Lichts! Und entscheidet euch!

Für Paulus lag die Zeit der Finsternis in der Vergangenheit. Heute – fast 2000 Jahre danach – wissen wir: auch wenn wir versuchen als Kinder des Lichts zu leben, machen wir Fehler, werden wir schuldig, sind wir oft nicht entschlossen genug. Gerade als Christen wissen wir um die Vorläufigkeit all unseres Handelns. Die Finsternis belgleitet uns treu durch unser Leben. Fehler werden zwangsläufig gemacht, wo gelebt und gehandelt wird. Das ist auch gar nicht so tragisch. Wenn man darum weiß, kann man dagegen angehen. Sich wieder am Licht orientieren. Es versuchen besser zu machen. Nur wo die Finsternis geleugnet wird, breitet sie sich umso gnadenloser aus. Und dort wird es dann wirklich zappenduster!

Gerade jetzt in Zeiten der Pandemie sehnen sich viele zurück in ihr „altes Leben“. Ich kann das verstehen. Und auf manches davon freue ich mich auch schon wieder sehr! Aber einfach zurückzukehren zu dem, was vorher war, das wäre ein großer Fehler. Denn vieles davon war zerstörerisch, hat Leben vernichtet, unsere Welt an den Abgrund geführt. Es werden neue Wege angesagt sein, wenn eine gute Zukunft gelingen soll. Gerade wir als Christen sollten da mutig voranschreiten, weil wir wissen: Auf das Reich Gottes kann man nicht zurückschauen. Denn es kommt auf uns zu! Die Zukunft liegt im Neuen und nicht im ewig Gestrigen! Vertrauen wir den neuen Wegen, auf die Gott uns sendet! Leben wir als Kinder des Lichts, die darum wissen, dass Gott mit Ihnen geht und ihnen entgegenkommt. Gehen wir neue Wege, auch wenn wir uns mal verlaufen oder einen Irrweg einschlagen. Wir haben das Licht, das uns auf den richtigen Weg zurückfinden lässt. Ganz gewiss!

Lassen wir uns neu ansprechen von Gott: „Lebt als Kinder des Lichts!“ Miteinander. Füreinander. Für diese ganze Schöpfung. Und es wird hell!

Seien Sie behütet!

Ihr Pfarrer Andreas Gutting


Andacht zu Reminiscere | Sonntag, 28.02.21

Liebe Gemeinde, liebe Leserinnen und Leser,

Enttäuschungen können bitter wehtun. Wer hat das nicht schon erlebt?

Man hat viel von einem anderen Menschen erwartet und wenig hat sich erfüllt. Man hat große Hoffnungen in jemanden gesetzt, viel investiert und wurde schlichtweg enttäuscht.

Ein Lied der Enttäuschung und der verlorenen Hoffnung singt auch der Prophet Jesaja im biblischen Text für diesen Sonntag. Nachzulesen in Jesaja 5, 1 - 7

Jesaja singt dabei nicht von selbst erfahrener Enttäuschung. Er hat sich unter die ausgelassenen Menschen eines herbstlichen Weinlesefestes in Jerusalem gemischt und fängt an wie ein mittelalterlicher Bänkelsänger zu singen: „Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.“

Die Weingärtner unter den anwesenden Israeliten fühlten sich wahrscheinlich sofort angesprochen und hörten ihm aufmerksam zu. Denn in Palästina weckte ein Lied vom Weinberg noch ganz andere Assoziationen: Der Weinstock war Inbegriff der Fruchtbarkeit. Im Weinstock trug die Fruchtbarkeit des Erdbodens sichtbare und greifbare Früchte, den Wein.

Kein Wunder also, dass die Fruchtbarkeit des Ackers und der Reben sich auch in der Sprache der Liebe einen festen Platz erobert hat. Mit einem Weinberg verglich ein Liebhaber gerne seine Braut.

Das Lied des Jesaja erzählt deshalb die Geschichte einer Arbeit, die zugleich Andeutung einer Liebe ist. Die Geschichte einer Liebe, die viel Arbeit macht.

Jesaja singt von einem Freund, der einen Weinberg hatte, in den er seine ganze Arbeitskraft investierte und nicht wenig Kapital dazu. Was ein Besitzer einem Weinberg nur angedeihen lassen kann, hat er getan. Er hat sich selber abgemüht dabei und es in jeder Hinsicht an nichts mangeln lassen. Er grub ihn um, die Steine trug er weg und pflanzte ihn voll Edelreben. Er baute einen Turm hinein, schuf eine Kelter für den Wein und harrte aus. Mit einem Satz gesagt: Er investierte viel Herzblut und viel Liebe in seinen Weinberg.

Man kann sich einen guten Fortgang der Geschichte und am Ende eine reife Ernte, ein Fest der Freude, versprechen. So, wie der Weinbergsbesitzer eine gute Ernte, so konnten die Zuhörer des Jesaja ein erfreuliches Ende dieses Liedes erwarten, etwas zum Schunkeln vielleicht.

Doch stattdessen kommt ein enttäuschendes „Doch“, das der ganzen Geschichte und so auch dem Lied selbst, eine andere, bittere Wendung gibt. Mit einem Mal wird es zum Klagelied.

Der Weinberg hält nicht, was der Anfang der Erzählung verspricht. Nach so viel investierter Mühe und Liebe erwartete man von ihm selbstverständlich gute Trauben. Doch ungenießbare und saure Trauben brachte er hervor. Die ganze Arbeit war umsonst und alle Anstrengung erwies sich als vergebliche Liebesmüh.

Die Hörer des Jesaja hören dies und werden gleichfalls - wie die Trauben- sauer. Darum bedarf es der Aufforderung des Jesaja, zwischen dem Weinberg und seinem Besitzer zu richten, eigentlich gar nicht mehr. Das Urteil ist nämlich schon gefallen - man ist empört.

Der Sänger Jesaja rennt offene Türen ein, wenn er fragt, was für ein Werk an jenem Weinberg denn noch zu tun geblieben wäre. „Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm?“ Die Antwort kann nur lauten: Nichts, aber auch gar nichts mehr!

Vielleicht haben einige Zuhörer Jesaja geraten, sag deinem Freund, er soll seinen Weinberg abhacken. Und ahnten dabei nicht, dass sie damit ihr eigenes Urteil sprachen. Mit diesem Eingeständnis hat der Bänkelsänger Jesaja sein prophetisches Ziel erreicht: denn seine Zuhörer hatten sich ihrerseits, ohne sich zu durchschauen, selber verurteilt. Sie hatten, wie es Richtern nur selten möglich ist, wahrhaftig ohne Ansehen der Person Recht gesprochen. Recht zwischen Gott und sich selbst. Ein Weingärtner nämlich, der dem Lied des Jesaja aufmerksam gefolgt war, konnte gar nicht anders, als den Weinbergsbesitzer gerecht zu sprechen. Und eben damit hatte er Gott gerecht gesprochen, hatte er eingestanden, dass Gott alles getan hat, was man von ihm erwarten konnte.

Jesajas Lied ist ein bitterer Abgesang auf eine nicht erwiderte Liebe. Und da Menschen sich in der Regel nicht über sich selbst empören, sondern nur über andere, musste für Israel ein Weinberg herhalten, um den Menschen klarzumachen, dass mit dem Weingärtner Gott und mit dem Weinberg das Volk Israel gemeint war.

Dieses Volk hatte, was man braucht, um die Erwartungen seines Gottes erfüllen zu können. Hatte Gott doch diesem Volk das Gesetz gegeben - und das Gesetz sollte eine göttliche Lebenshilfe sein, damit menschliches Zusammenleben gelingen kann. Das Gesetz sorgte für Verhältnisse, in denen man leben konnte und doch gab es Menschen in diesem Volk, die sich nicht an Gottes Gesetz hielten. Die das Recht beugten, andere Menschen ausbeuteten und leichtfertig Urteile über andere fällten.

Diese sozialen Missstände reichten Gott nun anscheinend. So heißt es am Ende des Liedes lapidar: „Er hoffte auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.“

Weil Gott statt Lob und Dank wohl ständig menschliche Hilfeschreie hören musste, wurde er zornig über Israel.

Doch sollten wir uns jetzt nicht anmaßen, über das Gottesvolk Israel zu richten und zu urteilen. Allzu leicht könnte es uns heute ebenso ergehen wie den Weingärtnern, die sich über den Weinberg empörten und dabei sich selber das Urteil sprachen.

Auch bei uns ist eben nicht alles Gold, was glänzt. Kennen wir das nicht auch: Das ständige Geschrei über angebliche Ungerechtigkeiten und das gleichzeitige Ignorieren von schreiender Ungerechtigkeit? Wenn wir uns heute klar werden wollen, was Gott Kummer macht bei uns, dann müssten wir freilich ganz andere Ungerechtigkeitslisten erstellen, als zu Zeiten Jesajas.

Wie sieht es in unserer Welt, in unserer Gesellschaft mit der Gerechtigkeit unter uns aus? Wie steht es bei uns mit der Gewalt in jedweder Form? Warum schweigen auch Christen immer wieder, wenn Unrecht vor ihren Augen geschieht? Antworten wir mit unserem alltäglichen Leben auf die Mühe und Liebe, die Gott in uns setzt? Gott trauert auch heute, er leidet auch heute, wo seine Liebe zu uns Menschen in der Liebe zu anderen Menschen nicht erwidert wird. Es schmerzt ihn, wo unser Leben leer bleibt.

Der Prophet Jesaja musste seine Hörer dazu bringen, sich selber zu verurteilen, sich selbst die Augen zu öffnen. Wir Christen dagegen wissen, im Gegensatz zu Jesaja, von dem Anfang, der im Ende liegt.

Christen glauben an Kreuz und Auferstehung. Und bei Jesus lernen wir: Der Schlussstrich unter alles Versagen und allen Kummer, den Menschen Gott machen können, dieser Schlussstrich ist das Kreuz.

Gott lässt es sich alles kosten, seine ganze Liebe gibt er daran, um die Beziehung zu uns Menschen offen zu halten. Er will unbedingt sein Reich bauen; er will seine Herrschaft aufrichten, er will Recht und Gerechtigkeit auf Erden.

Jesus ist der neue Weinstock Gottes, der diese Gerechtigkeit Gottes verwirklicht hat und uns vorgelebt hat, und diesen Weinstock lässt Gott nicht eingehen und verkümmern.

Jesus stellt sich vor den unfruchtbaren Weinberg, auch ein Bild für uns Menschen heute, damit der nicht vernichtet wird. Ja, noch viel mehr, er trägt das Unheil, das diesem Weinberg zugedacht ist und fängt an, stellvertretend für ihn Früchte zu bringen.

Und so liegt die neue Lebensmöglichkeit für uns darin, dass er uns annimmt, trotz allem, was wir Menschen einander antun, trotz all unserem Versagen und Scheitern. Wir können uns ihm anschließen, so, wie er selbst gesagt hat: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“

Was man sonst nur mit einem gewissen Vorbehalt sagen kann, hier trifft es zu: In diesem Wein ist die Wahrheit.

Seien Sie behütet

Ihr Pfarrer Andreas Gutting


 

 

Andacht zu 1. Mose 3, Sonntag, 21. Februar 2021

Liebe Gemeinde, liebe Leserinnen und Leser,

Adam und Eva. Die Schlange. Der Griff nach der verbotenen Frucht. Die Vertreibung aus dem Paradies. Ich vermute einmal, wenige biblische Geschichten der Bibel sind ähnlich bekannt. Kaum eine andere hatte vielleicht auch solche Folgen wie gerade diese. Bis in unsere Zeit hinein. Vor allem für die Frauen. Diese Geschichte ist inhaltlich festgezurrt in unseren Köpfen und hat über zwei Jahrtausende hinweg ganz wesentlich das Frauenbild, auch unserer Gesellschaft, bestimmt.

Der Sündenfall. So steht es dick und fett als Überschrift über dieser Geschichte in unserer Bibel.

Wenn man diese Geschichte hört, dann geht es einem wie in einem Theaterstück. Man hört den Titel und weiß eigentlich schon um was es gehen wird. Der Vorhang geht auf und gespielt wird das Stück: „Das große Aufbegehren des Menschen gegen Gott“. Es geht um die große Menschensünde und die gerechte Strafe dafür. Es ist eine düstere Inszenierung. Die Rollen der Schurken teilen sich die Schlange und Eva. Und wenn dann am Schluss der Vorhang fällt bleiben wir Zuschauer zerknirscht zurück und denken: So schlecht sind wir also!

Ich möchte Sie einladen, diese Inszenierung einmal genauer anzuschauen. In einem anderen Licht zu betrachten. Und einfach mal hinzusehen, was da eigentlich wirklich berichtet wird. Diese Geschichte einmal nicht unter dem Titel: „Der Sündenfall“ zu lesen, sondern unter der Überschrift: „Der Weg ins Leben“.

Zwei Beobachtungen sind es, die mir besonders wichtig erscheinen.

Die Erste: So sehr man sich auch bemüht, nach dem Wort „Sünde“ wird man in dieser Geschichte vergeblich suchen. Das taucht nirgends auf. Und es wird auch niemand - auch Eva nicht - als Sünder oder Sünderin bezeichnet. Die Überschrift „Der Sündenfall“ wurde ja auch erst sehr viel später über den Text gesetzt. In der Bibel steht davon nichts. Man könnte sagen: Bei allem, was da passiert: Im Paradies gibt es ganz offensichtlich noch keine Sünde. Da ist kein Platz für sie. Auf der Suche nach ihr, werden wir erst später fündig werden. Hier auf jeden Fall noch nicht.

Die zweite Beobachtung: Adam spielt ja fast die ganze Zeit nur eine Vorzeigerolle in diesem Stück. Aber fast ganz am Ende dann, als die harten Worte Gottes zu den Beschwernissen der Geburt und zur Mühe der Arbeit gefallen sind, da meldet er sich zu Wort. Und es ist wie eine Antwort auf Gottes Worte: „Und Adam nannte sein Weib Eva“. Das bedeutet so viel wie Leben - „denn sie wurde die Mutter aller, die da leben.“ Ist das nicht erstaunlich? Diejenige, die nach der verbotenen Frucht greift, die eine Frucht von dem verbotenen Baum isst, bekommt den Namen Eva, „Leben“. Adam gibt ihr gerade nicht den Namen „Sünderin“, oder „Verführerin“. Solche Namen haben ihr erst viel später Generationen von Theologen und Kirchenvätern zugeschrieben. Solche Etiketten haben ihr erst Männer verpasst. Nach dem Motto: Die Frau ist an allem schuld. Und eben das hatte solche negativen Auswirkungen für Frauen bis in die jüngste Vergangenheit. Nicht so Adam, ihr Mann: Der sagt zu ihr Eva, Leben. Und nach allem, was war, ist das mehr als eine Liebeserklärung. Soweit meine beiden Beobachtungen. Für mich werfen sie ein ganz neues Licht auf dieses alte Stück. Sehr zugespitzt könnte man - bei allem Ernst, den der Text trotz allem hat - sagen: Thema dieser alten Geschichte ist weder Sünde noch Fall. Dieses Stück aus dem Garten Eden handelt vielmehr davon, wie menschliches Leben und menschliche Freiheit erwachen. In ihm beginnen zwei Menschen, ihr eigenes Leben zu leben. Da wachsen zwei aus den Kinderschuhen heraus und beginnen auf eigenen Füßen zu stehen.

Und dabei kommt es zu einem Konflikt. Zu einem Konflikt mit dem, was war und künftig nicht mehr so sein kann, wie es war. Wie es übrigens auch heute noch unter uns Menschen zum Konflikt kommt, wo jemand ausbricht aus den gewohnten Bahnen und seine eigenen Wege geht. Etwa wenn Kinder beginnen, ihre ganz eigenen Wege zu gehen.

Hier, in unserer Geschichte sind es die Kinder Gottes, die sich nicht mehr mit dem gemachten Nest zufriedengeben, sondern die Freiheit beanspruchen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Und da gibt es dann Konflikte und das hat zwangsläufig auch Konsequenzen. Wer ein gemachtes Nest verlässt, der muss damit rechnen, dass damit auch Annehmlichkeiten verloren gehen. Vor dem Haus weht der Wind eben rauer. Auf eigenen Füßen zu stehen ist eben auch beschwerlich. Gott sagt das klipp und klar: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.“

Und es wird sich im Laufe der Zeit auch herausstellen: So wichtig es ist, einen eigenen Weg zu gehen - nicht jeder neue Weg wird automatisch besser sein als der gewohnte. Auch davon wird die Bibel später berichten. Trotzdem: Der Wunsch an sich, alleine gehen zu wollen, wird von der Bibel noch nicht als Sünde bewertet. Vielmehr müsste man sagen: Jetzt wird Sünde erst möglich. Jetzt, als die beiden einen eigenen Weg gehen, jetzt, wo sie zwischen Gut und Böse unterscheiden können. Der Griff zur verbotenen Frucht macht möglich, dass Menschen sündigen können, aber er ist noch nicht Sünde. Mit dem Griff nach dieser Frucht beginnt allein das eigenverantwortliche Leben. Was vorher war, das war eine Art behütete und umsorgte Kindheit. Und so, wie auch unsere Kinder irgendwann flügge werden, so beginnt auch hier nun der zweite Akt des Geschehens: Auf eigenen Füßen in der Welt. So schwer das für Eltern oft auszuhalten ist. Gott sei Dank ist es so. Damit unsere Kinder eben nicht zu unseren Kopien werden, sondern Originale bleiben dürfen.

Wann aber taucht eigentlich die Sünde dann auf, in diesem Stück? Wann wird sie greifbar? Dazu müssen wir einen kleinen Sprung machen, einige Szenen in der Bibel weitergehen. In der Geschichte von Kain und Abel werden wir schließlich fündig werden. Nicht im Paradies, nein, jenseits von Eden lauert die Sünde auf den Menschen. Dort in den Szenen des Anfangs werden allenfalls die Weichen gestellt. Dort entscheidet sich der Mensch, um Gut und Böse wissen zu wollen. Und dort erkennt der Mensch, dass er nun auch damit leben muss. Auf Gedeih und Verderben: mit Gut und Böse, in der täglichen Entscheidung zwischen Beidem, im immerwährenden Kampf um den rechten Weg. Das Bloße in den Tag hinein leben ist für ihn zu Ende. Jetzt steht der Mensch in der Verantwortung. Und zwar für immer. Es gibt keinen Weg zurück. Eine Rückkehr in die behütete Kindheit ist unmöglich. Es geht nicht: Zum Tor des Paradieses gehen, dreimal klingeln, die Freiheit an der Garderobe abgeben wollen und sagen: „Ich will nicht mehr.“ Die Freiheit des eigenen Lebens, die Adam und Eva sich nehmen, sie ist nicht mehr rückgängig zu machen. Sie gehört nun ein für alle Mal zum Menschsein dazu. Es wird deutlich: Die Tore des Paradieses sind geschlossen. Adam und Eva sind nun jenseits von Eden.

Aber: Noch im Paradies haben die beiden etwas erkannt: Nämlich dass sie im Grunde sehr schutzlos und hilflos auf eigenen Füßen stehen. Dass sie nackt dastehen und dieser großen Freiheit eigentlich gar nicht gewachsen sind. Und hier wird auch uns heutigen Menschen der Spiegel vorgehalten. Auch wir spüren doch diesen Widerspruch in uns drin: Auf der einen Seite den Wunsch nach möglichst großer Freiheit und auf der anderen Seite die Schwierigkeit, ja oft genug die Hilflosigkeit, mit dieser Freiheit und ihren Konsequenzen umzugehen. Freiheit, so wichtig und so schön sie sein kann: Sie hat auch ihre dunklen Seiten. Sie kann auch zur Zumutung werden. Doch die Geschichte endet ja nicht mit dieser Erkenntnis. Es bleibt nicht bei der symbolischen Nacktheit von Adam und Eva. Und so lesen wir: „Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und zog sie ihnen an.“ Da gibt es also eine Zurüstung für die neuen Wege. Und was heißt das anderes, als, dass Gott doch für seine Kinder da bleibt. Obwohl sie sich für einen anderen Weg entschieden haben. Auch auf den Wegen jenseits von Eden sollen sie dennoch von Gott umhüllt sein. Damit sie jenseits von Eden leben können und nicht jenseits von Gut und Böse enden. Und so endet diese Geschichte für mich hoffnungsvoll: Das Paradies wird zwar verschlossen. Aber Gott schließt von außen ab. Nicht von innen. Und das bedeutet: Er bleibt nicht allein in seinem Paradies zurück, in der schönen alten Kinderstube. Er begnügt sich nicht damit den Erinnerungen an schöne Kindertage nachzuhängen und Fotoalben anzuschauen. Vielmehr: Er macht das Licht im Paradies aus, schließt ab und macht sich mit auf den Weg. Auf den Weg der Freiheit, auf den langen, beschwerlichen und oft auch abgründigen Weg in das weite unbekannte Land, das Zukunft heißt. Und so möchte ich diesem Stück, dieser Geschichte von Adam und Eva einen anderen Titel geben. Statt „Der Sündenfall“, „Jenseits von Eden - doch nicht von Gott verlassen.“ Wohin der Weg auch führen mag.

Seien Sie behütet

Ihr Pfarrer Andreas Gutting

PS: Und wer sich schon immer gefragt hat, warum Adam und Eva das Paradies am Ende wirklich verlassen mussten, lese doch einfach mal in der Bibel unter: 1. Mose 3, 22!

Analog oder online z.B. unter www.bibelserver.com


Predigt über Jesaja 58, 1 – 9a, Sonntag, den 14. Februar 2021

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

letzte Woche das Wunder: Entgegen allem Augenschein werden alle satt. Ja, es herrscht sogar ein gewisser Überfluss, denn es bleibt vom Essen ja noch etwas übrig.

Heute, kurz vor Beginn der Passionszeit durchaus passend, das Kontrastprogramm: Verzicht. Fasten.

Fasten: Eine althergebrachte, religiöse (Pflicht-) Übung?

Ich gestehe: Ich hab‘s getan. Nein. Noch nicht gefastet. Es ist ja noch keine Fastenzeit. Ich habe gegoogelt. Einfach mal „fasten“ im Computer eingegeben und geschaut, was rauskommt. Es kommt jede Menge. Heilfasten z.B. Heilfasten in der schönen Südpfalz, in der Rhön oder sonst wo. Anleitungen und Methoden wie man richtig fastet. Usw. usw.

Die Gesundheitsindustrie hat das Fasten für sich entdeckt. Seit einigen Jahren schon. Der Wunsch, möglichst lange gesund zu bleiben, passt gut zum Gedanken des Heilfastens. Und die Tatsache, dass doch viele das ein oder andere Kilo zu viel mit sich herumtragen, verbunden mit einem nach wie vor gültigen Bild von Mode und Werbung, dass schlanke Menschen erfolgreich, glücklich, sexy sind, verspricht den Fastenwerbestrategen guten Zulauf und gute Geschäfte.

Bis man bei Google auf die Geschichte des Fastens stößt, auf die religiöse Dimension gar – also die Frage: Was hat mein Fasten mit Gott zu tun? – das dauert schon ein wenig.

Dabei haben wir Christen ja ein gutes Vorbild im Fasten. Nach seiner Taufe geht Jesus für 40 Tage und Nächte in die Wüste und fastet. So berichtet es zumindest Matthäus (Mt 4). Das heißt, er versucht sich so über seinen Auftrag klar zu werden, den er am Jordan empfangen hat.

An diesen 40 Tagen, die Jesus gefastet hat, orientiert sich auch die Dauer der kirchlichen Fastenzeit vor Ostern. Im Mittelalter gab es, so habe ich einmal gelesen, sogar bis zu 130 Fastentage im Jahr. Das hatte Folgen. Es förderte in mancherlei Hinsicht die Kreativität der Menschen damals, die strengen Regeln erträglicher zu machen. Das Starkbier wurde erfunden. Die Maultaschen angeblich auch (darum heißen sie im Schwäbischen ja auch „Herrgottsbescheißerle“). Und der Biber (eigentlich ja ein Säugetier) wurde aufgrund seiner Lebensweise im Wasser kurzerhand zum Fisch erklärt und endete des Öfteren als Fastenspeise auf so manchem Essenstisch eines Klosters.

In den evangelischen Kirchen stand man der Fastenpraxis eher skeptisch gegenüber. Vermutete man hinter dem Fasten doch den Versuch der Menschen, sich das Heil bei Gott durch dieses Werk verdienen zu können. Das aber lehnte man ja strikt ab. Um das zu demonstrieren, begann man in den von Zwingli reformierten Gebieten der Schweiz die Passionszeit denn auch mit einem Wurstessen.

Dass dieser Verdacht gar nicht so abwegig war, zeigt der Text aus dem Jesajabuch. Da liest der Prophet seinen Zeitgenossen gehörig die Leviten. Sie wollen Gott durch ihr Fasten zwingen, ihnen wohlgesonnen zu sein. Ihr Fasten soll sich gefälligst lohnen, auszahlen. Doch da sind sie bei Gott gerade an die falsche Adresse geraten. Im Auftrag des Herrn haut ihnen Jesaja – bildlich gesprochen – ihr ganzes heuchlerisches Verhalten um die Ohren. Sie fordern Recht und Gerechtigkeit für sich selbst, sind aber nicht bereit, Ungerechtigkeit für die sie persönlich verantwortlich sind, zu beenden. Ihr Fasten soll für Gott sein, aber sie rennen offensichtlich den ganzen Tag mit Leichenbittermine und in Sack und Asche rum. Soll ruhig jeder sehen, was sie für Gott auf sich nehmen! Die Unterbrechung des Gewohnten, wofür Fasten eine ja gute Möglichkeit wäre, Zeit, um sich Gedanken zu machen, was Gott denn von mir wollen könnte, das findet nicht statt. Man fastet und macht im Alltag einfach so weiter wie bisher. Das aber – so Jesaja – geht gar nicht.

Der bewusste Verzicht beim Fasten soll gerade die Freiräume eröffnen, Zeit zu gewinnen, um über sich und sein Leben nachzudenken und gegebenenfalls die Richtung zu ändern. Denken wir nur an den „verlorenen Sohn“.

Fasten und ein Handeln, das auf Gerechtigkeit und Freiheit zielt, das gehört untrennbar zusammen. Freiheit und Gerechtigkeit aber eben nicht in erster Linie oder gar ausschließlich für mich. Die Frage ist: Wo und wie sorge ich durch mein Tun und Lassen in meinem Umfeld für Ungerechtigkeit oder Unfreiheit? Und wie kann ich das ändern? Da sind wir dann eigentlich mitten im Jahr 2021, wo so viel über Gerechtigkeit und Freiheit, bzw. Unfreiheit geredet wird, aber selten darüber, was wir als Einzelne tun könnten, um für mehr Gerechtigkeit und Freiheit in unserer Gesellschaft, in unserer Welt zu sorgen.

Fasten so verstanden heißt nicht nur Verzicht, sondern dann auch nachdenken und umsteuern. Zu tun, was man kann, dass alle in einem Land zu ihrem Recht kommen, dass sie das zum Leben bekommen, was sie auch brauchen: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“ (Jes 58, 7) Ganz ähnlich hat es später Jesus formuliert (Mt 25 „Was ihr getan habt…).

Auf solchem Fasten, auf so einer Umkehr liegt die Verheißung Gottes: „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“ (Jes 58, 8)

Wo Menschen so leben, passiert etwas. Hin zum Besseren. Da entstehen Gerechtigkeit und Freiheit. Da wird Dunkelheit hell und die vielen Wunden, die geschlagen wurden, können heilen.

Fasten? Ja. Aber nicht als eine Pflicht, die Gott dann am Ende zu etwas zwingen würde. Fasten als Anlass zum Nachdenken, wo persönliche Umkehr gefragt ist. Wo die geschieht, aus Überzeugung und vielleicht sogar mit einem Lachen im Gesicht statt Sauertopfmine, da wird sich die Welt in einem Sinn verändern, der Gott gefällt. Dann entstehen Licht und Heil. Für alle!

Fasten und Heil haben also tatsächlich etwas miteinander zu tun. Wenn auch in einem anderen Sinn, als das die Gesundheitsindustrie meint. Fasten, im Sinne Jesajas verstanden, können auch wir Protestanten. Nicht als Pflicht, sondern weil daraus gutes Leben entsteht. Heil für die Seele. Leben, wie Gott es sich wünscht. Und wenn dabei noch ein paar Kilos verloren gehen, wird das sicher auch kein Schade sein!

 

Seien Sie behütet!                                                                                                 Ihr Pfarrer Andreas Gutting

Andacht zum 07.02.21

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

„Geht hin und seht nach!“ sagt Jesus. Zu seinen Jüngern. Genauer eigentlich: „Geht hin und seht nach, was da ist. Zu essen.“

Sie kennen wahrscheinlich die Geschichte von der Speisung der 5000. Sie waren gekommen, um Jesus zuzuhören. Wie er predigte, ihnen von Gott erzählte. Ihnen ein anderes Bild von Gott zeichnete als sie es gewohnt waren. Eines das ermutigte. Das niemanden ausgrenzte. Er erzählte von Gott als liebevollen Vater, der Heil für die Menschen will und nicht Strafe.

Und Jesus hatte sie wohl nicht enttäuscht. Er hatte gepredigt und sie waren geblieben. Den ganzen Tag. Darüber war es Abend geworden. Jesu Jünger kehren von ihrem Tagwerk zurück, berichten und geben ihm irgendwann den guten Rat, die Leute wegzuschicken, damit sie sich selbst um ihr Abendessen kümmern könnten. Denn für so viele hatten sie weder Lebensmittel noch genug Geld, um welche zu kaufen. 5000 Menschen. Wie soll man die bitteschön satt kriegen? Und dann noch Jesu Aufforderung: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Der hat vielleicht Nerven! Wie soll das denn gehen? Das widerspricht doch aller Vernunft und Erfahrung! Jesus lässt sich durch ihre Argumente aber nicht aus der Ruhe bringen und sagt: „Geht hin und seht nach! Geht hin und seht nach wie viele Brote da sind.“ 5 sind es. Eins für je 1000 Menschen. Und zwei Fische. Das ist doch aussichtslos! Doch dann geschieht das Wunder. Das Wenige wird geteilt und alle werden satt. Ja, es bleibt sogar noch eine Menge übrig. Gegen allen Augenschein passiert, was eigentlich unvorstellbar ist. Wunderbar!

Schau hin… Diesen Satz kenne ich noch aus Kindertagen, wenn es galt, eine Straße zu überqueren. Erst links, dann rechts, dann noch mal links…Sie kennen das.

Schaut hin! Sagen Lehrer*innen zu ihren Schüler*innen, wenn sie etwas Neues oder Spezielles lernen sollen.

Schaut hin! Das ist die Botschaft von Nachrichten, die uns in Worten und vielen Bildern vermitteln wollen, was in der Welt geschehen ist.

Hinschauen, sehen, das Gesehene bewerten. Das ist alltäglich für uns. Bilder haben, oder sollte ich besser sagen: hatten einmal eine große Bedeutung dafür, wie wir die Welt sehen, beurteilen, was wir für wahr halten.

„Ich glaube nur, was ich sehe!“ Ein Satz, den mein Vater immer wieder einmal aussprach. Den ich auch schon von vielen anderen Menschen gehört habe. Aber ist das so? Können wir wirklich glauben, was wir sehen?

Ich erinnere mich an ein Experiment. Ein kurzer Film wird gezeigt. Zu sehen ist eine Straße mit geparkten Autos, fließendem Verkehr. Im Hintergrund, auf der anderen Straßenseite, ein Bürgersteig, Häuser, Gebüsch. Die Aufgabe lautete, alle Fahrradfahrer zu zählen, die in dem Film durch das Bild fuhren. Das ist ja einfach. Man konzentriert sich etwas. Zählt die Radfahrer und verkündet stolz sein Ergebnis. Dann die Frage: Haben sie auch den Affen im Hintergrund des Bildes gesehen? Was für ein Affe, denke ich. Da war kein Affe. Niemals. Den hätte ich ja wohl gesehen! Der Film wird noch einmal gezeigt. Jetzt ist der Fokus natürlich ein ganz anderer. Und tatsächlich: Auf der anderen Straßenseite hüpft und winkt ein Mensch im Gorillakostüm wie wild. Vor lauter Radfahrern habe ich den glatt übersehen. Ich glaube nur, was ich sehe? Ist das was ich sehe aber wirklich wahr oder nur ein Teil der Wahrheit? Sehe ich nur das, was ich sehen will? Oder soll?

Mit den heutigen technischen Möglichkeiten können Bilder fast nach Belieben produziert werden. Was zu sehen ist, muss deswegen aber noch lange nicht wahr sein. Wer sich nur an das Offensichtliche hält, geht schnell in die Irre. Damals wie heute.

5 Brote und 2 Fische für 5000 Leute. Das geht nicht. Das ist doch offensichtlich! So dachten die Jünger damals. Und nach der allgemeinen Erfahrung – Ich glaube nur was ich sehe – hatten sie irgendwie ja auch recht.

Was Jesus mit seinem Wunder bewirken will, also außer die Menschen auch satt zu machen, das solle man nicht ganz außer Acht lassen, ist: Er will den Fokus seiner Jünger, die Perspektive, mit der sie die Situation betrachten, verändern. Obwohl sie schon eine ganze Weile mit ihm unterwegs sind, ihre Erfahrungen mit Jesus gemacht haben, sind solche Sätze wie: „Bei Gott ist nichts unmöglich!“ oder „Nichts ist unmöglich dem, der glaubt!“ noch nicht zu einem Glauben gereift, der den Blickwinkel auf die Welt verändern würde.

Da bin ich bei den Jüngern. Fehlt mir nicht auch manchmal das Vertrauen, der Glaube, der meinen Blick auf die Welt verändern könnte. Schauen wir nicht allzu oft neidisch auf das, was andere haben und vergessen dabei, was wir selbst besitzen? Hindert uns nicht Angst vor Verlust daran, zu teilen was wir haben, damit alle leben können. Weil wir meinen selbst so wenig zu haben, dass Teilen am Ende zur Katastrophe für alle wird? Und lassen darum lieber Menschen zu Hunderten im Mittelmeer ertrinken….

Die Wundererzählung von der Speisung der 5000 will zweierlei.

Zum einen unseren Blickwinkel auf die Welt verändern. Nicht mehr: Ich glaube nur, was ich sehe! Sondern: Mein Glaube verändert meinen Blick auf die Welt, meinen Blick auf mich und meine Mitmenschen und er verändert damit das, was wahr ist und Wirklichkeit werden kann. „Nichts ist unmöglich dem, der glaubt!“

Zum zweiten will uns diese Erzählung lehren, dass Teilen, allem Anschein zum Trotz, möglich ist. Ja, dass mehr als genug für alle da ist, wenn wir endlich die Angst verlieren, selbst immer zu kurz zu kommen. Wenn ich aus meinem Glauben heraus den Mitmenschen als Nächsten und nicht mehr nur als Konkurrenten sehen kann, dann wird die Welt zu einem besseren Ort. Für alle Kinder Gottes. Und darauf kommt es ihm – Gott – am Ende an. Das ist zumindest mein Glaube. Entgegen aller angeblich offensichtlichen Wahrheit, wie sie uns in immer neuen Bildern suggeriert wird!

Schau hin! Sieh dankbar, was dir gegeben ist! Nimm wahr, was dein Nächster braucht. Und dann handle im Glauben an und im Vertrauen auf Gott! Dann wird wahr werden, was kaum zu glauben ist!

Seien Sie behütet!

Ihr Andreas Gutting, Pfarrer

Andacht zum letzten Sonntag nach Epiphanias, 31. Januar 2021, 2. Mose 3, 1 - 14

Liebe Gemeinde, liebe Leserinnen und Leser,

wir begegnen einer umstrittenen Figur in unserem heutigen Predigttext. Und mit einer äußerst interessanten zugleich. Mose.

Der Sohn des Volkes Israel, der, gleich nach seiner Geburt vom Tode bedroht, von der Tochter des Pharaos gerettet wird, bei seiner Mutter die ersten Lebensjahre verbringen darf, um dann wie ein ägyptischer Prinz am Hof des Königs aufzuwachsen. Er vereint in sich die Wesensmerkmale beider Kulturen: Das Wissen um den einen Gott einerseits, die vielen Kenntnisse und Fähigkeiten, welche die Ägypter damals zur Hochkultur machten, andererseits.

Mose ist in unserem biblischen Text mit den Schafen seines Schwiegervaters unterwegs. Er ist Hirte. Ein Abstieg vom ägyptischen Prinzen zum Schafhirten. Noch dazu im heidnischen Ausland. In Midian, wo Jihtro sein Schwiegervater der Oberpriester ist. Mose musste aus Ägypten fliehen. Im Jähzorn hatte er einen ägyptischen Aufseher erschlagen, der einen Israeliten geprügelt hatte. Und er war dabei beobachtet worden. Also nichts wie weg. So weit weg wie möglich.

In Midian fasst er dann Fuß, heiratet, gründet Familie. Aber ob er diesen Verlauf seines Lebens so einfach verdaut hatte? Ob er wirklich zufrieden war mit dem was er tat? Schafe hüten bis zum Ende seiner Tage? Wir wissen es nicht. Aber so kam es ja auch nicht. Denn eines Tages passiert etwas Außerordentliches. Aus einem brennenden Dornbusch, der nicht verbrennt. Mose zieht es regelrecht die Schuhe aus, die Begegnung mit Gott, die Begegnung mit dem Heiligen.

Ich will nun nicht darüber spekulieren, wie das mit dem Busch nun sein kann oder nicht. Aber es gibt einige Punkte an dieser Geschichte, die auch für uns heute noch wichtig sind.

1. Gott begegnet nicht nur denen, die ihn suchen, sondern er bricht mitten hinein in unseren Alltag. Ganz und gar unverhofft mitten hinein ins Alltägliche. Mose ist beim Schafe hüten und nicht unbedingt auf Gottessuche. Gott ergreift die Initiative, auch wenn ich vielleicht gar nicht mit ihm rechne oder auf etwas ganz Anderes aus bin.

2. Gott ist treu. Er stellt sich Mose als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs vor. Mose ist also nicht der erste und auch nicht der letzte mit dem Gott redet und an dem er handelt. Das ist so etwas wie eine Familiengeschichte, in die Mose mit hineingenommen wird. Es ist ein regelrechter Generationenvertrag des Glaubens. Auch in bin mit meinem Glauben nicht allein, sondern kann mich darin zu Hause fühlen.

3. Gottes Name ist nicht nur Schall und Rauch. Er zeigt Wirkung, er ist Feuer in Wort und Tat. Er hat nicht nur den Vätern und Müttern die Treue gehalten, sondern er hört auch das Schreien seines Volkes. Er lässt sich von dem Elend erweichen, er leidet mit und er kommt, um zu befreien. Wo Menschen geknechtet, gequält, unterdrückt werden, da hält es Gott nicht im Himmel. Vielleicht haben Sie auch schon einmal sehnsüchtig darauf gewartet, dass Gott herniederfährt und endlich dazwischen geht, wo Menschen andern Menschen das Leben zur Hölle machen. Mir geht das manchmal so. Es gibt so viel unmenschliche Gewalt, so viel himmelschreiendes Unrecht auf der Erde! Aber der Himmel bleibt verschlossen. Kein Gott fährt hernieder und befreit die Menschen. – Habe ich da etwas falsch verstanden?

Es lohnt sich genau hinzuhören. So wie der Dornbusch nicht vom Feuer verzehrt wird, lässt sich auch Gott nicht von seiner brennenden Mitleidenschaft verzehren. Bei aller Empfindlichkeit für die Leidensschreie der Menschen wahrt er doch die Distanz, die zur Überwindung des Leidens nötig ist. Wer sich von der Not der Welt auffressen lässt, ist unfähig, ihr zu widerstehen und sie zu wenden. Wer selber in seinem Eifer und Mitleiden verbrennt, könnte nichts mehr ausrichten an den Brandherden dieser Erde. Das Beispiel Mose, der in seinem brennenden Eifer einen Menschen erschlägt sollte uns eine Warnung sein. Die die sich verzehren in ihrem Eifer, und sei es der Eifer des Glaubens, richten meist nichts Anderes an als Chaos und Elend.

Gott beruft Mose also zum Führer seiner Befreiungsbewegung. Das ist kein Widerspruch dazu, dass Gott selber der Befreier bleibt. Er bedient sich Mose als Werkzeug. Indem er ihn beauftragt, stellt er klar, von wem die Initiative ausgeht. Gott behält das Heft des Handelns in der Hand. Es gehört eben auch zum Wesen Gottes, dass er die Kooperation mit uns Menschen sucht.

Bereitschaft zur Kooperation. Ein durch und durch sympathischer Wesenszug Gottes. Damit ist uns Menschen allerdings die Möglichkeit verbaut, Gott die Schuld für das Elend der Welt in die Schuhe zu schieben und ihn haftbar zu machen, wenn sich nichts zum Besseren wendet. Wir sind gefragt als Mitstreiter Gottes gegen Not, Hass und Gewalt. Wir werden von Gott in die Verantwortung genommen, unseren Mund aufzumachen und aktiv gegen Not, Unterdrückung und ja, auch gegen Dummheit anzugehen.

Wie viel Mut das erfordert, erleben wir aktuell in unserer Situation immer wieder. Und wie wir heute, so versuchte sich auch Mose damals erst zu sträuben, versuchte, sich der Verantwortung zu entziehen. Eine Ausrede nach der anderen fällt ihm ein, um dem Ruf Gottes nicht folgen zu müssen. Angst mag eine Rolle gespielt haben (schließlich war er ein gesuchter Mörder) aber vielleicht auch Bequemlichkeit. Er war schließlich angekommen in Midian. Warum das alles gegen eine unsichere Existenz eintauschen?

Ein Argument nach dem anderen findet er, um Gott nur nicht folgen zu müssen. Wer bin ich denn, dass mir so ein Auftrag zukommt? Sie werden wissen wollen wer mich überhaupt schickt. Sie werden mir nicht glauben. Ich kann überhaupt nicht gut reden. Das ist fast so, wie wenn man als Pfarrer Kandidat*innen fürs Presbyterium sucht. Einfach mühsam. Aber im Gegensatz zu manchem Pfarrer gibt Gott nicht so schnell auf und lässt keines der Argumente Mose gelten. Er gibt ihm vielmehr ein Versprechen, das Mose am Ende vielleicht umstimmt, „Ich will mit dir sein“ sagt er. Und: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Der Gott der Bibel ist kein „Gott an und für sich“, sondern ein „Gott für uns“. Nicht nur Treue in der Vergangenheit. Nicht nur Befreier in der Gegenwart. Sondern Weggefährte in alle Zukunft, wo immer Menschen aus unerträglichen Lebensverhältnissen, aus der Herrschaft von Menschen über Menschen aufbrechen. Die Begegnung Gottes mit Mose am brennenden Dornbusch: Ein „Qualitätssprung“ in der Gotteserkenntnis. Sein Mitleiden mit den Menschen wird gesteigert bis zum Mitsterben am Kreuz Jesu über 1000 Jahre später. Und er lässt sich doch nicht verzehren im Leiden und Sterben. Am Ostermorgen scheint die größte nur denkbare Freiheit auf: die Freiheit vom Tod. Das Evangelium von der Verklärung Jesu (Mt 17, 1 – 9) rückt die beiden großen Befreier Mose und Christus vereint ins Licht. Es weist uns den Weg durch die bald beginnende Passionszeit.

„Das zieht einem ja die Schuhe aus!“ Vielleicht sollten wir öfter mal die Schuhe ausziehen, buchstäblich oder im übertragenen Sinne, um sensibel zu werden für das, was Gott uns sagen und wohin er uns senden will. Von Christen aus Indien oder Afrika oder von den Muslimen können wir einiges lernen. Barfüßig, mit direkter Bodenhaftung, werden wir demütig im wahrsten Sinne des Wortes, offen für die Begegnung mit dem Heiligen mitten im Alltag, und mutig, an der Seite des heruntergekommenen Gottes für die Freiheit, gegen Unterdrückung und Menschenverachtung zu streiten. Der Gott unserer Väter und Mütter, der „Ich will mit dir sein“, der „Ich bin, der ich sein werde“ stärkt uns dazu den Rücken.

Seien Sie behütet!

Ihr Andreas Gutting, Pfarrer


Angedacht

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

ein Pfarrer ist spät am Abend mit seinem Auto unterwegs. Er fährt Schlangenlinien. Prompt gerät er in eine Polizeikontrolle und wird angehalten. Er lässt sein Fenster ein Stück herunter und der Polizist fragt: „Haben Sie getrunken, Herr Pfarrer?“ „Nur Wasser!“ antwortet der. „Aber Sie sind Schlangenlinien gefahren“ entgegnet der Polizist. „Ich habe nur Wasser getrunken!“ „Aber Herr Pfarrer, ich rieche doch den Alkohol und da unten im Fußraum, das ist doch eine leere Weinflasche!“ Der Pfarrer schaut auf neben sich auf den Boden seines Autos und ruft: „Oh, er hat’s schon wieder getan!“

Sie wissen wahrscheinlich, auf welche biblische Geschichte dieser Witz anspielt.

Zu Beginn des Johannesevangeliums (Johannes 2, 1 – 11) wird erzählt, dass Jesus und seine Jünger zu einer Hochzeitsfeier eingeladen waren. Da haben zwei Menschen „Ja“ zueinander gesagt, feiern ein großes Fest, weil sie sich wie im 7. Himmel fühlen und sie wollen all ihre Freunde und Bekannten an ihrem Glück teilhaben lassen. Und dann der Super-Gau für solch ein Fest: Vor der Zeit geht der Wein aus. Die Gäste sitzen sozusagen auf dem Trockenen. Eine Blamage für die Gastgeber.

Maria, Jesu Mutter, erkennt das Dilemma und geht zu Jesus hin. „Sie haben keinen Wein mehr!“ sagt sie zu ihm. Und vermutlich noch: „Tu doch was! Hilf ihnen aus der Klemme, damit das Fest weitergehen kann. Du kannst das doch!“ Jesus reagiert extrem abweisend. „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen!“ So hätte ich mit meiner Mutter nicht reden dürfen. Doch Maria lässt sich von der Abfuhr nicht entmutigen und weist die Jünger an, zu tun was Jesus ihnen sagen wird.

Interessant finde ich, dass von Jesus keiner der Sprüche zu hören ist wie: “Wir können doch auch ohne Alkohol fröhlich sein!“ Auch kein moralisierender Vortrag über die Gefahren des Alkohols ist von ihm zu hören. Vielmehr tut er am Ende, um was Maria ihn gebeten hat. Er lässt seine Jünger die leeren Weinkrüge mit Wasser füllen – kluge Menschen haben ausgerechnet, dass es sich dabei um Gefäße mit ca. 600 Liter Fassungsvermögen gehandelt habe – und zum Speisemeister bringen, damit der den Inhalt der Krüge probieren soll. Und der kann es nicht fassen. Er ruft den Bräutigam zu sich und tadelt ihn geradezu. „Mensch, bei so einer Hochzeit schenkt man doch zuerst den guten Wein aus und wenn die Gäste dann betrunken sind den weniger guten. Du hast den besten Wein aber bis jetzt zurückgehalten.“ Ein lebenskluger Mann, der aber die Dimension dessen, was da vor seinen Augen passiert ist, nicht erfasst.

Johannes hilft uns zu verstehen. „Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat … und er offenbarte seine Herrlichkeit.“

Nicht um seine eigene Herrlichkeit geht es aber. Jesus will nicht sich selbst, quasi als Supertalent, in den Vordergrund stellen. Bei diesem, wie bei allen anderen Wundern, die er später noch tun sollte, geht es immer darum, auf den hinzuweisen, der ihm überhaupt erst die Kraft und die Macht gibt, so etwas zu tun und in dessen Auftrag er als sein Sohn in die Welt gekommen ist: Gott.

Die Botschaft ist klar: Gott ist mit seiner Herrlichkeit mitten unter uns. Bei der Hochzeit damals ließ Jesus die Menschen ein Stück Himmel sehen. Er ließ sie bei diesem Fest der Liebe die Liebe Gottes spüren, damit es weitergehen konnte und sich nicht Ernüchterung und Enttäuschung breitmachten.

Das war also das erste Wunder, das Jesus wirkte. Viele andere folgten. Immer sollten sie deutlich machen: Bei Gott ist nichts unmöglich. Er vermag alles. Und er hat uns den gesandt, der diese Wunder tat, damit wir Frieden, Heil und Leben haben sollen. Jesus Christus.

Wir wissen wo der Weg, der in Kana begann, endete. Auf dem Hügel Golgatha am Kreuz. Aber dort, in Jerusalem, geschieht dann aber auch das größte aller Wunder, das Gott selbst wirkt, indem er Jesus von den Toten auferweckt. Für uns.

Wunder. Zeichen Gottes, die uns Mut machen sollen und können. Die aber niemals die einzige Grundlage unseres Glaubens sein können, weil wir sonst scheitern würden. Fundament unseres Glaubens kann nur der sein, der diese Zeichen tat, um unseren Glauben und unser Vertrauen in Gott zu stärken. Um uns zu zeigen: Wir liegen Gott am Herzen. Er kümmert sich um uns. Selbst bei so etwas Banalem, wie wenn der Wein bei einer Hochzeit ausgeht.

Wunder sind Zeichen der Stärkung. Ich glaube: Wunder gibt es auch noch heute. Vielleicht nicht mehr so spektakulär wie damals, Doch wenn wir uns die Zeit nehmen einmal still zu werden und Herz, Seele und Sinne zu öffnen, dann werden wir auch heute noch die Zeichen der Herrlichkeit und Liebe Gottes in unserem Leben und in unserer Welt erkennen können. Wir werden sehen, wie viel Gutes er uns jeden einzelnen Tag schenkt. Wie viel Wunderbares, über das wir vor lauter Hektik und auch Sorgen so schnell hinwegsehen.

Gerade in diesen Monaten, in denen wir so manches Gewohnte entbehren, könnten wir dann die ermutigenden Zeichen Gottes in unserem Leben, das Wunderbare, wiederentdecken und uns von ihm stärken lassen, Von seiner Liebe, seinem Licht, seiner Kraft, die Wasser in Wein verwandeln kann. Auch in unserem Leben.

Vielleicht hat er das ja gerade diese Woche erst für jemanden von uns getan – und wir haben es nicht einmal gemerkt.

In diesem Fall wünsche ich uns, dass er uns mit der Nase drauf stößt, damit wir uns darüber freuen können, unser Glaube neue Hoffnung und Kraft erfährt und wir spüren, wie wichtig wir Gott sind. Auch wenn nur mal der Wein ausgeht.

Seien Sie behütet!

Ihr Pfarrer

Andreas Gutting


Andacht zur Jahreslosung

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

„Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist!“ (Lukas 6, 36)

Das ist das Motto, das für uns evangelische Christen über diesem noch jungen Jahr 2021 geschrieben steht. Aufforderung und Ermahnung zugleich!

Denn Barmherzigkeit hat nicht unbedingt Konjunktur in unseren Zeiten. Sowohl sprachlich, wie im Verhalten von Menschen scheint sie weitgehend verschwunden zu sein.

Doch: Was bedeutet Barmherzigkeit eigentlich?

Immer wieder wird uns in der Bibel Gott als barmherzig, gnädig, langmütig vorgestellt. Und darum stellt uns Jesus, von dem das Wort unserer Jahreslosung ja stammt, eben Gott als Vorbild vor Augen, wenn es darum geht, Barmherzigkeit zu üben.

Barmherzigkeit kann man so deuten, dass derjenige, der barmherzig ist, sich im Herzen anrühren, berühren lässt vom Schicksal, Leiden, der Not eines anderen. Ohne, dass das nach den Maßstäben menschlicher Gerechtigkeit verdient sein müsste. Im Gleichnis vom „verlorenen Sohn“ vermittelt Jesus uns einen Eindruck davon, wie Gottes Barmherzigkeit aussieht. Aus Liebe und Freude über die Umkehr des, aus unserer Sicht missratenen, Sohns nimmt Gott ihn wieder bei sich auf und feiert seine Rückkehr mit einem großen Fest. Das ist Barmherzigkeit.

Nicht zufällig geht im Lukasevangelium unserer Jahreslosung das christliche Gebot der Feindesliebe unmittelbar voraus. Darin wird für ihn Barmherzigkeit konkret. Im Anschluss an die Jahreslosung – wiederum nicht zufällig – finden sich zwei Mahnungen:

„Richtet nicht, so werdet auch ihr nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet auch ihr nicht verdammt, Vergebt, so wird euch vergeben.“ Und das Gleichnis vom Splitter im Auge des Nächsten und dem Balken im eigenen Auge. (Lukas 6, 41 + 42).

Schon zu Jesu Zeiten war es so, dass Menschen gerne, ausgiebig, selbstgerecht und vor allem unbarmherzig über andere geredet und geurteilt hatten. Weil sie Fehler gemacht hatten, moralisch vielleicht nicht dem Verhalten der Mehrheit entsprachen oder einfach anders waren, eine andere Meinung hatten. Die erklärte man wohl damals schon zu Feinden (Feindesliebe!) und fällte Urteile über sie, die sie aus der Gesellschaft ausschlossen oder an den Rand drängten.

Was Jesus uns ins Stammbuch schreibt: So wie du behandelt und beurteilt werden möchtest, so behandle gefälligst auch andere! Und noch wichtiger: Kümmere dich doch erst mal um den Dreck, den du unter deinen Teppich gekehrt hast und der vor deiner Haustür liegt, bevor du über andere den Mund aufmachst!

Ich weiß: Das Ende des meisten Dorftratschs und von vielem Müll in den sogenannten sozialen Medien. Aber das wäre kein Schade, sondern ein echter Gewinn, wenn diese Mahnungen Jesu einmal bei uns ankämen.

„Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist.“

Ein Wort, das mitten in unsere Zeit und in unser Leben trifft. Wie wir unbarmherzig mit anderen umgehen, habe ich gerade angedeutet. Dass Menschen mit anderen Ansichten und Meinungen geradezu zu Feinden werden, dazu brauchen wir nicht überheblich in die USA der jüngsten Zeit zu schauen. Es reicht auch ein Blick in unser eigenes Land, in unsere eigenen Dörfer, da werden wir schnell genug fündig werden und sehen, dass es all das auch mitten unter uns gibt.

Doch es geht weiter. Wie unbarmherzig, herz- und gedankenlos, gehen wir mit der Schöpfung um? Keine Gnade, wenn es um kurzfristige Gewinne geht, seien die langfristigen Kosten auch noch so hoch.

Und schließlich: Wie unbarmherzig gehen wir oft genug mit uns selbst um, weil wir Angst haben, aus dem unbarmherzigen Kreislauf des immer schneller, besser, weiter, höher, härter rauszufallen, zu versagen und dann ebenso abgeurteilt und abgeschoben zu werden, wie wir das oft genug selbst praktiziert haben?

Burnout mit all seinen verheerenden Folgen und Nebenwirkungen ist die Folge. Psychologen können sich vor Arbeit oft nicht mehr retten mit Patient*innen von Kindes Beinen an.

Folge eines unbarmherzigen und darum unmenschlichen Wettbewerbsdenkens, das nur Gewinner akzeptiert. Wer das in seiner krankhaften Form sehen möchte, hatte die vergangenen vier Jahre bis in die letzten Tage hinein immer wieder die Gelegenheit dazu.

Für mich steht fest: Wenn ich es ernst nehme mit der Aufforderung Jesu barmherzig wie Gott zu sein, dann muss ich zunächst lernen, auch mit mir barmherzig zu sein. Meine Grenzen, meine Schwächen, meine Fehler zu akzeptieren und Gott zu bitten, mich ebenso anzunehmen und zu tragen. Dann werde ich es hoffentlich auch schaffen, mein Herz vom Schicksal anderer berühren zu lassen und mit ihnen barmherzig zu sein.

Dazu noch eine Geschichte aus Irland: Ein Mensch wollte sich von einer Klippe stürzen. Da kam ein Fremder vorbei. Ihm erzählt er schließlich die Geschichte seines traurigen Lebens: Dass er alle Gebote Gottes gebrochen hatte und den Leuten nur mehr ein Ärgernis war. Seine Schuld sei so groß, dass er nicht mit dem Erbarmen Gottes rechnen könnte. Der Fremde entgegnet ihm: „Aber du weißt doch, die Barmherzigkeit Gottes ist unvorstellbar groß. Er bietet uns immer seine verzeihende Liebe an. Wir brauchen sie nur anzunehmen.“

Der verzweifelte Mann entgegnete: „Mein Herz ist wie ein Eimer voller Risse und Löcher. Sobald Gott seine Vergebung hineingießt, geht sie verloren!“ Da antwortete der Fremde: „Das Herz eines jeden von uns ist vergleichbar mit einem Eimer voller Risse und Löcher. Aber wenn dieser löchrige Eimer in das Meer der barmherzigen Liebe Gottes geworfen wird, ist es gleich, wie viele Risse er hat; denn das Meer der Liebe Gottes umschließt und durchdringt dich von allen Seiten.“

Diese Geschichte macht mir Mut. Mut, mich der Barmherzigkeit Gottes anzuvertrauen, mich in dieses Meer seiner Barmherzigkeit zu stürzen, damit ich selbst barmherzig werden kann. Im Umgang mit Menschen, die Hilfe brauchen egal woher sie kommen, mit Menschen, die anders leben, denken fühlen wie ich. Dass ich aufhöre, letzte Urteile zu fällen, die mir nicht zustehen. Dass ich die Not der Schöpfung erkennen und auch mein Verhalten an dieser Not ausrichte.

Was wäre das für eine Welt, wenn nicht nur ich, sondern viele Menschen versuchten, immer mehr Barmherzigkeit zu üben. Jeden Tag, unsere Welt in ein Meer der Barmherzigkeit zu verwandeln.

Ein Traum. Vielleicht. Aber einer, dem sich nachzuleben lohnt.

Darum noch einmal: Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist!

Ich grüße Sie herzlich! Seien Sie behütet!

Ihr

Andreas Gutting

Andacht zum Jahreswechsel

Es war einmal. So fangen Märchen an.

Es war einmal. Diese Worte kommen mir in den Sinn, wenn ich auf das zu Ende gehende Jahr 2020 zurückschaue.

Es war einmal. Kaum etwas ist tatsächlich oder gefühlt noch so, wie es vor der Corona – Pandemie war. Abstand statt Nähe. Einkaufen – wenn überhaupt – dann mit Maske. Singen im Gottesdienst verboten. Mancherorts Ausgangsverbote. Händeschütteln – einst ein Gebot der Höflichkeit – längst verpönt. Viel zu gefährlich. Die Liste ist lang. Viel länger, als diese wenigen Beispiele es zum Ausdruck bringen.

Ein winziger Virus hat unser Leben durcheinandergewirbelt. Lahmgelegt. Auf den Kopf gestellt. Fast von jetzt auf nachher. Und er hat nicht nur unser Leben verändert, sondern auch ans Licht gebracht was unter der Decke unserer Gesellschaft vor Corona so alles geschlummert hatte bzw. unter den Teppich gekehrt worden war.

Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. Darum an dieser Stelle nicht der Versuch, in die Zukunft zu schauen. Denn wer hätte sich zur letzten Jahreswende auch nur annähernd vorstellen können, was da im Jahr 2020 auf uns zukommen würde?

Also: Es war einmal. Die Zeit vor Corona. Die war ja auch nicht nur ein Zuckerschlecken gewesen.

Finanzkrise 2008. Erinnern Sie sich? Wir kamen ganz gut durch, die Wirtschaft wuchs, die Arbeitslosigkeit sank. Nicht wenige profitierten davon. Gut – vielleicht nicht so sehr wie die kleine Gruppe der Superreichen. Aber immerhin. Dass dabei die soziale Schere trotzdem immer weiter auseinanderging, hier bei uns und in der Welt, das geriet dabei schnell in den Hintergrund.

Klimakrise. Schlimm. Ja. Aber deswegen gleich auf den günstigen Flug in den Kurzurlaub in den Süden verzichten? Irgendwas muss man sich doch auch mal gönnen. Und sollen doch erst mal die anderen… Sie wissen wieder Satz weitergeht. Und Schwankungen bei Wetter und Klima gab es doch schließlich auch schon immer…

Raubbau der Ressourcen unserer Welt. Der Tag, an dem wir die uns zustehenden Ressourcen verbraucht hatten rückte im Jahr immer weiter nach vorne. Meist war es uns nur kurze Nachrichtenmeldungen wert. Und dann weiter im Takt. Schließlich muss die Wirtschaft wachsen, die Preise niedrig bleiben. Wo kämen wir denn sonst hin. Dass das alles auf Kosten unserer sonst so geliebten Kinder und Enkel geht. Dumm gelaufen irgendwie.

Artensterben. Schön und gut. Aber im Garten singen doch noch Vögel. Viel zu früh im Sommer noch dazu… Und wenn es nicht so viele Insekten gibt, ist das doch auch ganz angenehm…Und außerdem spendete man ja auch für den Tierschutzverein.

Hauptsache der Spaßfaktor im Leben kam nicht zu kurz. Events, Parties, Vergnügungen aller Art. Das war angesagt. Mir kam es damals manchmal schon so vor wie das berühmte „Brot und Spiele“ im alten Rom. Oder auch wie in der berühmten biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babel, die uns im Alten Testament erzählt wird. Dort wird von der Hybris der Menschen erzählt, die nicht nur Herren der Welt, sondern auch des Himmels sein wollten. Niemand mehr über sich dulden, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Gott los werden, um frei zu sein. Das Ende ist bekannt. Statt Aufstieg und Macht ernteten die Menschen in Babel Zerstreuung, Niedergang und Chaos.

Vielleicht ist mein Blick zurück getrübt. Zu holzschnittartig. Es gab ja schließlich auch Menschen vor Corona, die nicht so lebten. Damals. Sicher. Doch dann kommen mir Erinnerungen an das Frühjahr in den Sinn. Fragen wie: Werden wir aus dieser Krise etwas lernen? Unser Verhalten ändern? Ich erinnere mich an die Freude bei vielen, als sich im ersten Lockdown die Natur zu erholen schien, Tiere in jetzt ruhige Gebiete zurückkehrten, die Luft plötzlich klarer und sauberer wurde. Doch dann fingen wir an Fluggesellschaften zu retten, einen Großflughafen einzuweihen mit dem Ziel, möglichst bald an vergangene Zeiten anknüpfen zu können.

Es kommen Erinnerungen hoch an Feiern in Freien, die in Gewaltorgien endeten. Menschen, die ihre gewohnten individuellen Freiheiten nicht zugunsten der allgemeinen Sicherheit und Gesundheit einschränken wollten. Querdenker die abwiegelten und leugneten, bis sie selbst im Krankenhaus lagen. Seltsame, erschreckende Bündnisse erblickten auf Demonstrationen die Welt. Erst der Ton und dann das allgemeine Klima in unserer Gesellschaft wurden rauer.

Nicht zuletzt denke ich auch an das Leben in den vielen Kirchengemeinden, das sich so grundlegend änderte. Nicht nur im gottesdienstlichen Leben. Ausgefallene Treffen von Gruppen und Kreisen. Ausgefallene Konzerte. Ausgefallen Konfirmationen und Jubelkonfirmationen. Karfreitag, Ostern, Weihnachten ohne Gottesdienste.

All das war und ist immer noch Wirklichkeit. Nichtvorstellbar vor einem Jahr. Einer Zeit, an die ich zurückdenke mit den Worten: Es war einmal. Einer Zeit, von der ich mir Manches zurückwünsche: Direkte, unbefangene Kontakte zu Menschen, Gottesdienste, in denen wieder gesungen werden kann, wieder selbst Musik machen zu können, mit Freunden feiern können – einfach so. Von anderem würde ich mir wünschen, wenn es bei dem „Es war einmal“ bliebe. Dass wir aus der Krise wirklich lernten und alte Fehler korrigierten.

Was mir bei all dem wichtig wurde in diesem Jahr, ist in Worten Dietrich Bonhoeffers ausgedrückt, die ich schon einmal zitiert habe. Es ist ein Glaubensbekenntnis, das er so formuliert hat:

Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.

Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.

In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.

Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.

Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Schicksal ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.

Mit einem solchen Glauben kann ich manches gelassener hinnehmen, was war. Auch wenn es mich belastet oder geärgert hat. Mit einem solchen Glauben kann ich, bei aller Unsicherheit, auch das kommende Jahr getrost aus Gottes Hand nehmen im Vertrauen darauf, dass er mir die Kräfte geben will, die ich brauchen werde, um neue Herausforderungen zu bestehen. Und in solchem Glauben kann ich eher zu einer Haltung finden, die uns die Jahreslosung 2021 mit auf unseren Weg gibt: „Seid barmherzig wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lukas 6, 36).

Was wäre das für ein Jahr, wenn wir das trotz aller Schwierigkeiten, Ärgernisse und Gefahren schafften: Barmherzig sein. Gegenüber den Menschen, die uns nahestehen. Gegenüber den Menschen, die eine andere Meinung haben als wir und uns nerven. Barmherzig sein gegenüber denen, die in Not sind. Barmherzig sein gegenüber der ganzen Natur. Und nicht zuletzt barmherzig sein gegenüber uns selbst.

Das würde die Welt wirklich zum Guten hin verändern. Davon bin ich überzeugt. Und darum lege ich das alte Jahr getrost zurück in Gottes Hand damit meine Hände frei werden, das Neue zu empfangen.

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Jahr 2021. Seien Sie behütet auf allen Ihren Wegen!

Ihr

Andreas Gutting, Pfarrer


 

 

Weihnachten 2020

Liebe Leser*innen, liebe Gemeindeglieder,

es ist stockfinster draußen, als ich diese Worte schreibe. Die kürzesten Tage und längsten Nächte des Jahres sind angebrochen. Dunkle Jahreszeit. Für manche schon in „normalen“ Jahren nicht einfach auszuhalten. Und jetzt, in diesem Jahr, diesem besonderen, historischen Jahr 2020, ist es noch einmal schwerer. Pandemie, Lockdown, Kontakteinschränkungen, volle Intensivstationen, Pflege- und medizinisches Personal am Anschlag. Infektions- und Sterbezahlen, wie wir sie uns im Frühjahr nicht hätten träumen lassen.

Das lässt für viele die Welt noch dunkler scheinen, als sie es ohnehin schon ist. Und das gerade an Weihnachten. Dem Fest, das wir am intensivsten damit verbinden, dass die Familie zusammenkommt und feiert. Dass man die Menschen, die einem am wichtigsten sind, um sich herum hat, treffen kann. Zeit, in der man spürt, wo man herkommt, wo man hingehört.

Das alles kann und soll so nicht sein in diesem Jahr. Damit haben nicht wenige zu kämpfen. Ganz abgesehen davon, dass für viele Menschen die wirtschaftliche Existenz durch Covid 19 konkret bedroht wird. Finstere Aussichten für so manchen. Und dann soll auch noch Weihnachten ausfallen?

Wir wollen Weihnachten retten! So war es noch vor wenigen Wochen zu hören. Das sollte Optimismus verbreiten und war sicher auch gut gemeint. Aber: Ist Weihnachten verloren, nur, weil wir es in diesem Jahr nicht so feiern können, wie wir es bisher gewohnt waren?

Nein! Weihnachten fällt nicht aus! Und Weihnachten muss auch nicht gerettet werden.

Wenn uns die derzeitige Krise etwas lehren kann, dann doch das: All das, was wir bisher einfach als gegeben, als selbstverständlich hingenommen hatten, in einem neuen Licht zu betrachten. Vielleicht auch mehr wert zu schätzen.

Für Weihnachten heißt das: Nicht Weihnachten muss gerettet werden, sondern: An Weihnachten wird uns der Retter geboren! Der Prophet Jesaja hat das schon vor weit über 2000 Jahren gesehen und in diese Worte gefasst: „“Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“ (Jesaja 9, 1)

Gott wird Mensch. In einem Kind, das unser Retter, unser Heiland ist! Ein Licht in der Finsternis unserer Zeit, in der Finsternis aller Zeiten. Ein Licht, das uns Hoffnung, Zuversicht und Orientierung schenkt, weil es uns sagt: Gott ist in unserer Welt! Gott ist in meinem Leben. Er geht mit mir meinen Weg, durch alle Finsternisse und Tiefen, durch alles was belastend und bedrohlich wirkt, hindurch. Ganz gewiss! Und darum brauchen wir uns nicht zu fürchten! Das war die Botschaft der Engel damals. Und es ist die Botschaft von Weihnachten bis heute! Der Weihnachtsstern zeigt uns den Weg zur Krippe. Dort ist das Entscheidende für uns passiert. Sein Licht ist stärker als alle Dunkelheit, die ihm wird weichen müssen!

Darum: Gesegnete und frohe Weihnachten!

Anders als sonst. Aber mit der gleichen befreienden Botschaft wie eh und je!

Seien Sie behütet!

 

Ihr

 

Andreas Gutting, Pfarrer

 

Predigt vom 27.09.20

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

kennen sie den Begriff „German Angst“? Der wird besonders im englischsprachigen Raum dafür benutzt, um eine, bei uns Deutschen offenbar festzustellende kollektive Charaktereigenschaft zu beschreiben.

Deutsche, so die Aussage, fürchten sich allzu schnell vor vielen Dingen und Ereignisse und werden dadurch zögerlich bis hysterisch in ihren Reaktionen und Handlungen. So zumindest die Wahrnehmung, die man in Teilen der Welt von uns hat.

Angst ist ein schlechter Ratgeber, heißt es bei uns dagegen im Sprichwort. Und sie kennen das ja vielleicht: Angst kann tatsächlich regelrecht lähmen. Man ist starr vor Angst. Reagiert auf eine Gefahr gar nicht oder falsch und bringt sich damit erst Recht in Gefahr. Wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange.

Dabei ist Angst eigentlich eine Grundempfindung von uns Menschen, geradezu überlebenswichtig. Wer nämlich in grauer Vorzeit keine Angst vor dem Säbelzahntiger oder dem Höhlenbären hatte und schnell genug davonlief, der wurde unter Umständen einfach gefressen.

Wem das zu weit weg ist: Vielleicht kennen sie den Extrembergsteiger Alexander Huber. Einer von den bekannten „Huberbuam“. Verwegen aussehend mit seinen langen Haaren und der sportlichen Vorliebe extrem schwierige Klettertouren im absoluten Alleingang zu bewältigen. Nun könnte man meinen, dass einer, der Senkrechte, überhängende mehrere hundert Meter hohe Felswände ohne jede Sicherung hochklettert entweder lebensmüde und auf alle Fälle absolut angstfrei sein muss.

Beides ist nicht der Fall. Im Gegenteil. Immer wieder betont er, dass gerade die Angst für ihn etwas extrem Wichtiges sei. Denn sie mahnt ihn zur Vorsicht und bringt ihn dazu, in einen Zustand höchster Konzentration zu kommen, so dass er sich nicht mit Angstgedanken vor dem möglichen Absturz und Tod, sondern mit der nächsten Kletterbewegung, dem nächsten Tritt oder Griff beschäftigt und sonst nichts. Und das macht für ihn das ganze Unternehmen dann planbar und wagbar. Und immerhin ist ihm – bis heute – ja auch noch nichts passiert. Worum es geht ist die Extreme zu vermeiden. Einerseits der Angst die Kontrolle über unser Denken und Handeln zu überlassen und dadurch unter Umständen schwere Fehler zu begehen. Andererseits die Angst zu verdrängen oder zu ignorieren und dadurch leichtsinnig und fahrlässig zu werden und auch wieder Gefahr heraufzubeschwören.

Aufs Ganze betrachtet, scheint es mir schon so zu sein, dass wir in Deutschland eher dazu neigen uns Sorgen zu machen, ehr Risiken als Chancen zu sehen und entsprechend vorsichtig, oder auch ängstlich zu agieren. German Angst.

Und das nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern auch in der Kirche. Natürlich sind wir derzeit nicht gerade in einfachem Fahrwasser. Corona, aber nicht nur das, macht es uns nicht gerade einfach optimistisch in die Zukunft zu schauen. Und so laufen wir als Christen oft genug durch die Welt, als würde deren gesamte Last auf unseren Schultern lasten. Oder wie wir in der Pfalz auch gerne sagen: Wie das leibhaftige Leiden Christi. Dabei sollten wir doch die Zeugen der guten Nachricht an die Welt sein. Der frohen und freimachenden Botschaft an die ganze Welt. Zeugen des Evangeliums. Was haben wir zum Beispiel in der Presbytersitzung am vergangenen Montag wieder miteinander gelacht. Uns der Probleme bewusst, aber im Sinne des Evangeliums auch fröhlich und befreit. Das hat wieder richtig gutgetan.

Unsere Botschaft könnte man gerade heute auch in einem Satz zusammenfassen, der ganze 365 Mal in unserer Bibel vorkommt – sozusagen Mal für jeden Tag – und der lautet: Fürchte dich/ fürchtet euch nicht! Wir kennen das ganz prominent aus der Weihnachtsgeschichte, aber eben auch aus vielen anderen Geschichten und Szenen der Bibel. „Fürchtet euch nicht!“

Dieser Satz wird oft gesprochen, wenn etwas Neues beginnt, wenn die Zukunft unklar ist, wenn Übergänge und Neuanfänge zu bewältigen sind. Denn dann befällt uns oft die Angst, die Furcht. Dann tut es gut zu hören, dass wir uns nicht fürchten brauchen vor dem Neuen, dem Unbekannten, vor vermeintlichen Verlusten. Denn wir sind nicht alleine auf unserem Weg. Gott selbst geht ihn mit uns. Das soll und kann uns unsere Furcht nehmen. Und so heißt es denn auch in unserem heutigen Predigttext im 2. Timotheusbrief 1, 7: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ Es tut gut, so einen Satz zu hören, wenn wir nicht wissen wie es weitergeht. Mit der alten Mutter, dem alten Vater, denen langsam sichtbar die Kraft ausgeht. Mit uns selbst, wenn wir spüren, dass wir älter und schwächer werden. Mit der Familie, wenn der Arbeitsplatz verloren geht. Mit den Kindern, wenn sie Wege gehen, die uns nicht so wirklich gefallen. Wenn wir scheinbar ohnmächtig den Entwicklungen in unserer Welt gegenüberstehen und zusehen wie sich unsere natürlichen Lebensgrundlagen immer weiter verschlechtern.

Dann könnte der Geist der Furcht uns dazu bringen, gleichgültig zu werden: Da kann man ja doch nichts machen. Oder Sündenböcke zu suchen. Politiker, Flüchtlinge, die Presse. Man könnte Leuten hinterherrennen, die nur Ängste schüren ohne irgendeine wirkliche Lösung parat zu haben. Wenn der Geist der Furcht die Oberhand bekommt, ist es erfahrungsgemäß um den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit geschehen. Die Beispiele dafür können wir uns jede Woche ansehen und anhören. Nein. Wir wissen oft nicht was kommt. Aber wir wissen: Christus ist gekommen und hat dem Tod die Macht genommen! Und darum schreibt Paulus weiter: „Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes. Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.“

Nun könnten wir uns schon fragen: Woher bitte sollen denn Kraft, Liebe, Besonnenheit kommen? Wenn wir doch so oft nicht wissen wie es weitergeht. Und: „Was bewirken sie denn, Kraft, Liebe, Besonnenheit?“

Paulus antwortet: Aus dem Evangelium kommen Kraft, Liebe und Besonnenheit. Aus dieser Zusage Gottes, dass er bei uns ist und wir uns darum nicht zu fürchten brauchen. Und dieses Evangelium bewirkt im Leben und auch im Blick auf die Grenzen des Lebens Kraft und Liebe und Besonnenheit. Kraft ist dabei nicht in erster Linie eine körperliche, äußerliche Stärke – sondern ist, wie die Liebe und die Besonnenheit, eine innere Kraft. Sie zielt nicht mit Gewalt auf Macht. Sie zielt darauf, dass wir mit und in unserem Leben zu Frieden finden. Und das ist wohl nur auf einem Weg möglich, dessen Ziel Gerechtigkeit und Frieden für alle ist. Zweitens ist wichtig: „Kraft“ alleine reicht nicht. Liebe und Besonnenheit gehören notwendig zu ihr. Es kommt darauf an, dass die drei zusammengehören: Kraft, Liebe und Besonnenheit, die sind wie ein Mobile. wo– an Schnüren und dünnen Stangen – verschiedene Sachen so aufgehängt sind, dass sie in einem guten Gleichgewicht sind und einander in einer guten Balance halten. Kraft und Liebe und Besonnenheit können wir uns wie so ein Mobile vorstellen: Wo Kraft ohne Liebe und Besonnenheit ist, wird schnell Machtmissbrauch nach eigenen Maßstäben daraus. Wo Liebe ohne Kraft und Besonnenheit bleibt, da wird aus ihr Gleichgültigkeit und wir kommen nicht ins Handeln. Wo Besonnenheit ohne Kraft und Liebe ist, da beherrschen uns Bedenken und Angst und lähmen uns. Ein Mobile – Kraft, Liebe und Besonnenheit müssen in einem Gleichgewicht sein und sich die Waage halten. Wir können die drei Begriffe aber auch wie eine mathematische Gleichung verstehen, die wir auf dreierlei Arten umformen können: Kraft ist die Summe aus Liebe und Besonnenheit – sie engagiert sich vorbehaltlos, mit aller Kraft. Aber nicht mit Gewalt. Die Liebe zeigt sich, wo Kraft und Besonnenheit zusammenfinden – sie engagiert sich ohne aufzurechnen. Besonnenheit wird möglich, wo Kraft und Liebe zusammenwirken – sie engagiert sich dann bedingungslos. Aber nicht ziellos. Eines haben diese drei aber doch mit der körperlichen Kraft gemeinsam: Ob sie da ist und welche Stärke sie tatsächlich hat, das finden wir nur heraus, wenn wir sie nutzen und einsetzen. Und dann – durch und in der „Praxis“ – wächst sie sogar und nimmt zu. Darum wird Timotheus an eine Gabe erinnert, die ihm gegeben ist. Er soll nicht zuhause sitzen und warten, bis sich das richtige Gefühl einstellt und er sich kräftig und liebevoll und besonnen genug fühlt. Daran lässt der Text keinen Zweifel. Kraft, Liebe, Besonnenheit haben ihren Maßstab in und an Jesus Christus. Sie sind ausgerichtet von ihm her und auf ihn hin: Wo wir seine Liebe empfangen und weitergeben, wo wir uns von seiner Besonnenheit anstecken lassen, dort entwickelt unser Leben eine Kraft, die nicht aus uns selber kommt, sondern von ihm. Eltern, die ein Kind bekommen und es liebevoll als Gabe Gottes bei sich aufnehmen, um es auf seinem Weg ins Leben zu begleiten. Frauen und Männer, die seit über 50 oder 60 Jahren als Paar miteinander das Leben teilen, in Freud und Leid einander beistehen und liebevoll miteinander bleiben.  Menschen, die sich um andere kümmern, die Hilfe brauchen – – die lassen uns etwas spüren vom Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Ob wir selber und die Menschen um uns herum etwas spüren von Gottes Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit, das liegt und hängt also nicht an unserer eigenen Stärke, nicht an der Liebe, zu der wir aus eigener Kraft fähig sind, nicht an der Besonnenheit, die wir aus eigener Vernunft oder Fähigkeit entwickeln. Es liegt und hängt nicht daran, dass wir die Sache Gottes in die Hand nehmen. Sondern daran, dass wir darauf vertrauen: Wir sind in Gottes Hand geborgen. Darum brauchen wir uns nicht zu fürchten!
Amen.


 

Andacht 06.09.

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

mein Urlaub steht bevor. Für mich eher nicht so viel anders wie in den Jahren zuvor, als für viele andere Menschen, die ihre Reisegewohnheiten und Reiseziele aufgrund der Corona – Pandemie in diesem Jahr doch kräftig ändern mussten.

Aber wie dem auch sei: Urlaub heißt auch für mich: Ich mach mich auf den Weg. Bin unterwegs. Auch auf Wanderschaft. In den Bergen. Auf der Pirsch im Pfälzer Wald.

Wandern. Unterwegs sein. Das ist etwas zutiefst Menschliches. Und Christliches.

Wie die moderne Wissenschaft uns zeigt, sind schon unsere frühesten Vorfahren immer wieder aufgebrochen, losgezogen, haben die Welt erkundet, besiedelt, erobert. Bis dahin, dass wir Menschen heute eigentliche alle irgendwie bewohnbaren Gebiete und Klimazonen besiedeln. Ob sie das nur aus Neugier oder auch aus der Not heraus getan haben? Das lässt sich heute denke ich nicht mehr sicher sagen. Sicher ist aber, dass es uns Menschen wohl innewohnt, uns auf den Weg zu machen, neue Wege zu gehen, ohne zu wissen, wohin sie uns führen.

Der Hebräerbrief im Neuen Testament charakterisiert die Kirche als wanderndes Gottesvolk, dem bewusst ist, dass es hier keine bleibende Heimat hat und darum auf der Suche und dem Weg hin zur ewigen Heimat bei Gott ist.

Wandern als Wesensmerkmal des Menschen und der Kirche.

Unsere Bibel berichtet von Anfang an von Menschen, die sich auf den Weg machen oder auf den Weg machen müssen.

Adam und Eva, die den Garten Eden verlassen müssen, um sich eine neue Heimat zu suchen.

Abraham, der Stammvater von Juden, Christen und Muslimen, der sich voll Vertrauen auf Gott auf den Weg macht.

Das Volk Israel, das aus der Knechtschaft in Ägypten flieht und 40 Jahre lang auf Wanderschaft durch die Wüste ist.

Und schließlich auch Jesus selbst, der als Wanderprediger unterwegs war, um den Menschen die frohe Botschaft zu bringen.

Wandern, das heißt, sich in Bewegung setzen, sich auf den Weg machen. Das heißt Veränderung. Nicht immer schon wissen, wo der Weg hinführt.

In der Bibel heißt das aber auch: Immer Hoffnung. Hoffnung darauf, dass Gott den Weg mitgeht. Dass es am Ende ein gutes Ziel gibt. Die Bibel nennt das: Gelobtes Land.

Leben wird immer vorwärts gelebt und rückwärts verstanden sagt man. Wenn man für die Rückschau nicht die rosarote Brille der Verklärung aufsetzt. Darum heißt sich aufzumachen immer auch: Vertrauen wagen. Vertrauen auf Gott. Vertrauen und Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Denn oft genug in der Geschichte sind Menschen nicht einfach so aus Neugier aufgebrochen, sondern auch aus Not heraus. Die Israeliten aus Ägypten, viele Völkerschaften während der Völkerwanderung, auch viele unserer Vorfahren, die nach Amerika auswanderten. Und wie die Menschen aus Afrika, Asien, Südamerika, die sich heute auf den Weg und die Flucht machen. Wir sollten vielleicht öfter einmal daran denken, dass gerade diese Menschen in einer langen Tradition von Wanderschaft stehen, die am Ende auch die unsere ist! Vielleicht würde das zu etwas mehr Verständnis und Offenheit führen.

Wenn ich am Ende unsere Kirche und unsere Gemeinden in den Blick nehme, sind die Geschichten unserer Bibel, die von Aufbruch und Wanderschaft erzählen Mut - mach – Geschichten. Weil sie uns zeigen und verbürgen, dass wir uns, wenn wir uns auf den Weg machen darauf verlassen dürfen, dass Gott mit uns geht. Und dass es am Ende ein gutes Ziel – gelobtes Land – gibt, auch dann, wenn der Weg erst einmal in und durch die Wüste führt.

Nicht wenig in unserer Kirche leiden heute unter der Tatsache, dass wir als Christen weniger werden, aufgrund geringerer Einnahmen die Arbeit schwieriger wird, wir als ganze Kirche an Bedeutung verlieren. Gar nicht so selten ist dann zu beobachten, was schon Mose sah: Das Voll sehnt sich allzubald zurück nach den Fleischtöpfen Ägyptens. Wie gut hatte man es dort. Da wird die Vergangenheit schnell zu einem viel verlockenderen Ziel als die ungewisse Zukunft mit Gott. Da wusste man wenigstens, was man hatte. Das verleiht eine – scheinbare – Sicherheit.

Wir sind als Kirche auf dem Weg. Wir sind im Aufbruch begriffen. Müssen das sein. Da wird manches, was uns vertraut und lieb geworden ist zurückbleiben müssen. Doch vor uns liegt eine spannende und ich glaube verheißungsvolle Wanderung. Es gilt Neues für uns zu entdecken. Fruchtbar zu machen. Zu gestalten. Auch, wenn nicht alles auf Anhieb klappt. Wenn es Um- und sogar Irrwege gibt. Wir dürfen wissen: Gott selbst ist mit uns auf dem Weg! Und darum dürfen wir mutig und frohgemut sein. Selbst dann, wenn unser Weg erst einmal durch die Wüste führt.

Wenn wir unser Vertrauen auf Gott setzten, wird er uns nicht alleine lassen, sondern eine gute Zukunft für uns bereiten. Auch wenn wir heute noch nicht wissen, wie diese aussehen wird. Aber immerhin beten wir ja mit jedem Vater Unser: Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden!

Am 29 November dieses Jahres wählen wir unsere neuen Presbyterien. Vor uns liegt eine spannende Wegstrecke, in der sich Vieles mitgestalten und mitbestimmen lässt, was die Zukunft unserer Gemeinden und unserer Kirche betrifft. Und so möchte ich sie herzlich einladen, sich zu überlegen, ob Sie sich nicht mit auf den Weg machen möchten, als Presbyterin und Presbyter Ihrer Kirchengemeinde ein Stück Zukunft zu gestalten. Ich glaube: Es lohnt sich! Vielleicht sprechen Sie uns ja auch einmal an, wenn Sie uns auf diesem Weg begleiten und unterstützen möchten! Wir würden uns freuen!

Aber ob nun mit Amt oder nicht: Wenn Sie sich in den kommenden Wochen einmal auf Wanderschaft begeben, denken sie vielleicht - wie auch ich in meinem Urlaub - daran: Wandern und unterwegs sein, das ist der Normalfall unserer christlichen Existenz! Und wir dürfen uns immer mit viel Vertrauen und Freude auf unseren Weg machen, weil der Herr, unser Gott, mit uns unterwegs ist!

Seien Sie behütet, wo immer Ihr Weg Sie hinführt!

 

Ihr Pfarrer Andreas Gutting

Gott, unser Vater im Himmel,
gib uns einen klaren Blick, dass wir schauen können, was ist;
gib uns einen wachen Geist, dass wir urteilen können, wie es ist;
gib uns einen scharfen Verstand, dass wir sehen, was von uns verlangt wird;
gib, dass wir unterscheiden lernen, was sinnvoll und nützlich ist;
gib uns den rechten Sinn, dass wir zu prüfen und zu wägen imstande sind;
schenke uns allzeit die rechte Erkenntnis und die notwendige Einsicht
sowie die erforderliche Kraft zum Handeln.
Lass uns stets die Grenzen unseres Tuns im Auge behalten und auch bedenken,
dass wir trotz unseres guten Willens nicht alles vermögen,
da wir in vielen Dingen auf andere angewiesen sind, dass uns von manchen bewusst
oder auch unbewusst Grenzen gesetzt werden.
Lass uns daher unser Können und unsere Kräfte richtig einschätzen und dementsprechend einsetzen.
Gib uns Mut, das zu ändern, was wir ändern können, und Kraft, das geduldig zu ertragen,
was wir trotz unseres guten Willens und unseres Mühens nicht zu ändern imstande sind.

Schenke Du o Vater zu all unserem Tun Deinen Segen. Amen
(Heinz Pangels)


Andacht 30.08.

Liebe Gemeinde, liebe Leserinnen und Leser,

In unserem heutigen Predigttext (Apostelgeschichte 9, 1ff.) finden wir eine überraschende Bezeichnung für die ersten Christen: Sie werden hier „Anhänger des neuen Weges“ genannt. Das klingt heute irgendwie esoterisch oder nach Sekte. Besonders bemerkenswert finde ich den Namen aber deshalb, weil Christen heutzutage ja nicht gerade als Speerspitze des gesellschaftlichen Fortschritts gelten. Mit Christentum verbinden doch viele eher  Begriffe wie „konservativ“ oder „rückständig“. Hier aber werden sie als „Anhänger des neuen Weges“ bezeichnet. Was würde das heute bedeuten, wenn Christen sich so bezeichneten? Etwa als Anhänger eines alternativen Lebensstiles? Als Menschen, die aus der Industriegesellschaft aussteigen wollen? Oder als Leute, die sich endlich von der Verlogenheit der bürgerlichen Moral befreien wollen? Sollten sich Christen für eine Wende in Politik und Wirtschaft einsetzen?

In Ansätzen findet man solche Haltungen durchaus im heutigen Christentum, in unseren Kirchen.

Doch so aktuell solche Fragestellungen auch sein mögen, im Text geht es um etwas anderes. Da geht es beim Gehen dieses neuen Wegs in erster Linie darum, dass Menschen nicht in erster Linie ihren eigenen Weg gehen, ihren eigenen Willen verwirklichen wollen, sondern nach Gottes Willen und Gottes Wegen fragen und suchen. „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.“

Hintergrund der Erzählung ist das Leben des Paulus, der zu dieser Zeit mit Fanatismus und Gewalt seinen eigenen Weg ging und nur seine eigenen Ideen im Kopf hatte.

„Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohepriester und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie fände, gefesselt nach Jerusalem führe.“

Saulus der Christenverfolger. Er handelte nicht auf Befehl. Keiner hatte ihn zu diesem Handeln gezwungen. Es war einzig und allein sein eigener Wille, sein eigener Glaube, wie er ihn verstand, der ihn zu diesen Taten antrieb. Wie ein wild gewordener Stier scheint er hinter den Christen her gewesen zu sein und es wird deutlich, dass er den schmalen Grat zwischen Menschlichkeit und Unmenschlichkeit wohl längst überschritten hatte. Wie das bei Fanatikern so oft der Fall ist. Gerade weil er seinen eigenen Willen durchsetzen wollte, weil er seinen eigenen mit dem Willen Gottes verwechselte, verlor er die Kontrolle über sich. Die Parallele zu heutigen islamischen Fanatikern ist erschreckend deutlich.

An diesem Beispiel aus der Apostelgeschichte können wir heute noch sehen, wohin wir kommen, wenn wir Sklaven unseres eigenen Willens, unserer eigenen Gefühle und Ideologien werden. Wer sich einzig und allein von seiner Wut im Bauch, von seinem Fanatismus für eine Sache antreiben lässt, der landet in der Regel auf dem Weg der Unmenschlichkeit.

Aber Lukas erzählt uns auch, dass Saulus vor sich selbst gerettet wurde, so dass er diesen Irrweg verlassen und umkehren konnte.

„Als er auf dem Wege war in in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel. Und er fiel nieder auf die Erde und hörte eine Stimme, die zu ihm sprach: Saul, Saul, was verfolgst du mich?“

Dem selbstherrlichen Menschen stellt sich plötzlich eine fremde, unvorhersehbare Macht entgegen. Das kennen wir. „Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet“ sagen wir, wenn wir so etwas erleben. Wir waren uns unserer Sache gewiss, haben mit Feuereifer unsere Pläne verfolgt und plötzlich kommt alles ganz anders als geplant. Plötzlich muss man sein ganzes Leben in einem anderen, einem neuen Licht sehen.

Plötzlich wird die Frage nach dem „Wohin“ und „Warum“ unseres Weges gestellt, wird nach dem Ziel gefragt, das wir eigentlich erreichen wollen.

Saulus in unserer Geschichte weicht nicht aus und fragt erst einmal zurück: „Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.“

Für den selbstbewussten und selbstgerechten Saulus bedeutete diese Begegnung einen radikalen Einschnitt in sein bisheriges Leben. Lukas berichtet, dass er geblendet war, als er wieder aufstand, dass er drei Tage lang nichts sehen konnte, nichts aß und trank.

Die Begegnung mit Jesus wird hier als Zusammenbruch der bisherigen Existenz von Saulus dargestellt. Er war am Ende seiner Selbstbestimmung, seiner Selbstherrlichkeit angelangt. Er musste lernen eine größere Macht anzuerkennen. Saulus musste sterben oder ein anderer, neuer Mensch werden. In der Apostelgeschichte wird diese Umkehr, diese Wiedergeburt eines neuen Menschen mit dem Wechsel des Namens beschrieben. Aus Saulus wurde Paulus. Aus dem Christenverfolger wurde nun selbst ein glühender Anhänger dieses neuen Weges. Und er machte sich auf den Weg. Als Apostel der Heiden zog er auf abenteuerlichen und gefährlichen Wegen durch die heutige Türkei, durch Griechenland bis hin nach Rom. Und er tat nichts anderes, als immer wieder neuen Menschen immer wieder auf Neue die Botschaft vom Gott Jesu zu sagen. Die gute Nachricht von einem Gott, dem man vertrauen kann, weil der seine Menschen liebt.

Und das war damals tatsächlich etwas neues: mitten in der Welt von Gottheiten und Göttern, die sich untereinander bekriegten, die sich mit blutigen Opfern verehren ließen oder selbst Blutbäder anrichteten, da verkündete Paulus einen Gott, der einen vernünftigen Gottesdienst erwartet. Einen Gottesdienst, in dem das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene als Gottes Wille gefeiert wird und nur die Liebe als Erfüllung des göttlichen Gesetzes gilt, wie er später im Römerbrief schrieb.

Für Paulus wurde dieses Licht, das ihn vor Damaskus umleuchtete, zu einem inneren Licht. Zu einer Energiequelle, die ihn lebenslang begleitete und täglich erneuerte.

Nun ist es sicher nicht so, dass wir alle zu Aposteln werden müssten, aber es geht schon darum, dass auch wir immer wieder neu zu Anhängern des neuen Weges werden sollen. Was das heißt möchte ich in ein paar Gedanken zu Schluss an dem Lied verdeutlichen, das wir gleich miteinander singen werden. (EG 395, Vertraut den neuen Wegen)

Anhänger des neuen Weges sind Menschen, die wissen, dass Leben wandern – also unterwegs sein – heißt. Nichts bleibt ewig so wie es ist, alles ändert sich. Auch wir Menschen. Wir müssen von jedem Tag, der zu Ende geht, Abschied nehmen, damit wir uns für den neuen Morgen öffnen können. Wer immer nur zurückblickt, verknöchert und versteinert so wie Lots Frau, die sich nicht von ihrem früheren Leben und besitz trennen konnte. Anhänger des neuen Weges wissen, dass sie jeden neuen Tag einen neuen Auftrag von ihrem Schöpfer haben: „Gott will, dass ihr ein Segen für seine Erde seid.“ So hat Klaus Herztsch 1989 in Jena gedichtet, als es mit der früheren DDR zu Ende ging und viele noch nicht wussten, wie es denn weiter gehen sollte. Angesichts der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen, die wir gegenwärtig erleben sollte uns daher nicht die Angst vor Veränderung beherrschen, sondern der Auftrag, anderen ein Segen zu sein an dem Platz, an dem wir im Leben stehen. Wer seine Augen aufmacht, der entdeckt schnell, wozu er gebraucht wird: ein gutes Wort zur rechten Zeit, eine hilfreiche Hand, eine weiterführende Idee – gerade auch solche kleinen Gesten können zum Segen werden.

Anhänger des neuen Weges können schließlich hoffen. Schon Jesus hat seinen Jüngern und uns in der Bergpredigt gesagt: „Sorgt euch nicht um euer Leben.“ Denn Gott sorgt für euch. Gott selber schickt uns jeden Tag auf einen neuen Weg und selbst unser letzter Tag wird der Aufbruch auf einen neuen Weg sein. Denn dann kommt Gott selbst uns entgegen und nimmt unsere Seele auf: aus unserer Zeit in seine Ewigkeit.

Liedtipp: EG 395, 1 – 3, Vertraut den neuen Wegen

Auszeit

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

Urlaubszeit – für viele die schönste Zeit des Jahres. Heiß ersehnt von Jung und Alt.

Kinder und Jugendliche freuen sich riesig auf die Ferien. Ganze 6 Wochen lang einmal nicht lernen und keine Hausaufgaben machen müssen. Einfach so in den Tag hinein leben können.

Natürlich: Man sieht auch die eine oder andere Freundin seltener. Aber insgesamt überwiegt doch die Freude auf und an dieser Zeit.

Und uns Erwachsenen geht es doch genauso. Zwei, drei Wochen lang einmal raus aus dem Korsett des Alltags. Keine Termine, Wenig Verpflichtungen. Sich mal ganz der Familie oder den Hobbies widmen können. Die Seele baumeln lassen. Das ist doch toll.

Urlaub, Ferien…Eine ersehnte Auszeit. Für Geist, Körper, Seele.

Freilich: In diesem Jahr ist auch diese Zeit anders als in anderen Jahren. Der Virus Covid 19 hat auch hier unsere Gewohnheiten kräftig durcheinander gebracht. Planungen über den Haufen geworfen. Der Flug in den Süden ist für manche von Befürchtungen belastet. Man verzichtet, verbringt die Urlaubszeit zu Hause oder zumindest im eigenen Land.

Andere sind da weniger zart besaitet und wirken wie von der Leine losgelassen. Bilder wie die aus Mallorca oder Bulgarien schockieren. Sind an Rücksichtslosigkeit, Gedankenlosigkeit und Dummheit kaum zu toppen. Auszeit auch hier: Aber kaum, um Geist und Seele zu regenerieren. Eher sieht es zuweilen nach einer Auszeit vom gesunden Menschenverstand aus.

Schade. Denn Auszeiten sind etwas ganz wichtiges in unserem Leben. Und das nicht nur zur Urlaubszeit.

Mir ist da ein Vers aus dem Markusevangelium wichtig geworden. Er hat es nicht in die Ordnung unserer Predigttexte geschafft. Ist auch keiner von den fettgedruckten Merksprüchen und wird darum vielleicht auch leicht über lesen. Und dennoch passiert hier etwas ganz Entscheidendes.

„Aber Jesus entwich mit seinen Jüngern an das Meer und eine große Menge aus Galiläa folgte ihm; auch aus Judäa.“ (Mk 3, 7)

Der rührige, kreative, wortgewandte, aber eben auch angefeindete und beneidete Jesus aus Nazareth, der Wunderheiler und Wohltäter, immer für die Kranken, Schwachen, Ausgegrenzten da, er braucht offensichtlich eine Pause. Auszeit. Von all dem Auf und Ab, den Verpflichtungen, der fehlenden Privatsphäre. All dem, was an ihm zerrt und zehrt, was auch ihm die Kraft aus dem Körper und dem Geist saugt.

Jesus muss auftanken. Und so zieht er sich zurück. Entweicht. Macht einfach mal Pause.

Es braucht die Unterbrechung zwischendurch. Den Stillstand. Besser vielleicht: Die Stille. Um wieder zur Besinnung und zu sich selbst kommen zu können. Um später wieder einmal geben zu können. Wer meint immer nur geben zu müssen oder gar zu können, der läuft irgendwann leer. Dann geht gar nix mehr. Burnout nennen wir das heute im Neudeutschen.

Ich finde es tröstlich und ermutigend, dass Markus hier etwas berichtet, was wir vielleicht eher als nebensächlich abtun würden. Jesus der nimmermüde Wanderprediger und Wunderheiler nimmt sich eine Auszeit. Zieht sich zurück. Entweicht. Nur seine engsten Vertrauten hat er noch um sich, um für eine Zeitlang einfach er selbst sein zu können und zu dürfen. Mensch wie du und ich. Ohne Anforderungen und Erwartungen erfüllen zu müssen. Einer, dem es auch einmal reicht. Der Ruhe und Stille braucht. Der nicht ständig durchpowern kann und will.

Unsere Lebenswirklichkeit sieht oft anders aus. Zumindest aber empfinden wir das so. Da wird Ruhe und Stille zu suchen schon mal als Faulheit angesehen, als mangelnde Leistungsfähigkeit und –bereitschaft. Davor aber haben wir Angst. Von anderen so eingeschätzt und angesehen zu werden. Und so entsteht eine Haltung, die Tim Bendzko in einem seiner Lieder dann so beschreibt: Ich muss nur noch schnell die Welt retten und 148 Mails checken. Bevor wir an uns, an unsere Bedürfnisse meinen, denken zu dürfen, ist immer etwas anderes noch viel wichtiger. Wir müssen, wir sollen, es wird erwartet…. Ein gnadenloses Machen-Müssen, Druck ohne Ende. Bis das Fass überläuft, der Tank leer ist und nur noch innere Leere, Erschöpfung und Lustlosigkeit zu spüren sind.

Das finden wir übrigens nicht nur außerhalb, sondern genauso auch innerhalb der Kirche. Dabei sollten wir doch eigentlich Zeugen des Glaubens sein, dass Gott in diesem Jesus aus Nazareth Mensch wurde, mit allen Möglichkeiten und mit allen Begrenzungen an Kraft und Zeit. Und Jesus selbst gibt uns in dieser Szene ein leuchtendes Beispiel, wie wir mit diesen Grenzen umgehen dürfen und sollen. Er nimmt sich eine Auszeit. Macht Pause. Tankt auf. Weil er sonst nichts mehr zu geben hätte irgendwann. Und so zieht er sich ans Meer zurück, oder ein andermal an den See, oder auf einen Berg. Wichtig ist, vor allem Aktivismus und allem Aktionismus erst einmal sein zu können. Als man selbst. Um dann gestärkt zurückzukehren in den Alltag mit all den Aufgaben und Aufträgen, die darauf warten erledigt zu werden.

Als Christen, ja auch als Organisation Kirche können wir da von unserem Herrn noch vieles lernen. Auch, dass es Zeiten gibt, in denen man sich eine Auszeit nehmen muss, auftanken, sich von dem Trugbild des nimmermüden Machers getrost verabschieden. Sich zurückziehen ans Meer, einen See, auf einen Berg. Zu sich selbst finden, damit man auch anderen wieder etwas geben kann. Etwas ausstrahlen von dieser tollen Botschaft, die wir Evangelium nennen.

Die Urlaubszeit ist eine gute Gelegenheit, sich so eine Auszeit zu gönnen. Aber nicht nur. Wir dürfen uns auch zwischendrin in bester Gesellschaft wissen, wenn wir spüren: Es reicht! Und uns dann mal rausnehmen, zurückziehen an den See oder einen anderen Ort, der uns und unserer Seele gut tut.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen und Euch allen einen schönen Urlaub, schöne Ferien und eine wirkliche Auszeit.

Andreas Gutting, Pfarrer


Predigt am 5. Sonntag nach Trinitatis

Predigt über Matthäus 4, 1 - 11

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

„Mal doch den Teufel nicht an die Wand!“ Das sagen wir, wenn jemand die Zukunft in düsteren Farben ausmalt und nur den schlechten Ausgang einer Sache im Blick hat. „Mal doch den Teufel nicht an die Wand“, das heißt: Sieh doch auch das Gute, sei optimistisch, lass dich von deinen negativen Gedanken nicht gefangen nehmen. Im Gegensatz zum Mittelalter, in dem man den Teufel tatsächlich noch in vielen Bildern an die Wand gemalt hat – in der Regel als mahnende Erinnerung an die Menschen, sich an Gott zu halten – im Gegensatz dazu sprechen wir heute vom Teufel meist nur noch in Sprichwörtern, so, als hätten wir mit ihm nichts mehr zu tun.

Der heutige Predigttext erzählt eine andere Geschichte.

Nach seiner Taufe in Jordan geht Jesus für 40 Tage in die Wüste und fastet. Und in dieser Situation wird er dreimal vom Teufel auf die Probe gestellt. Und dreimal widersteht Jesus der Versuchung. Fast gerät man in Versuchung zu sagen: ein Teufelskerl dieser Sohn Gottes.

Man kann sehen: Der schafft offensichtlich alles! Der fastet 40 Tage ganz konsequent. Der weiß, was er will – und am Ende vor allem, was er nicht will. Und er sagt der größten Versuchung: „Hau ab! Geh weg von mir!“ Da zeigt sich, was für ein toller Mensch dieser Jesus gewesen ist. Brauchen wir nur seinem Vorbild zu folgen, um uns vom Bösen fern zu halten?

Nun beten wir ja Sonntag für Sonntag in unseren Gottesdiensten im Vater Unser diesen Satz: „Und führe uns nicht in Versuchung!“ Das zeigt: So einfach ist das offensichtlich nicht. Immer wieder rücken uns die verschiedensten Versuchungen, unsere eigenen Begehrlichkeiten auf den Leib. Immer wieder müssen wir uns damit auseinandersetzen, was in einer bestimmten Situation gut oder schlecht, richtig oder falsch ist.

An den drei Versuchungen, von denen Matthäus spricht, wird das deutlich.

Da bereitet sich Jesus auf die vor ihm liegende Aufgabe vor, den Menschen von der Liebe Gottes zu erzählen und sie durch sein Handeln auch sichtbar werden zu lassen. Er prüft sich selbst. Ist das die Konsequenz aus seiner Taufe und aus der Berufung, die er danach zu hören glaubte? Er fastet. Und gerade dann als der Hunger am größten ist, flüstert ihm der Teufel zu: „Was quälst du dich eigentlich so? Still doch zuerst einmal deine Bedürfnisse. Kümmere dich doch zuerst einmal um dich selbst.“

Und genau diese Versuchung kennen wir doch auch. Da stellt sich uns eine Aufgabe, es sind Entscheidungen zu treffen – in Familie, Beruf – die auch andere betreffen, oder ein Freund/ eine Freundin bräuchte über einen längeren Zeitraum unsere Hilfe. Dinge eben, die unsere ganze Kraft fordern würden. Wie groß ist da die Versuchung, zu sagen: „Mach es dir doch nicht so schwer. Suche die einfachste, die schnellste Lösung. Oder schieb die Sache doch einfach auf.“ Wie leicht geben wir diesem Impuls nach, der sagt: „Ich gehe vor! Ich bin doch schließlich auch noch da!“ Doch: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das vom Munde Gottes ausgeht.“ Das heißt: Ich lebe nicht in erster Linie von der Befriedigung meiner momentanen Bedürfnisse, so sehr ich das auch brauche und so berechtigt sie sein mögen. In mancher Situation, in der meine Kraft, mein Ausharren, meine verantwortliche Entscheidung gefragt ist, bin ich gefordert, eben nicht den leichtesten Weg zu gehen. Da brauche ich die Stärke und die innere Freiheit, von mir selbst einmal abzusehen und mich leiten zu lassen. Und sei es auf einen steinigen Weg.

Kommen wir zur zweiten Versuchung. Was wäre das für ein Beweis von Gottvertrauen gewesen, wenn Jesus wirklich in die Tiefe gesprungen wäre! Da hätte er dem Teufel doch nun wirklich mal zeigen können, wie sicher er ist, dass Gott ihn nicht fallen lässt.  Doch Jesus entgegnet dem Versucher: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ Jesus trennt das Gottvertrauen vom Gott – versuchen. Wenn wir uns risikofreudig und ohne Verantwortungsbewusstsein ins Leben werfen und es dabei unter Umständen sogar leichtfertig aufs Spiel setzen, dann ist das kein Beweis von Gottvertrauen. Dann versuchen wir Gott. Und es gibt die Bereiche in unserem Leben in denen wir versuchen uns unserer Verantwortung zu entledigen – und zwar nicht nur bei riskanten Sportarten. Ich denke da eher an den Hang, sich ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit oder die Familie in die Arbeit zu stürzen. Die eigene Müdigkeit wird geleugnet. Signale aus Familie oder Freundeskreis werden ignoriert. Die Arbeit wird zum alleinigen Lebenszweck. „Da bin ich wer, da bin ich unersetzlich!“ Und dem hat sich alles andere unterzuordnen. Oder aber – auch das erlebt man ja häufig genug – Menschen stürzen sich in alle möglichen Aktivitäten – um bloß nichts zu verpassen, bloß alles mitzunehmen, was geht. Nicht zu viel nachdenken. Lieber was erleben und Spaß haben. Da begegnen wir der Versuchung, die uns sagt: „Sorge dich nicht – lebe! Tu, was du willst und vertraue darauf: Es wird schon irgendwie gut gehen.“

Dem steht entgegen, dass wir gefordert sind, die Verantwortung für unser Leben und das Leben anderer wahrzunehmen. In unserem kleinen Lebensbereich, in unserem Alltag. Wo rebelliert mein Körper, ohne dass ich das wahrhaben will. Wo fordern meine Mitmenschen Beachtung ein, die ich verweigere, weil mein Blick so einseitig auf meine Interessen gerichtet ist? Fragen, denen wir uns immer wieder stellen müssen, wollen wir hier nicht der Versuchung unterliegen. Bei der dritten Versuchung schließlich lässt der Teufel seine Maske fallen. Kein vorgetäuschtes Mitleid mehr mit einem hungrigen Menschen wie in der ersten Versuchung, keine Maske des Bibelkenners mit einem frommen Spruch auf den Lippen mehr, wie in der zweiten. Jetzt, wo es um die reine Macht geht, zeigt auch der Mächtige, der Versucher sein wahres Gesicht. Er zeigt Jesus die schillernde Seite der Macht. Aber er zeigt ihm wohlweislich nicht die Vielzahl der Aufgaben, die Regierungen wahrzunehmen haben, er zeigt nicht die Last der Verantwortung, die sie für so viele Menschen tragen. Und eben diese Einseitigkeit ist der Kern der dritten Versuchung. „Genieße die Sonnenseite der Macht.“ Doch recht verstandener Umgang mit Macht bedenkt, dass, wenn es um die Besetzung von Positionen geht, sei es in der Gemeinde, im Beruf, im öffentlichen Leben, es nicht um das Bestimmenkönnen gehen soll. Wir sollen Aufgaben, Verantwortung nicht übernehmen, um unser Selbstwertgefühl zu steigern, um gut da zu stehen. Solchen Aufgaben sollen wir uns als Christen im Bewusstsein stellen, unserer Verantwortung für andere im Sinne Gottes gerecht zu werden – Gottesdienst im Alltag, so zu sagen.

Wenn wir den verschiedenen Versuchungen in unserem Leben widerstehen wollen, denen, die ich genannt habe ebenso wie den vielen anderen, dann müssen wir den Zeitpunkt nutzen, an dem es gilt sich von diesen Versuchungen zu verabschieden. Und dazu braucht es manchmal mutige Entscheidungen. Denn manchmal steht man dann recht einsam da und scheint gegen den Strom der Zeit zu schwimmen. Vor allem braucht es auch klare Worte. Jesus macht es uns vor: „Hau ab, Satan! – Fort mit dir Versuchung! Du bringst mich nicht weg von Gott. Meine Seele bekommst du nicht!“ Denn die gehört seit der Taufe ihm. Das ist die Folge der Taufe. Taufe hat zur Konsequenz, sich immer wieder neu für den Weg mit Gott zu entscheiden, gegen alle Versuchungen.

Was sich Jesus dadurch erhält ist nicht wenig. Er erhält sich seine persönliche und innere Freiheit. Die Freiheit von sich selbst einmal abzusehen und die Bedürfnisse anderer in den Blick zu nehmen. Die Freiheit sein Handeln am Nächsten und nicht an den Normen und Regeln der Gesellschaft auszurichten. Eine Freiheit, die ihn nicht unbedingt bei allen beliebt gemacht hat, ja, die ihn letzten Endes ans Kreuz gebracht hat. Aber eine Freiheit, die ihm seine Menschlichkeit bewahrt und seinem Leben einen tiefen Sinn gegeben hat.

Wenn wir uns jetzt fragen: Wie sollen wir das eigentlich schaffen? Wie sollen wir an dieses Vorbild herankommen? Wenn uns Zweifel plagen weil wir wissen, dass unsere Willenskraft nicht so stark ist, weil wir wissen, dass wir es nicht schaffen, uns von der Fixierung auf unsere Bedürfnisse zu lösen, weil wir wissen, dass wir nicht immer zuerst die Verantwortung für andere sehen, dann wage ich zu sagen: Jesus hätte das auch nicht alleine geschafft. Er hätte es nicht geschafft ohne den Geist Gottes, der bei seiner Taufe auf ihn herabgekommen ist. Dieser kraftvolle Geist hat in ihm die Kräfte zum Widerstand gegen die Versuchung geweckt. Und dieser Geist ist es auch, der unsere Widerstandskräfte stärkt. Er kann mehr, als wir denken oder fühlen. Die Gegenwart der Engel am Ende des Predigttextes bedeutet: Gottes Geist ist auch bei uns und dient uns.

So lassen sie uns lieber einen Engel an die Wand malen statt des Teufels und sagen: Mit Gottes Kraft fangen wir an, gegen die Versuchungen unseres Lebens anzugehen.

Seien Sie behütet!

Ihr Pfarrer Andreas Gutting


Predigt 3. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

mit dem Himmel ist das schon eine merkwürdige Sache. Eigentlich gibt es das Firmament, etwas Festes do oben ja gar nicht. Wir lächeln heute über die alte Vorstellung, dass wir Menschen auf einer Scheibe leben über der sich die himmlische Halbkugel spannt, die ab und an ihre Schleusen öffnet, damit es regnet, von der die Sonne lacht und hinter der verborgen, der liebe Gott auf uns herabblickt.

Wir lächeln – aber tief in uns drin da schlummert, glaube ich, immer noch der Wunsch, dass wir von einer blauen Kugel umspannt sind, an der die Sterne aufgehängt sind, die uns leuchten und die uns mit ihrer unglaublichen Vielzahl immer wieder deutlich machen, wie klein wir eigentlich wirklich sind. Im Vergleich zum Himmel. Das ist eine Vorstellung, ein Wunsch, die etwas mit Romantik zu tun haben. Denn: dass das Himmelsblau, das Morgen- und Abendrot letztendlich nur Lichtbrechungen sind, das ist nun wirklich kein besonders schöner Gedanke. Viel schöner ist da immer noch die Vorstellung vom Himmel, der uns überspannt und der so etwas wie die Grenze zu einem anderen Raum, vielleicht sogar zu Gott darstellt.

Der Himmel – so real und doch so unfassbar. So bergend und uns doch immer wieder daran erinnernd, dass wir inmitten einer Unendlichkeit leben.

Da wundert es kaum, dass in der Bibel der Himmel geradezu zu einer Umschreibung für Gott selbst wurde.

Das Himmel-Reich ist das Reich Gottes. In den Himmel kommen heißt, zu Gott kommen. Und genau wie der Himmel so ist auch Gott beides: fern und zugleich hautnah. Nicht wirklich fassbar und doch höchst real.

Ich denke wir alle haben so unsere Himmelserfahrungen und Himmelsbilder in uns drin. Und vielleicht haben wir ja auch schon einmal solche Momente erlebt, in denen sich der Himmel öffnet. Ich meine nun nicht in dem Sinn, dass er seine Schleusen öffnet und wir durch einen Regenguss klatschnass werden. Ich meine solche Momente, in denen Himmel und Erde, Gottes- und Menschenbereich sich berühren, in Kontakt kommen.

Von solch einem Moment wird im Zusammenhang mit dem Beginn des Wirkens Jesu berichtet. Wie er vieles ja unter freiem Himmel getan hat – gepredigt und gelehrt, geheilt und gefeiert – so wurde er auch unter freiem Himmel getauft. Wir kennen die kurze Szene, die Markus uns in seinem Evangelium erzählt:

Und es begab sich, dass Jesus aus Nazareth kam und sich von Johannes im Jordan taufen ließ. Und alsbald, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube herabkam auf ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.

Eine kurze, aber wie ich finde schöne Geschichte. Eine Geschichte vom offenen Himmel. Eine Geschichte in der das entscheidende Wort über Jesus gesprochen wird: Du bist mein lieber Sohn.

Aber nicht nur über ihn wird das gesagt. Auch wir dürfen mithören: Du bist meine liebe Tochter, du bist mein lieber Sohn. Wir dürfen uns höchstpersönlich angesprochen fühlen von Gott!

Du – geliebt – mein.

Das sind die Schlüsselworte einer himmlischen Botschaft an uns. Einer Botschaft, die festen Boden unter die Füße gibt. Die Stimme aus dem Himmel sagt Jesus und sagt uns, wer wir sind: Kinder Gottes.

Und der Geist Gottes, der in der Geschichte wie eine Taube auf Jesus herabkommt, ist eine Himmelsgabe, die uns an der Welt Gottes teilhaben lässt.

Mit ihm, dem Geist, leben wir wie in zwei Welten.

Auf der Erde, wo das Recht des Stärkeren, des Fitteren, oft genug auch des Fieseren gilt. Wo du nichts zählst, wenn du nichts bringst, wenn du alt und krank bist.

Und in einer Welt, die da himmelhoch drübersteht, in der Freiheit herrscht von der ständigen Angst zu kurz zu kommen oder übervorteilt zu werden. In einer Welt, in der Gerechtigkeit regiert, in der auch die zum Zug kommen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. In einer Welt, in der Frieden zwischen Menschen und Frieden zwischen Mensch und Natur möglich ist.

Wir haben Anteil an diesen beiden Welten.

Und ich hoffe, dass wir alle jeden Tag wenigstens ein Stück dieser neuen Welt, ein Stück Himmel erfahren dürfen. In einem Lächeln, das einem ganz unerwartet geschenkt wird, in einem Menschen, der uns zeigt, dass das Leben so ernst nun auch wieder nicht sein muss, durch die ruhigen Momente abends im Garten, wenn der Himmel rot wird und es einfach nur schön ist da zu sein. Ein Stück Himmel auf Erden.

Die Botschaft unserer Welt ist leider oft die: Glaub an dich selbst, dann wirst du gewinnen! Sei stark und räum den anderen aus dem Weg, dann wird’s schon klappen.

Der Mensch als seine eigenen Kraftquelle, als letzte, ja einzige Instanz darüber zu entscheiden, was gut oder schlecht, recht oder unrecht ist. Das ist keine gute Botschaft, denn diese Haltung macht einsam, hart und orientierungslos.

Du bist meine geliebte Tochter! Du bist mein geliebter Sohn!

Diese Zusage stellt uns unter einen offenen, aber bergenden Himmel. Dieser Himmel ist nicht leer. Er ist Gott, der zu uns auf die Erde kam, damit wir anders und besser leben können.

In Jesus Christus berühren sich Himmel und Erde. In Ihm bricht das Himmelreich an, weil er uns Menschen in eine ganz neue Beziehung zu Gott setzt. Das ist der Himmel auf Erden: Wenn du spürst und lebst, dass der Himmel uns nicht verschlossen ist, sondern Gott sich für uns geöffnet hat und offen für uns bleibt: für unsere Bitten, für unseren Dank, für unsere Klage und für unser Lob.

Seit Jesus dürfen wir wissen um diese andere Welt, die in unsere hineindringt und sie durchdringt und die Gott oder Himmelreich genannt wird. Gottes Himmel reicht auf die Erde bis zu uns und in uns hinein. Wir können den Himmel auf Erden erfahren und ihn erfahrbar machen. Wir können zu Botschafterinnen und Botschaftern dieser guten Nachricht werden, weil er zu uns sagt: Du bist meine geliebte Tochter und du mein geliebter Sohn. Amen

Seien Sie in diesem Sinne getragen, bewahrt und gesegnet!

Und bleiben Sie auch weiterhin gesund!

 

Ihr Andreas Gutting, Pfarrer

Predigt über Lukas 14, 16 – 24 - 2. Sonntag nach Trinitatis 2020

Liebe Gemeinde, liebe Leserinnen und Leser,

große Teile der Evangelien sind Geschichten, die erzählt werden, damit uns geholfen wird, unseren Platz im Leben und im Glauben zu finden. Eine dieser Geschichten geht so: Jesus lag mit Menschen zu Tisch und predigte Ihnen das Wort Gottes. Und immer wieder versuchen welche, ihn zu provozieren und ihn anzugreifen. Einer, der das mitbekommt, sagt wie nebenbei: „Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!“

Menschen, die Jesus sehen und verstehen, bei denen geschieht etwas. Es bricht aus ihnen heraus. Sie müssen Stellung beziehen und darin wird spürbar, dass dieser Mensch Jesus etwas mit dem Reich Gottes zu tun hat. Dass das Zusammensein mit ihm, einen näher heranbringt an das Reich und den Willen Gottes. Das Reich Gottes wächst unter Menschen, die Jesus begegnen, ihm wirklich begegnen wollen; denn diese Begegnung zwingt in die Entscheidung: Was fang ich an mit diesem Jesus? Block ich ab oder lass ich mich einladen zuzuhören, lass ich mich auf ihn ein?

Und Jesus antwortet sofort, indem er ein Gleichnis erzählt für diesen Menschen, der wohl überzeugt ist, dass er auf jeden Fall dazugehört:

16 Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. 17 Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist schon bereit! 18 Da fingen sie alle an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 19 Und ein andrer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 20 Wieder ein andrer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet; darum kann ich nicht kommen. 21 Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Verkrüppelten und Blinden und Lahmen herein. 22 Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. 23 Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. 24 Denn ich sage euch: Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken. (Lukas 14, 6 – 24)

Zu diesem Gleichnis muss erklärt werden, dass Feste in der Antike anders vorbereitet und durchgeführt wurden als das heute oft der Fall ist. Klar war: Die Fete steigt. Der Termin aber war nicht deutlich. Der war erst fix wenn die Boten kamen und verkündeten: Jetzt ist es so weit. Und genau in diesem Moment regnet es Entschuldigungen, plausible Entschuldigungen – jede für sich. In der Summe klingt es vielleicht so, als habe schon vorweg jeder gedacht: Wenn die Einladung kommt, muss ich eine Entschuldigung parat haben. Vielleicht war es auch nur eine zufällige Sammlung plausibler Gründe. Da war vieles wichtiger - und das war keine Ausrede. Es gab Verpflichtungen, die mussten sein - der gekaufte Acker zum Beispiel musste abgeschritten, das neue Paar Ochsen besehen werden. Erst so wurde der Rechtsakt des Kaufs wirksam.

Absagen hört keiner gerne - und doch muss ich öfter absagen: Aus Prinzip, aus wichtigen dienstlichen und privaten Verpflichtungen, aus anderen Erwägungen heraus - und ich bin sicher, meistens werden meine Absagen verstanden. Aber sie tun manchmal auch weh - mir und noch mehr denen, denen ich da einen Korb gebe, weil mir etwas anderes wichtiger ist. Und wie schnell klingt für sensible Empfängerohren die Botschaft durch – da ist etwas anderes wichtiger als du!!!!

Das Fest droht zu kippen, aber weil dort, wo kein Fest gelingt, der Alltag auch nicht gelingen kann, darf das Fest nicht ausfallen! Und so findet es eben mit denen statt, die Zeit haben oder sich Zeit nehmen.

Wie bei allen Gleichnissen, die Jesus erzählt, muss auch hier deutlich unterschieden werden zwischen Erzählebene und der Botschaft, die dahintersteht. Die Erzählung könnte verlocken zu sagen: Es gibt also erste, die müssen ausfallen, damit die nächsten zum Zuge kommen. Als gäbe es bei Gott ein 'Zu voll'. Hier wird nur den 'Geladenen' deutlich gemacht, dass es auch ohne sie geht, dass auch die ihre Berufung verpassen können.

Jesus erzählt die Geschichte den Menschen, die meinen, dass sie und ihre Angelegenheiten im Mittelpunkt stehen. Im Mittelpunkt des Lebens, im Mittelpunkt des Glaubens, im Mittelpunkt der Gemeinde. Er erzählt eine Geschichte für Menschen mit Selbstbewusstsein: Selig sind ... und ich gehöre auf jeden Fall dazu.

Ihnen will er Mut machen, ihr Leben immer neu auf den Prüfstand zu stellen. Immer neu zu bedenken, ob sie mit ihrem Leben den Einladungen Gottes noch nahe sind oder nicht längst auf dem Absprung zu einem anderen Leben, einem Leben, das Gott nur noch als hübsche Garnierung des Lebens, als Beiwerk ansieht, aber eigentlich ganz andere Mittelpunkte und Schwerpunkte hat.

Die Königsherrschaft Gottes wird mit der Teilnahme an einem Festmahl verglichen. Und wer die Zeichen nicht erkennt, dass diese Teilnahme so wesentlich ist, dass alles andere zurückstehen muss, der hat Wesentliches verpasst. Der hat das Leben an und für sich verpasst. Die Chance wirklich und erfüllt zu leben.

Aufgabe der Kirche Jesu Christi ist es auch der Welt davon zu erzählen, dass es ein zu spät gibt, dass Menschen verpassen können, was wichtig ist, um wirklich menschlich zu leben.

Der Skandal will auch bei uns heute gehört werden. Der Skandal, dass, wo wir uns verweigern, Jesus diejenigen ruft, die uns unter Umständen lästig oder unangenehm sind. Ich darf damit rechnen: Es kann sein, dass Gott mich einlädt und es kann sein, dass ich versage, dass ich absage, weil irgendetwas anderes gerade viel wichtiger erscheint. Irgendwann lädt Gott mich nicht mehr ein. Irgendwann wird Gott meine Ausreden akzeptieren ernst nehmen, wird er mich ernst und beim Wort nehmen. Weil er uns Menschen als ein freies Gegenüber akzeptiert und will.

Das Fest wird trotzdem gefeiert - auch ohne mich. Aber: Wäre das nicht schade? Amen


 

Predigt über die Freiheit – 1. Sonntag nach Trinitatis 2020

Liebe Gemeinde,

eines der wichtigsten Themen seiner Amtszeit war für den Altbundespräsidenten Gauck die Freiheit. Hatte er als Pfarrer und kritischer Geist in der damaligen DDR am eigenen Leib erfahren wie es ist, wenn grundlegende Freiheitsrechte von einem diktatorischen Staat eingeschränkt, ja verweigert werden.

Für so manchen, der das Glück hatte, in dieser Zeit auf der westlichen Seite des Eisernen Vorhangs leben zu dürfen, war es sogar schon zu viele des Guten. Vielleicht kam das daher, dass es für uns einfach selbstverständlich geworden war, in Freiheit zu leben und viele Freiheitsrechte genießen zu dürfen.

Wie wichtig Freiheit für ein gutes Leben ist, erkennt man eben oft erst, wenn sie nicht oder nicht mehr da ist. Das haben wir in den vergangenen Wochen – wenn auch, wie ich meine nur in Ansätzen – erlebt. Unsere Bewegungsfreiheit war eingeschränkt, die Versammlungsfreiheit auch, nicht zuletzt auch das Recht auf freie Religionsausübung. Eingeschränkt waren diese Freiheitsrechte wohlgemerkt, nicht aufgehoben. Andere Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit etwa, waren überhaupt nicht berührt. Worum es also in keiner Weise ging war, unter dem Deckmantel der Seuchenbekämpfung die Demokratie abzuschaffen, wie manche nicht müde wurden zu behaupten und uns schon auf direktem Weg in die Diktatur sahen. Man kann eigentlich nur den Kopf schütteln vor so viel Ignoranz.

Immerhin, wir konnten ein Gefühl dafür entwickeln, wie wichtig Freiheit für unser Leben ist und was das heißt, wenn sie plötzlich fehlt.

Und so werden alle Lockerungen, die die Politik jetzt erlaubt, regelrecht als Rückkehr der Freiheit gefeiert. So zuletzt auch in der Rheinpfalz zu lesen. Und nicht wenige verhalten sich dann auch gleich so, als wäre das Wichtigste jetzt nachzuholen, was man persönlich versäumt zu haben glaubt oder tatsächlich verpasst hat. Gar nicht so selten ohne Rücksicht auf immer noch geltende Regeln und die eigene wie die Gesundheit anderer.

Grund genug einmal darüber nachzudenken, was wir als Kirche der Freiheit, so nennen wir uns als Evangelische seit einigen Jahren ja, meinen und verstehen, wenn wir von Freiheit reden.

Alle verantwortlichen Politiker haben stets betont, dass es nicht selbstverständlich ist, wenn grundlegende Freiheitsrechte eingeschränkt werden müssen. Und dass dies kein Dauerzustand werden darf. Zu Recht. Denn immerhin wurden diese Rechte lange genug und zum Teil unter großen Opfern im Lauf der Geschichte erkämpft. Und oft genug hat sich Kirche dabei eher als Bremser erwiesen, denn als Speerspitze der Bewegung. Und das, obwohl unsere Bibel an vielen Stellen davon berichtet, wie wichtig Gott die Freiheit, ja, dass er ganz wesentlich ein Gott der Freiheit ist.

Der Sabbat, der Ruhetag, den Gott seiner Schöpfung sozusagen als Krone aufsetzt, er ist ein geschenktes Stück Freiheit jede Woche. Hier soll ich frei sein von Pflichten und den Mühen der Woche. Und das gilt sogar für die Tiere. Auch sie sollen ausruhen und diesen kleinen Vorgeschmack aufs Paradies genießen dürfen!

In der Einleitung zu den 10 Geboten hören wir, dass Gott selbst sein Volk aus der Sklaverei in die Freiheit geführt hat. Eine der Grunderfahrungen des jüdischen Volkes, die half durchzuhalten in den vielen dunklen Zeiten, die dieses Volk erleiden musste. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum!“ heißt es im 31. Psalm. So fühlt sich Freiheit an. „Unsere Seele ist entronnen wie ein Vogel dem Netz des Vogelfängers; das Netz ist zerrissen und wir sind frei.!“ In solch poetische Worte kleidet der 124. Psalm Freiheitssehnsucht und Freiheitserfahrung der damaligen Zeit.

Viele andere Stellen ließen sich dazu noch anführen. Ganz wichtig ist mir persönlich die Szene, in der Mose die 10 Gebote erhält und die eben mit der Erinnerung an die Befreiung durch Gott beginnen. Hier wird unmissverständlich klar: Freiheit ist nicht Freiheit nur für mich alleine, wie man die heutigen individuellen Freiheitsrechte missverstehen könnte. Freiheit heißt immer auch Verantwortung zu übernehmen. Den Mitmenschen und seine Freiheit, seine Rechte mit in den Blick zu nehmen und zu respektieren. Freiheit braucht Regeln, ja und auch Grenzen. Sonst wird sie zu nichts anderem, als bloßem Egoismus, führt zu Rücksichtslosigkeit, Ellenbogenmentalität und zerstört am Ende jede wirkliche Gemeinschaft. Ohne solch gute Regeln kann ein Leben in Freiheit nicht gelingen.

Aber auch im Neuen Testament spielt der Freiheitsgedanke eine wichtige Rolle. So sagt Jesus von sich selbst: „Der Geist des Herrn ist auf mir, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen.“ (Lk 4, 18) Und wenn er mit Zöllnern, Prostituierten, Sündern an einem Tisch saß, aß und trank, feierte, befreite er sie aus ihrer gesellschaftlichen Gefangenschaft, in die die Mehrheitsgesellschaft sie abgeschoben hatte. Weil auch sie Kinder Gottes sind!

Paulus schließlich weist uns immer wieder darauf hin, dass wir als Christen zur Freiheit berufen sind. Zu einer Freiheit jedoch, die nicht spaltet, weil jeder meint nun tun zu dürfen, was er will, sondern einer Freiheit, die der Einheit, die der Gemeinschaft, die allen dient. (1. Kor. 8,9)

Der Kern unseres Glaubens, dass Gott uns in Jesus Christus, durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferweckung, Anteil am ewigen Leben geschenkt hat, der macht frei. Weil ich der Sorge um mich selbst enthoben bin - denn Gott hat für mich gesorgt - werde ich frei davon, mich nur um mich selbst und meine Interessen zu kümmern. Ich werde frei, mich meinem Nächsten zuzuwenden und seine Not zu lindern. „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Das höchste Gebot für uns Christen, das Jesus uns gibt, es ist dann Ausdruck dieser Freiheit, die wir im Glauben gewinnen. „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gebot Christi erfüllen.“ So formuliert es Paulus im Galaterbrief.

Als Kirche Jesu Christi können wir genau in unseren Tagen einen wichtigen Beitrag leisten, indem wir immer wieder darauf hinweisen und es vorleben, dass Freiheit viel mehr ist, als nur die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen. Dass Freiheit erst im Bezug zum Mitmenschen wirklich entsteht, wächst und dem Leben einen tiefen Sinn gibt. Freiheit, die aus dem Glauben kommt und lebt, dass ich in Gott geborgen und gehalten bin für alle Ewigkeit.

Und wer schließlich denen, die immer noch meinen, es wäre so hart heute zu leben, einmal etwas entgegnen möchte kann das mit folgendem kleinen Beispiel tun:

Stellen wir uns einfach einmal einen Menschen vor, der im Jahr 1900 geboren wurde.

Er war 14 Jahre alt, als der erste Weltkrieg ausbrach. 18 als er zu Ende ging und über 20 Millionen Tote zu beklagen waren. Von den dauerhaft Kriegsgeschädigten gar nicht zu reden.

Gleich danach brach die spanische Grippe aus, die 50 Millionen Tote forderte. Da war er 20.

Mit 29 Jahren erlebte er die Weltwirtschaftskrise, mit 33 die Machtübernahme der Nazis in Deutschland.

39 Jahre war er alt, als der 2. Weltkrieg ausbrach und sechs Jahre später mit mindestens 55 Millionen Toten als Opfern endete.

1950 brach der Koreakrieg aus, 1955 der Vietnamkrieg, der bis ins Jahr 1975 dauerte, Dazu kam der kalte Krieg, mit seinen Gefahren, in einen heißen, vermutlich atomar geführten Krieg umzuschlagen.

Das alles hatte so ein Mensch in seinen 75 Lebensjahren erlebt, erlitten und überlebt.

Und da sollten wir es nicht aushalten mal eine Zeit lang kürzer zu treten, auf etwas individuelle, persönliche Freiheit zu verzichten, den Nächsten zuliebe?

Christliche Freiheit sieht anders aus. Und auch wenn ich mir persönlich das Feiern eines Gottesdienstes anders vorstelle und wünsche, auch wenn ich gerne gerade auch die besonderen Gottesdienste mit Konfirmandinnen und Konfirmanden, Jubelkonfirmanden und anderen wieder unbeschwert und wie gewohnt feiern würde: Die Freiheit, zu der Christus uns befreit, lässt mich hoffen und vor allem aushalten, was jetzt zu tragen ist.

Einer trage des anderen Last, so werden wir das Gesetz Christi erfüllen Und ein Beispiel gelebter christlicher Freiheit sein, an dem andere sich aufrichten können. Amen.

Predigt über 4. Mose 6, 22-27 - Sonntag Trinitatis 2020

Liebe Gemeinde,

wir haben heute den Segensspruch, den wir am Ende jedes Gottesdienstes hören, zum Predigttext. Das „Du“ in dem die Segensbitten formuliert sind gilt zuerst dem Gottesvolk, Israel und jedem einzelnen Menschen darin. Heute dürfen wir uns zu diesem Gottesvolk dazuzählen, so dass dieser Segen auch jeder und jedem von uns gilt.

Ursprünglich war dieses Segenswort eine Art Reisesegen. Mose empfängt ihn auf dem Berg Sinai vor Beginn der Wüstenwanderung. Und so macht es auch Sinn, dieses Segenswort am Ende unseres Gottesdienstes zu sprechen, wenn wir uns wieder auf die „Reise“ durch unser Leben, unseren Alltag machen. Dieses Wort es will begleiten, durch all das hindurch, was in der Woche auf uns wartet. Es will eine Art geistlicher Proviant sein, von dem wir auf unserem Lebensweg zehren können. Ermutigung und Stärkung für die Aufgaben, die Probleme, die Sorgen und Nöte, die unter Umständen auf uns zu kommen. Mit seinem Segen will Gott uns aufrichten, damit wir erhobenen Hauptes, mit Zuversicht durchs Leben gehen können. Er will, dass wir zufrieden und glücklich werden, trotz der Steine, die immer wieder auf unserem Weg liegen. Gott selber wird uns auf unserem Weg begleiten, wenn sein Segen auf uns liegt.

Was das im Einzelnen bedeutet möchte ich jetzt anhand der drei Sätze, die diesen Segen bilden, bedenken.

Der Herr segne und behüte dich.

Er segne dich, das heißt: Er gebe dir Anteil an seinem Leben wie er am Anfang allen seinen Kreaturen Anteil an seinem Leben gegeben hat. Fische und Vögel hat er als erstes gesegnet, damit das Wasser von Leben wimmle und die Luft mit Gezwitscher erfüllt sei, zu seiner Ehre. Das Vieh und die Tiere des Feldes sie haben unausgesprochen Anteil an seinem Segen allein dadurch, dass sie in diesen ständigen Kreislauf des Lebens hineingestellt sind und von Generation zu Generation Leben weitergeben. In diesen Kreislauf des Lebens hat er auch uns alle hineingestellt. Und so schenke er dir pulsierendes Leben. Spannkraft, Geduld und langen Atem. Liebe zu den Menschen, Freude an der Vielfalt und Schönheit der Schöpfung, die Neugier auf den neuen Tag, mit allem, was er bringen mag, das Gefühl dafür, was dir und deiner Seele gut tut. So segne dich der Herr.

Und er behüte dich, indem er dich auf allen deinen Wegen begleite. Dich aus den Sackgassen zurückholt und dich auch auf deinen Irr- und Holzwegen nicht alleine lässt. Er schütze dich vor allem, was dir schaden könnte. Und er nehme dir die Angst vor neuem und Unbekanntem. Er behüte dich vor Unfall und Krankheit und er sei bei dir, wenn dich doch ein Unglück trifft. Du sollst dich geborgen fühlen in deinem Leben, wo immer dein Weg hinführt, weil er bei dir ist.

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.

Voller Wohlwollen möge Gott dich anschauen. Und voller Liebe. Wie ein Freund oder eine Freundin, zu denen man volles Vertrauen haben kann. Freundlich und voller Wärme sollen seine Augen auf dir ruhen. Ihr Strahlen soll dich ruhig und gelassen machen, froh und glücklich. Es möge Licht in dein Leben bringen und Orientierung. Es erhelle auch die Schattenseiten deines Lebens und mache dir Mut zu deinen Fehlern und Schwächen zu stehen. Es wecke die Bereitschaft Schaden wieder gut zu machen, wo immer möglich. So lasse der Herr sein Angesicht leuchten über dir. Und so sei er dir gnädig: Indem er dir geben möge, was immer du zum Leben brauchst. Was immer du tust – es möge Segen darauf ruhen. Er möge dir deinen Weg ebenen. Er nagle dich nicht auf deine Fehler und Schwächen fest, sondern vergebe dir deine Schuld, damit du den Kopf nicht hängen lassen musst. Im Gegenteil: Er neige sich zu dir herunter, um dich zu stärken und wieder aufzurichten, wenn du niedergeschlagen bist. Um dir Mut zu machen, wenn du verzweifelst bist. Um dir neue Wege zu zeigen, wenn du nicht mehr weiterweißt. So sei der Herr dir gnädig.

Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

Gott wende sich dir zu, dass du etwas spürst von der Wärme, die von ihm ausgeht. Denn so wie die Sonne nicht nur unsere Welt hell macht, sondern auch die Kälte vertreibt, so sollst du ihn erfahren. Er lasse dich die Liebe spüren, die von ihm ausströmt, damit sie abfärbt auf dich. Er lasse dich die Leidenschaft spüren, mit der er deine Nähe sucht, weil er in deinem Herzen wohnen und ein Teil von dir werden will. So wende der Herr sich dir zu.

Er gebe dir Frieden. Er stelle dich in eine Gemeinschaft, die dich trägt und schützt. Er stelle dir Menschen zur Seite, bei denen du dich geborgen fühlst. Die dich trösten, wenn du traurig bist und die dir helfen, wenn du Unterstützung brauchst. Er lasse Gelassenheit und ruhe die Oberhand in deinem Leben gewinnen. Wo Zerrissenheit dich schmerzt, wo Beziehungen und Bindungen Schaden genommen haben, bringe er Heilung. Er möge dich offen machen für Neues und bereit für Veränderungen, die dem Leben dienen. Er schenke dir, dass du im Einklang mit Gottes Schöpfung leben kannst und in Übereinstimmung mit dir selber. Mit Haut und Haaren, mit deinem Denken und Fühlen, deinem Wollen und Handeln, mit allem, was dich ausmacht. So gebe Gott dir Frieden.

 „So sollt ihr meinen Namen auf das Volk legen, dass ich sie segne“, heißt es in einer etwas anderen Übersetzung am Ende des Segenswortes. Den Namen Gottes auf das Volk legen heißt nichts anderes, als den Segen zu sprechen. Wie eine schützende, wärmende Decke soll er uns umhüllen, wenn wir in unseren Alltag zurückkehren. Im Segen, den Menschen aussprechen, geht Gott selber ein Versprechen ein. Das Versprechen, den ausgesprochenen Segen wahr zu machen, ihn wirklich werden zu lassen. Denn das muss klar sein: Die Segensworte wirken nicht dadurch, dass Pfarrer sie sprechen und die Gemeinde sie hört. Sie sind keine magischen Formeln, die aus sich und für sich wirken. Nur Gott kann diese Worte in lebendige Wirklichkeit verwandeln. Aber dass er das nicht nur tun kann, sondern dass er das wirklich tun will, das verspricht er uns. Und auf dieses Versprechen können wir vertrauen. So wahr er unser Schöpfer, Erlöser und Vollender ist. Amen

Gebet

Gott vor allem Anfang, Gott nach allem Ende,

Vater, Sohn und Heiliger Geist, unergründlich in deiner Macht, unermesslich in deiner Gnade, wir preisen deinen Namen!

Wir rufen dich an, den Vater, den Schöpfer der Welt, Anfang und Ziel aller Geschichte.

Wir bitten dich:

Bewahre diese Erde und das Leben aller Menschen. Gedenke der Hungernden und der Gefangenen. Nimm dich der Kranken und der Sterbenden an. Lenke, die Macht und Verantwortung tragen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Lass alle dem Leben dienen und nicht der Zerstörung. Schütze, was du geschaffen hast.

Wir rufen dich an, den Sohn, den Ursprung neuen Lebens, den Versöhner der Menschen.

Wir bitten dich: Befreie uns alle aus der Verstrickung in Schuld. Gib uns Kraft zur Versöhnung. Lass uns Frieden bringen, wo Streit herrscht. Gedenke derer, die unter Krieg und Terror leiden. Lass alle Menschen erkennen, dass du Weg, Wahrheit und Leben bist.

Wir rufen dich an, den Heiligen Geist, den Schöpfer der Kirche, den Tröster der Menschen.

Wir bitten dich: Erwecke deine Kirche, dass sie zur Zeugin werde für Recht und Wahrheit, für Liebe und Versöhnung. Ruf uns heraus aus Verblendung und Resignation. Lass uns ein neues Leben beginnen in der Kraft der Liebe, im Bekenntnis der Wahrheit.

Hilf denen, die gefangen sind im Einerlei des Alltags, die an ihrem Leben verzweifeln, die keinen Sinn und keine Zukunft mehr sehen, die nicht herauskommen aus ihrer Sucht.

Wir danken dir für unser Leben, für Bewahrung in der Gefahr, für Beistand in der Not, für Stärkung in schweren Zeiten.

Darum loben wir deinen Namen, preisen deine Macht, rühmen deine Gnade, mit aller Schöpfung im Himmel und auf Erden.
Amen


Pfingsten nach Corona

Liebe Gemeinde,

Pfingsten nach Corona…. Nein! Nicht nach Corona. Auch wenn viele so tun als wäre das so. Tatsächlich sind wir noch mitten drin in diesem Geschehen, das wir mit dem Wort Pandemie umschreiben. Also eine „sich weit ausbreitende, ganze Landstriche und Länder erfassende Seuche; eine Epidemie großen Ausmaßes:“ So sagt es das Wörterbuch. Und da eben stecken wir noch mittendrin. Auch wenn wir schrittweise uns an das Leben, das wir vorher gewohnt waren wieder versuchen heranzutasten.

So wie in diesem Gottesdienst heute. Aber natürlich sieht und spürt jede und jeder, dass es bei weitem nicht so ist wie vorher: Wir müssen uns anmelden, Masken tragen, dürfen nicht zusammensitzen, müssen unsere Daten abgeben. Und es dürfen nicht alle kommen, die wollen, weil wir Abstand halten müssen.

In vielen anderen Lebensbereichen ist das ähnlich. In den Schulen, in den Geschäften und Restaurants. Es gibt eigentlich außer den eigenen vier Wänden keinen Bereich, in dem Veränderungen nicht spürbar werden.

In dieser Zeit feiern wir Pfingsten. Immerhin. Das Fest desHeiligen Geistes. Der dritten Wirkungsweise Gottes, mit der wir es neben dem Vater und Schöpfer und dem Sohn Jesus Christus zu tun haben.

Gott ist auch Geist. Heiliger Geist. Der schon zu Anbeginn über den Wassern schwebt. Ordnung hineinbringt in das anfängliche Chaos. Der Leben gibt als Atem, der lebendig macht. Adam zum Beispiel. Der einer Taube gleich auf Jesus herabkommt, damals am Jordan, als der getauft wird und der ihn auf diesen Weg der Liebe und Menschlichkeit, auf diesen Weg des Lebens bringt.

Eben haben wir den Bericht über das erste Pfingstfest damals in Jerusalem gehört (Apostelgeschichte 2, 1-18). Der Geist Gottes, Feuerzungen gleich, begeistert. Die Jünger. Er bringt sie in Bewegung. Sie gehen aus sich heraus, wo sie doch die ganze Zeit eher zurückgezogen und ratlos zusammengesessen sind. Der Geist Gottes hilft ihnen Grenzen zu überwinden. Sprachliche, kulturelle, religiöse. Sie müssen einfach von Jesus und Gott erzählen. Sie können nicht anders. Sie sind von Gottes Geist ganz und gar ergriffen, beseelt, erfüllt. Und da geht es dann los dieses Projekt Kirche. Hier kommt es auf den Weg. Nicht immer auf den richtigen Wegen im Lauf der Jahrhunderte, nicht immer weiter vom Geist Gottes ergriffen, sondern manchmal auch ganz schön geistlos. Aber immer zur Umkehr und Korrektur bereit und fähig und so immer noch auf dem Weg. Bis heute im Jahr 2020 in Zeiskam und Schwegenheim.

Wann waren Sie eigentlich das letzte Mal so richtig von etwas begeistert, liebe Gemeinde? Was hat Sie das letzte Mal so richtig aus der Fassung gebracht – im positiven Sinn? Und für was können Sie sich so begeistern, dass sie diese Begeisterung unbedingt mit anderen teilen wollen?

Bei mir war und ist das immer wieder einmal bei einem guten Konzert. Wenn ich den Eindruck haben, die Künstler sind selbst mit Begeisterung bei der Sache, nehmen mit hinein in ihre eigne Begeisterung, stecken mich an, kitzeln meine Emotionen aus mir heraus. Manchmal klappt das sogar beim selber Musik machen. Nicht so gut wie bei den Profis, aber das Gefühl ist es ja, das zählt. Oder wenn ich als Vogelkundler eine neue Vogelart beobachten kann. Dann bin ich auch begeistert, fühle eine Freude, die raus, die sich mitteilen will und spüre dankbar die Schöpfermacht Gottes, die das erst ermöglicht.

Begeisterung. Geist Gottes. An Pfingsten sollten wir einmal darüber nachdenken, aus welchem Geist heraus und in welchem Sinn wir leben wollen. Aus dem Geist Gottes heraus, der Grenzen überwindet, Menschen aus allen Völkern und Kulturen zusammenbringt, zu einer wirklichen Gemeinschaft werden lässt, in der die frohe Botschaft Gottes für die Welt verkündet wird, die von Frieden, Gerechtigkeit, Versöhnung und Vergebung spricht, von der Achtung und Bewahrung der ganzen Schöpfung auch. Oder wollen wir leben nach dem modernen Geist, dem Zeitgeist, der oft genug ein Ungeist ist. Der Menschen und Völker trennt, gegeneinander aufbringt, der ab- und ausgrenzt. America first! Deutschland, Deutschland über alles! Alles schon mal da gewesen! Der Geist, der, den eigenen Vorteil um jeden Preis zu suchen als klug und lebenstüchtig preist, Rücksichtnahme und Bescheidenheit aber als Dummheit.

Aus welchem Geist heraus wollen wir leben? Oder anders formuliert: Sind wir von Gottes Geist ergriffen oder von allen guten Geistern verlassen?

In meiner ersten Andacht, die ich geschrieben habe nachdem wir keine Gottesdienste mehr feiern konnten, habe ich die Frage gestellt, wohin wir zurückkehren werden, wenn Corona einmal vorbei sein wird. Einfach zurück zu Altem, Gewohntem? Oder wollen wir mit neuen Ideen neue Wege gehen, geboren aus der Kraft der Ruhe, zu der wir eine kurze Zeit lang gezwungen waren. Denn, die Probleme, die uns vorher beschäftigt hatten und die so langsam – hatte ich den Eindruck – in ihrer wahren Dimension ins Bewusstsein von mehr Menschen vorgedrungen waren sind ja wegen Corona nicht weg.

Klimawandel, Artensterben. Krisenpotentiale, die im Nachhinein die Coronakrise in jeder Hinsicht – wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich, sozial - wie ein laues Lüftchen werden erscheinen lassen.

All das scheint in den Hintergrund getreten zu sein. Jetzt muss nachgeholt werden, an besten noch einer draufgesetzt, obwohl doch längst klar ist, dass die Art zu leben, die wir nun wieder anstreben, den Karren, also die Welt an die Wand fahren werden. Und so scheint eines der wichtigsten Probleme unserer Tage – für manche -  zu sein, wann man denn endlich wieder nach Malle fliegen kann. Flugziel Nr. 1 der TUI übrigens nach dem Reiseverbot. Und politische Amokläufer wie Trump und Bolsonaro in den USA und Brasilien können im Schatten der Krise ihre ganze politische Dummheit aufs Tapet bringen. Und viele folgen ihnen. Weil wir ja so eine harte Zeit ohne Vergnügen und Parties haben erleiden müssen.  Manchmal kommen mir gerade auch Erwachsene wie kleine trotzige Kinder vor, denen man gerade ihr Lieblingsspielzeug weggenommen hat und nicht wie Menschen, die bereit sind Verantwortung zu tragen, auch für die Zukunft ihrer Kinder.

Von Gottes Geist ergriffen oder von allen guten Geistern verlassen? Sie ahnen, dass ich in meiner Bewertung unserer Gegenwart eher dem Zweiten zuneige. Umso wichtiger für uns Christen, für uns als Kirchen uns an den Geist Gottes zu halten, der nicht ein Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit ist. Früher hieß es übrigens statt Besonnenheit Zucht.

Der Geist der uns Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht lehren und schenken kann, wenn wir uns ihm öffnen. Uns ergreifen, begeistern lassen für dieses Projekt Gottes, das nicht Wirtschaft, sondern Leben heißt. Natürlich weiß ich, dass wir wirtschaften müssen, um leben zu können. Aber zu wirtschaften und dabei zu zerstören, was dafür die Grundlage auch künftig sein soll und muss, das ist hirnlos, dumm und geistlos.

Es ist an der Zeit, dass wir anfangen zu reden als Christen. Laut, über Grenzen hinweg, verbindend und verbindlich. Auf alle Fälle sollten wir das Reden nicht diesen Lautsprechern überlassen, die uns schon auf dem Weg in die Diktatur wähnen oder sonst ein politisches Süppchen kochen wollen.

Hilfreich dabei ist es immer, erst zu denken, dann zu reden und schließlich zu handeln. So wie damals der sogenannte verlorene Sohn, der für mich immer mehr zum Vorbild für uns als Menschen allgemein wird wird. Und wie auf ihn, da bin ich mir sicher, wartet Gott auch auf uns und unsere Umkehr. Als einzelne wie als Gemeinschaft. Damit wir irgendwann sagen können: Nicht von allen guten Geistern verlassen, sondern von Gottes gutem Geist ergriffen.

Dem Leben zu Liebe, der Welt zum Segen und Gott zur Ehre.
Amen


Andacht Pfingsten 2020

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

um das vierte und letzte Element, das Feuer, soll es heute an Pfingsten gehen.

Die Naturwissenschaft erklärt uns, dass die Bändigung des Feuers einen Riesenschub in der Entwicklung des Menschen bedeutete. Ganz einfach, weil unsere Vorfahren sich damit ganz andere Nahrungsquellen erschließen konnten und das die Entwicklung unseres Gehirns enorm gefördert hat. Ohne die Nutzung des Feuers wären wir vielleicht heute gar nicht die, sie wir sind. Ohne Licht, das Feuer des Himmels, die Sonne kein Leben hier auf Erden. Aber halt im richtigen Abstand dazu. Auch das eine Erkenntnis der Wissenschaft.

Doch auch schon in der antiken Mythologie gibt es herrliche Geschichten vom Feuer. Etwa die des Prometheus, der Zeus das Feuer stiehlt und es den Menschen bringt. Als der erste Holzstoß auf Erden lodert, ist Zeus so sauer, dass er sich mit der Büchse der Pandora rächt, aus der alle mögliche Übel hervorkommen und sich über die Welt verbreiten, sobald man sie öffnet. Bald schon zeigt das Feuer, dass es zwei Seiten hat. Zum einen die, welche das Leben erleichtert und möglich macht, die nährt und wärmt. Auf der anderen aber auch die zerstörerische Kraft, die alles verbrennt und vernichtet, was ihr zu nahekommt. Wir haben das in den vergangenen Monaten überall auf der Welt in Form von Wald- und Buschbränden erleben müssen, wie verheerend Feuer sein kann. Feuer, es kann zur Bedrohung für den Menschen und alle Geschöpfe werden. Ein Symbol dafür ist darum seit alters her der Drache, der Feuer speit. Wie viele Geschichten und Sagen gibt es nicht, in denen mutige Ritter und Prinzen gegen Drachen kämpfen müssen. Hier bei uns kennt jeder noch die Sage von Siegfried, dem Drachentöter. Aber auch in der Bibel wird berichtet – im Buch der Offenbarung – dass der Erzengel Michael mit seinen Getreuen gegen den Drachen zum Kampf antritt. Feuer, so überlebenswichtig für uns, es kann auch zum Feind des Menschen werden, wenn es nicht gebändigt wird.

In der Bibel wird das Feuer auch mit dem Strafgericht Gottes in Verbindung gebracht. Denken wir nur an die Vernichtung der Städte Sodom und Gomorra, wo Gott Schwefel und Feuer vom Himmel regnen lässt. Jesus warnt in seiner Bergpredigt: „Wer zu seinem Bruder sagt: Du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig!“ Und in Matthäus 25 heißt es: „Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer.“

Das Höllenfeuer, das Fegefeuer (was übrigens nicht das Gleiche ist!) als Symbol für Qualen und Schmerzen, Strafe und Verdammnis. Zeichen der Vernichtung und des Verderbens, der Bedrohung und Gefahr, Symbol des Todes.

Feuer. In der Bibel kann es auch für die Seite Gottes stehen, die uns fremd, unbekannt, unverständlich, ja manchmal unheimlich bleibt. Denken wir an die Geschichte vom brennenden Dornbusch, der brennt aber nicht verbrennt. Hier hält da Euer den Menschen Mose auf Distanz. Das Heilige lässt sich von uns nicht vereinnahmen, der Mensch ist nicht Gott, auch wenn wir das oft meinen und uns entsprechend verhalten. Mose muss die Schuhe ausziehen und den Blick senken aus Respekt vor dem Heiligen und um dessen Nähe überhaupt ertragen zu können. Doch: Was ist uns heute noch heilig?

In der Sage bringt Prometheus den Menschen das Feuer, weil er es gut mit ihnen meint. Denn das Feuer hat ja eben auch noch diese positive Seite. Es bedeutet Wärme und Schutz gegen die Kälte. Es bringt Licht in die Dunkelheit und gibt Orientierung. Das Feuer ist auch der Freund des Menschen. Und so bedeutet der brennende Dornbusch nicht nur Distanz, sondern auch Befreiung aus Unterdrückung und Sklaverei. Der Gott, der sich da zu erkennen gibt, ist der Gott, der mit uns auf dem Weg ist und bei uns ist.

Der Gott, der das Chaos ordnet und die Finsternis vertreibt, indem er am Anfang der Schöpfung spricht: Es werde Licht! Der Gott, der Leben will, schenkt und erhält. Und zwar alles Leben!

Der Gott, der im Dunkel wohnen will und es doch erhellt, wie es Jochen Klepper in dem Lied: „Die Nacht ist vorgedrungen“ gedichtet hat. Der Gott, der beides ist: Der verborgene und der offenbare, der Richter und der Retter, verzehrendes Feuer und das helle, barmherzige Licht.

Wo Feuer brennt, kann es sich ausbreiten. Das kann furchtbar sein oder auch segensreich. Denken wir nur einmal an die Pfingstgeschichte. Als der Heilige Geist – Feuerzungen gleich – auf die Jünger herunterkommt und sie begeistert, in Bewegung bringt, die frohe Botschaft der ganzen Welt auszurichten. Dabei werden dann Barrieren überwunden. Sprache, Herkunft, Stand und Ansehen spielen keine Rolle mehr. Alle sollen spüren: Wir gehören zusammen, weil Gott uns alle mit Licht und Leben, Wärme und Liebe, Hoffnung und Kraft beschenken will. So wird Feuer als Zeichen des unzerstörbaren Lebens von Gott.

Die ersten Jünger, sie waren sozusagen Feuer und Flamme für Gott, für seine frohe Botschaft an alle Welt. Doch auch dieses Feuer will gebändigt sein. Durch die Liebe, die Gott selbst ist. Wo das nicht passiert, wo Menschen meinen, sie hätten Gott jetzt ganz und gar erkannt, verstanden, seien ihm ganz nah, da wird aus Begeisterung für Gott, wird aus Glauben Fundamentalismus und Fanatismus, dem nur Hass und Gewalt entspringen, Zerstörung und Tod.

Das Feuer des Glaubens, der Gott tatsächlich die Ehre gibt brennt in uns, aber verzehrt uns nicht. Es mag uns auch einmal läutern, aber es verbrennt uns nicht – und erst Recht keine anderen. Es zieht uns an, wärmt uns, gibt uns Orientierung auf dunklem Weg. Das Licht der Liebe Gottes in uns, es ist ein ewiges Licht, eines das niemals erlöschen kann, wenn wir in der Liebe bleiben, die Gott selbst ist.

ER will uns anstecken mit der Flamme seiner Liebe, damit wir sie weitergeben und die Welt heller machen, wo immer wir leben und handeln. Gottes Liebe ist wie die Sonne, die am Morgen aufgeht und ihre warmen Strahlen auf die Erde schickt, die Licht und Leben schenkt, aber diejenigen verzehrt, die ihr zu nahekommen und die wohltuende Distanz nicht einhalten, weil es ihnen an Respekt vor dem heiligen mangelt.

Das Feuer, es ist unverzichtbar für unser Leben. Genau wie Gott. Richtig verstanden und recht verwendet ein Bild für die Liebe Gottes, die uns jeden Tag am Leben hält und die uns eines Tages zu dem bringen wird, der dieses ewige Lebenslicht in uns entzündet hat.

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Pfingstfest!

 

Seien sie gesegnet und behütet!

 

Ihr Pfarrer Andreas Gutting


Andacht zum Sonntag 24.05.20

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

Joseph Haydn, der Komponist, der „Schöpfung“, war ein frommer Mann und guter Katholik. Seine Partituren begann er oft mit den Worten: „In nomine domini“ („Im Namen des Herrn“) und er beendete sie wie Johann Sebastian Bach mit: „Soli deo gloria!“ („Allein Gott sei die Ehre!“)

Er gestand einmal: „Wenn es mit dem Komponieren nicht recht fort will, gehe ich im Zimmer auf und ab, den Rosenkranz in der Hand, bete einige Ave Maria und dann kommen mir die Ideen wieder.“ Und das steigert sich noch, wenn er schreibt: „Ich war nie so fromm als während der Zeit, als ich an der Schöpfung arbeitete. Täglich fiel ich auf meine Knie nieder und bat Gott, dass er mir die Kraft zur glücklichen Aufführung verleihen möchte.“

Vor dem grandiosen Werk des Schöpfers gerät ein Mensch in Staunen und Ehrfurcht. Welch ungeheurer Auftrag, die Erschaffung der Welt in Töne umzusetzen. Haydn folgt natürlich den biblischen Quellen, insbesondere der Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Mose, die mit den Worten beginnt: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Kaum ein anderes Wort kommt in der Bibel sooft vor, wie das Wort Erde. Es sind mehrere hundert Stellen. Die Erde – unser Lebensraum, sie ist entstanden, lange bevor es uns Menschen gab. Was wären wir ohne sie?

Wie beruhigend ist es, wenn man mit beiden Beinen auf der Erde stehen kann, wenn man Grund und Boden unter den Füßen hat? Ohne die Erde könnten wir uns unser Leben doch gar nicht vorstellen. Ohne die Erde, auf der Pflanzen wachsen, Tiere ihren Lebensraum haben, mit und von denen wir leben. Auf der wir selbst unser Leben einrichten und gestalten. Die Erde – wieder eins vier dieser Elemente, ohne die wir nicht existieren könnten. Die Erde, sie ist der Raum in dem wir uns bewegen, in und von dem wir leben. Der heutige zweite Schöpfungsbericht im 2. Buch Mose lehrt uns sogar, dass Gott den Menschen aus Erde geschaffen hat. Adam heißt dieser erste Mensch. Das ist abgeleitet vom hebräischen Wort „adamah“ – Erde – und heißt so viel wie: „von der Erde genommen.“

Hier kommt zum Ausdruck, dass wir Menschen untrennbar mit der Erde verbunden sind. Wir sind ein Teil von ihr. Sie ist die Grundlage und Bedingung unserer Existenz und unseres Lebens, sie ist unser Schicksal. Wir bauen unsere Häuser auf ihr. Wir bestellen auf ihr unsere Felder, die uns ernähren und unser tägliches Brot geben. Auf ihr wachsen Bäume, die uns Früchte schenken und Sauerstoff zum Atmen spenden. So vieles wächst und gedeiht auf der Erde, das unser Herz, unsere Sinne, unsere Seele erfreut.

Wir Menschen sind Geschöpfe dieser Erde wie alles andere, was Gott geschaffen hat. Vermutlich deshalb nennen manche indigenen Völker sie auch „Mutter Erde“. Denn aus ihr kommt das Leben und zu ihr kehrt auch alles Leben wieder zurück. Ein Kreislauf des Werdens und Vergehens, umschlossen von der Erde, die für uns wie eine Mutter ist, die uns ernährt und erhält. Auch das können wir in der Bibel nachlesen: So sagt Gott nach der Vertreibung der Menschen aus dem Garten Eden: „Du bist Erde und sollst Erde werden.“ (1. Mose 3, 19) Denn in ihren Schoß kehrt alles Leben zurück. Uns so legen wir unsere toten in die Erde mit den Worten: „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.“

In einem Lied unserer Tage heißt es: „Eine Handvoll Erde, schau sie dir an. Gott sprach einst: Es werde! Denke daran!“ Ja, eine Handvoll Erde sind wir Menschen bei Licht betrachtet. Nicht viel mehr. Wir sind aus Erde und werden wieder zu Erde. Ein winziges Staubkorn im riesigen Universum.

Dieser Gedanke hat auch den Psalmisten bewegt. Zum Beispiel in Psalm 8 wenn er betet: „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und sie Sterne, die du bereitet hast; was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“

Verwundert schaut er ans Firmament und erkennt, dass wir Menschen, obwohl nur eine Handvoll Erde, ein Staubkorn im Universum, vom Schöpfer geliebt und angenommen sind. Darum kann er dann davon sprechen, dass Gott uns Menschen wenig niedriger gemacht hat als sich selbst, dass er uns mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, uns zum Herrn über seiner Hände Werk berufen und uns alles zu Füßen gelegt hat.

Gott hat uns, die wir selbst nicht mehr sind als eine Handvoll Erde, diese Erde anvertraut, damit wir sie in seinem Sinn hüten und schützen, bebauen und bewahren, um sie als Lebensraum auch für künftige Generationen zu erhalten. Vor allem aber auch um eines zu tun: Ihn, den Schöpfer zu ehren. Ihn allein. In allem was wir tun. Soli deo gloria.

Allmählich beginnen wir zu begreifen – freilich ohne daraus wirkliche Konsequenzen zu ziehen – dass die Ressourcen unseres Lebensraums Erde begrenzt sind. Dass sie nicht einfach ein Objekt ist, das man hemmungslos und vor allem folgenlos ausbeuten kann, wie einen Steinbruch. Jeder von uns hat für seinen Bereich immer eine Ausrede parat, warum das, was er tut schon nicht so schlimm ist oder er allein ja doch nichts ändern kann. Und so geht der Raubbau weiter. Trotz der Tatsache, dass es sich abzeichnet, dass die Folgen schon für die Generationen, die bald nach uns kommen werden, dramatisch sein werden. Und manchmal denke ich, wenn schon nicht die Eltern, dass dann doch wenigstens die Großeltern für das Lebensrecht ihrer Enkel mit Klauen und Zähnen kämpfen müssten. Aber nichts passiert. Vielleicht hat uns der Krake unseres Lebensstils zu fest in seinen Armen gefangen und sind wir dem Gift der heutigen Zeit erlegen, das Gott durch Wachstum, Luxus, Schönheit und was weiß ich für moderne Götzen ersetzt hat.

Dem Duwamish – Häuptling Seattle werden, als die USA 1855 seinem Stamm anbietet, ihr Land abzukaufen, folgende Worte zugeschrieben: „Wir wissen, dass der weiße Mann unsere Art nicht versteht. Ein Teil des Landes ist ihm gleich jedem anderen, denn er ist ein Fremder, der kommt in der Nacht und nimmt von der Erde, was immer er braucht. Die Erde ist sein Bruder nicht, sondern sein Feind und wenn er sie erobert hat schreitet er weiter. Er behandelt seine Mutter, die Erde, und seinen Bruder, den Himmel, wie Dinge zum Kaufen und Plündern… Sein Hunger wird die Erde verschlingen und nichts zurücklassen als eine Wüste…Und erst, wenn der letzte Baum gerodet ist, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann.“ Und kein Handy, kein Smartphone, kein Auto, keine Klamotten und was uns heute noch alles so unentbehrlich scheint, um leben zu können.

Sollte Seattle die Rede nicht so gehalten haben, man müsste wünschen, es wäre so gewesen. Denn es ist ein eindrücklicher Appell, der Erde, unserer Mutter, wie sie auch Franz von Assisi nennt, mit Ehrfurcht und Freundschaft zu begegnen und nicht als etwas, das man bekämpfen muss oder darf.

Eine Handvoll Erde – kostbarer als Gold und Silber, wertvoller als alles Geld und alle Aktien dieser Welt. Geprägtes Metall und bedrucktes Papier: Was bedeutet das schon gegenüber der Erde, die uns das Leben ermöglicht?

Erde bedeutet Leben. Unsere Erde schenkt Leben – all ihren Bewohnern: Menschen Tieren, Pflanzen.

Sie sollte uns heilig sein. Denn sie ist vom Heiligen, von Gott selbst geschaffen. Wir sind von ihm beauftragt, sie zu bewahren. Um ihm die Ehre zu geben.

Soli deo gloria! Das ist der tiefste Sinn unseres Lebens. Wir sollten beginnen, unseren Auftrag ernst zu nehmen.

Seien Sie gesegnet und behütet!

Ihr Pfarrer Andreas Gutting

Andacht zum Sonntag, 17.05.20

Liebe Gemeinde, liebe Leserinnen und Leser,

nach dem Wasser, soll es heute um das zweite Grundelement des Lebens gehen. Die Luft.

Meistens können wir sie nicht sehen, schmecken riechen, anfassen, hören. Gott sei Dank.

Denn ich erinnere mich noch gut an meine Kindheit in Ludwigshafen. Da konnte man die Luft oft genug riechen, bzw. das, was drin war. Und das war oft genug alles andere als angenehm. Natürlich: Heute sind Schadstoffe in der Luft manchmal nicht mit dem Geruchsinn wahrzunehmen und das macht sie deswegen nicht ungefährlicher.

Luft: etwas, was schwer zu greifen, zu erfahren ist. Wenn ich zu jemandem sage: Du bist Luft für mich, dann behandle ich ihn so, als sei er gar nicht da, als existiere er für mich nicht. Ist Luft so verstanden ein Bild für etwas, das gar nicht existiert?

Natürlich nicht. Sie umgibt uns von allen Seiten. Jeden Moment unseres Lebens. Wir atmen sie jede Sekunde ein und aus. Leben von ihr. Geht uns die Luft aus, dann ist es mit unserem Leben vorbei. Alles auf der Erde braucht Luft und Sauerstoff, um zu leben. Adam wurde ein lebendiges Wesen, als Gott ihm den Lebensodem einblies. So erzählt es der zweite Schöpfungsbericht. (1. Mose 2)

Luft ist also eine existentiell wichtige Lebensgrundlage für uns. Sie erst macht uns lebendig. Für mich ist sie mit den Jahren der Beschäftigung sogar zum Bild für die Seele geworden, das was uns eben lebendig, zugleich aber auch unverwechselbar macht. Was uns von Gott mitgegeben wird und was – unsterblich – zum Schöpfer zurückkehrt, wenn die Zeit gekommen ist.

Wie gesagt: Meist nehmen wir die Luft nicht wirklich wahr. Es sei denn wir blasen mit einem Strohhalm in ein Glas Wasser, dann sehen wir die Luftblasen aufsteigen. Wenn es kalt wird im Winter, dann sehen wir unsere Atemluft aufsteigen sehen. Wir können die warme Luft, die den Kaminen entsteigt beobachten.

Und manchmal kann sie laut werden, die Luft. Der Fahrwind auf dem Rad, oder im Auto. Oder schlimmer: Wenn ein Sturm losbricht. Dann heult der Wind, wir können die Gewalt sehen, hören und spüren mit der die Luft an allem zerrt, was ihr im Weg ist. Wir kennen die Bilder der Zerstörung, die solche Stürme anrichten können. Verheerende Urgewalt. Vor Jahren war ich einmal in Südfrankreich im Land der Katharer unterwegs und beim Besuch einer ihrer Burgruinen wurde ich aufgefordert, oben auf der Burg die Brille abzusetzen, weil dort Windgeschwindigkeiten von 130 und mehr Stundenkilometern gemessen würden. Es bestünde die Gefahr, dass die Brille in der Mitte brechen könnte. Also bin ich quasi halbblind auf die Burg und es war sehr beeindruckend, diese Kraft am eigenen Leib zu spüren.

Luft – eine Urgewalt, die alles mitreißen kann, was sich ihr in den Weg stellt. Uralte, große Bäume, Dächer, Häuser, alles. Ein Kraft, die ein ruhiges Gewässer – sei es Meer oder See – in ein brodelndes Inferno verwandeln kann.

Nicht zuletzt deswegen meinten die Menschen früherer Zeiten, in solchen Stürmen den Zorn der Götter zu erkennen. Und auch Martin Luther dürfte bei seinem Erlebnis im Gewitter bei Stotternheim nicht nur von dem einen Blitz, sondern der Kombination aus Blitz, Donner und Sturm so beeindruckt und verängstigt gewesen sein, dass er sein Gelübde, ins Kloster zu gehen, ablegte. Überleben natürlich vorausgesetzt.

Richard Strauß setzt dieses Grollen und Brausen eines Gewittersturms in seiner „Alpensinphonie“ eindrucksvoll musikalisch um. Fast meint man im Zentrum des Sturms zu sein, fast meint man Thor auf den Amboss schlagen zu hören, oder Donar mit seinem Feuerwagen am Himmel fahren zu sehen. Die Götter, an die die Germanen glaubten und die sei mit solchen Ereignissen in Verbindung brachten. Oder man fühlt sich mit dem Propheten Elia auf den Berg Horeb versetzt, wo es heißt: „Und ein großer, starker Wind, die die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem Herrn her; aber der Herr war nicht in dem Wind.“ Der Gott, der uns in der Bibel offenbart wird, ist eben nicht Thor oder Donar, nicht irgendein zorniger, drohender Donnergott. Eine ähnliche Erfahrung macht der widerspenstige Prophet Jona, der sich in dem großen Sturm als Opfer über Bord werfen lässt, um den (angeblichen) Zorn Gottes zu besänftigen. Wir wissen: Gott rettet Jona. Er will und braucht sein Opfer nicht, sondern hat ganz anders mit ihm vor.

Erschüttert, verängstigt haben sich wohl auch die Jünger in der Situation gefühlt, die in der Schriftlesung erzählt wurde. Wie hilflos und machtlos sind wir Menschen doch, wenn die Naturgewalten ihre ganze Kraft entfalten und wir ihnen ausgesetzt sind! Dann hilft manchmal wirklich nur noch beten: Herr Errette uns! Erbarme dich über uns! Zwiespältig, wie Feuer und Wasser, so ist auch die Luft. Sie kann alles in seinen Grundfesten erschüttern und durcheinanderwirbeln. Sturm, das heißt Bewegung, Kraft, Energie. Energie, die wir Menschen aber auch seit alters her nutzen. Die Windräder überall im Land sind ein modernes Beispiel dafür.

Im neuen Testament wird die Luft, der Wind, zum Bild für den Geist Gottes. Im Gespräch mit Nikodemus gebraucht Jesus diesen Vergleich: „Der Wind bläst wo er will und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.“ (Joh 3, 8)

Vom Geist Gottes, der unter die Jünger fährt berichtet Lukas dann auch in der Apostelgeschichte beim ersten Pfingstfest zu Jerusalem als ein Brausen vom Himmel geschieht wie von einem gewaltigen Wind. Viele fromme Leute hörten das und kamen vor das Haus, in dem die Jünger waren. Menschen werden in Bewegung gebracht, Grenzen überwunden, eine Bewegung setzt ein, die bis heute nicht endet, weil der Geist unter uns lebt und weht. „The wind of change“ so sang einmal die Rockgruppe „Scorpions“ als der eiserne Vorhang gefallen war. Für mich bis heute ein modernes Beispiel dafür, was geschehen kann, wenn der Geist Gottes durch die Geschichte weht – wo er will!

Luft, Wind – zerstörerische Urgewalt, lebensspendendes Element, das allem Kraft und Raum zum Leben schenkt – die Vögel unter dem Himmel sind da ein kleines Beispiel dafür – und das unserer Seel so guttun kann. „Frühling lässt sein blaues Band, flattern durch die Lüfte… Nach langem Winter erweckt die laue Luft wieder unsere Lebensgeister, erfüllt uns mit Freude und Glück. Wie angenehm ist nach einem heißen Sommertag abends ein kühlender Windhauch, der die Haare umspielt. Bei Menschen, die noch nicht völlig abgestumpft sind, weitet sich da das Herz, die Seele breitet ihre Flügel aus, wir spüren – hoffentlich – für einen Moment, wo unsere wirkliche Heimat ist und dass wir getragen sind, jeden Moment unseres Lebens.

Gott ist nicht im Sturm, als Elia auf den Horeb geht. Nicht in Feuer und Erdbeben. Am Ende hört der Prophet ein stilles sanftes Sausen. Und genau in diesem Säuseln des Windes da begegnet ihm Gott, der Schöpfer des Universums!

Vielleicht enttäuschend für alle, die aus allem – auch aus unseren Gottesdiensten – am liebsten immer ein Event machen wollen. Etwas, wo was los ist, Action angesagt.

Falsch gedacht. In der Stille, der Ruhe, dem Leisen begegnet Gott. In einem sanften Windhauch. So wie er später ja auch als Neugeborener in einer Krippe liegt und nicht als König mit Ross und Reitern daherkommt. Er begegnet uns als einer, der uns umschmeichelt, umwirbt mit einer zarten, zu Herzen gehenden, unsere Seele berührenden Liebe. Der trägt und errettet. Der Lebensraum und Lebenskraft gibt, allem was lebt.  Der, wie es Paul Gerhardt dichtete: „Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“

Dieser Gott ist mit uns unterwegs. Auch mit Ihnen! Wir müssen vielleicht nur öfter auf das leise Säuseln hören, als auf die ach so großen Lautsprecher unserer Zeit.

 

Seien Sie gesegnet und behütet!

 

Ihr Pfarrer Andreas Gutting

Andacht zum 10. Mai 2020

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leserinnen und Leser,

um die vier Elemente soll es in den kommenden vier Andachten gehen. Die vier Elemente, die seit alters her als die Grundlage allen Lebens angesehen werden.

Die uns, von Gott geschenkt, unser Leben erst ermöglichen. Oft so selbstverständlich hingenommen – wie zum Beispiel die Luft zum Atmen – merken wir erst wie wichtig diese vier Grundstoffe des Lebens sind, wenn sie fehlen oder knapp werden.

Vier Elemente. Vier ist die Zahl der Ganzheit, der Vollkommenheit. Ein Kreis hat vier Viertel. Der Monat vier Wochen. Es gibt vier Himmelsrichtungen. Vier Adventssonntage. Wir selbst haben vier Gliedmaßen.

Vier braucht man also, damit etwas vollständig und komplett ist. Und darum auch vier Elemente des Lebens. Feuer, Wasser, Erde und Luft.

Wir beginnen mit dem Feuer. Wie alles in unserer Welt, hat das Feuer in seiner Bedeutung für unser Leben zwei Seiten. Wir haben unsere ganze Welt so eingeteilt und erfahren sie so, dass es von allem auch den Gegensatz gibt. Zum Feuer das Wasser. Zum Himmel die Erde – oder schlimmer: die Hölle. Schwarz und weiß, groß und klein, gut und böse, schön und hässlich, reich und arm… was wir auch nehmen und betrachten, es gibt immer auch das Gegenteil davon. Und weil wir Menschen uns darum die Welt gar nicht anders vorstellen können, als dass es das Gegenstück dazu geben muss, haben wir auch dem, der eigentlich einzigartig ist, eines verpasst: nämlich Gott. Ausgerechnet der soll kein Gegenüber haben? Nein, das kann nicht sein und schon war der Teufel als angeblicher Verursacher alles Bösen in der Welt. Dass das aber so gar nicht stimmt, können wir schon in der Geschichte von Adam und Eva nachlesen, als die von den Früchten des Baums der Erkenntnis essen. Vielleicht lesen Sie die Geschichte mal in den kommenden Tagen nachzulesen. Und noch ein letzter kleiner Tipp dazu: Dass die Schlange quasi der Teufel sei, steht zumindest in der Bibel so nicht drin.

Aber kommen wir endlich zu unserem ersten Element, dem Wasser.

Wasser. Ein erstaunliches Element. In flüssiger Form, als Nebel oder Dampf, in Form von Schnee und Eis kann es uns begegnen. Es kann uns von Herzen erfreuen, wenn Kinder im Winter eine Schneeballschlacht machen können und es kann uns den letzten Nerv rauben, wenn wir meinen, es würde scheinbar nie wieder aufhören zu regnen. Im Urlaub zum Beispiel.

Wasser. Von Anfang an spielt es auch in der Bibel eine Rolle. Zwar heißt es im Johannesevangelium: Im Anfang war das Wort, jedoch können wir gleich im 2. Vers unserer Bibel lesen: „Und die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.“

Von der Urflut ist da die Rede, Teil des ursprünglichen Chaos auf der Erde, in das Gott Ordnung bringt. Nach der Erschaffung des Lichts drängt er die Wassermassen zurück, bändigt das Wasser, damit Land entstehen kann. Land, auf dem Leben möglich wird. In der Sintflutgeschichte – einige Kapitel weiter – erfahren die Menschen hautnah und existentiell, was es heißt, wenn Land untergeht, Wasser nicht gebändigt werden kann. Dass Menschen heute wieder diese Erfahrung machen müssen ist insofern tragisch, dass sie in armen Ländern und Gegenden dieser Erde leben, die uns hier nicht wirklich interessieren. Wären Städte wie New York oder Hamburg in absehbarer Zeit von der Überflutung bedroht, längst würde wesentlich mehr gegen die Ursachen getan. So aber lässt uns das in kalt.

Wasser, es ist eine Urgewalt. In den vergangenen Jahren haben wir quasi live und in Farbe immer wieder die Schrecken und das Leid miterlebt, die Tsunamis oder auch Flüsse, die über die Ufer treten, auslösen und mit sich bringen. Sintflut. Auch heute. Noch nicht weltweit, aber für die betroffenen Menschen nicht weniger schrecklich. Da wird Leben zerstört, Existenzen werden vernichtet. Angst gräbt sich in Seelen ein davor, dass das Ganze sich wiederholen könnte. „Land unter“ – dieser Ruf wird an Küsten und Flüssen immer wieder zu Fanal. Die Macht des Wassers ist gewaltig. Kaum etwas kann ihr standhalten. Unglaubliche Energie steckt im Wasser.

Energie, die wir Menschen uns aber auch zunutze machen. Schon unsere Vorfahren haben das getan. Denken wir nur einmal an die vielen Wassermühlen, die es einmal auch hier bei uns gab.

Wasser – eine Naturkraft, die wir Menschen nur bedingt zähmen können, die wir zu domestizieren verstehen, der wir aber immer wieder auch hilflos ausgeliefert sind und vor der wir von Zeit zu Zeit einfach nur in Deckung gehen können.

Es ist zutiefst beeindruckend solche Schauspiele wie eine Sturmflut am Meer, den Abgang einer Lawine in den Bergen, das Rauschen eines großen Wasserfalls beobachten und hören, ja geradezu körperlich spüren zu können. Da fühlt man sich als Mensch ganz klein, den Naturgewalten unterworfen. Staunt, wird andächtig vielleicht, hoffentlich auch wieder einmal ehrfürchtig.

Wasser – wie das Feuer, über das wir vergangenen Sonntag nachgedacht haben – es birgt beides in sich, kann beides werden: Fluch und Segen. Es zieht uns magisch an und flößt uns doch immer wieder auch Angst ein. Wir versuchen es zu bändigen und kommen dabei doch immer wieder auch an unsere Grenzen. „Macht euch die Erde untertan“ – dem Versuch von uns modernen Menschen, das im Sinne einer totalen Unterwerfung der Natur unter unseren Willen zu bewerkstelligen, wird besonders durch das Wasser immer wieder ein Strich durch die Rechnung gemacht. Fast könnte man das Wasser als eine Art Wolf im Schafspelz bezeichnen: Lebensspendend im einen Moment, Tod und Vernichtung bringend im nächsten.

Wasser bedroht Leben. Das ist wohl wahr. Und doch ist es ja nur die halbe Wahrheit, die eine Seite der Medaille. Ohne Wasser gäbe es kein Leben hier auf unserer Erde. Ja das Leben kommt aus dem Wasser. Nichts könnte ohne es existieren: Keine Pflanze, kein Fisch, kein Vogel, kein Mensch. Zu ¾ bestehen wir selbst aus Wasser. Wir können zwar relativ lange ohne feste Nahrung, aber nur wenige Tage ohne Wasser auskommen.

Im zweiten Schöpfungsbericht muss es erst regnen, bevor Menschen, Pflanzen und Tiere erschaffen werden. Gleich vier große Ströme durchfließen den Garten Eden. Es braucht Wasser, damit aus der Erde ein Paradies werden kann. Wasser bedeutet Wachstum, Fruchtbarkeit, Leben. Wasser ist eine Wohltat für alles, was lebt. Bleibt das Wasser aus verdorrt und vertrocknet alles. Das Leben stirbt ab. Wo Wasser Mangelware ist, wird es zum kostbaren Gut. Das war auch bei uns hier einmal so, als Wasser beileibe nicht selbstverständlich getrunken werden konnte, wie heute. Zur Zeit Luthers hat man darum auch Bier zum Frühstück getrunken. Und in manchen Gegenden ist es heute noch geradezu eine Kostbarkeit. So rar, dass manche Wissenschaftler befürchten, dass Kriege der Zukunft um Wasser geführt werden könnten.

Wir hier können uns das nur schwer vorstellen. Wir drehen den Wasserhahn auf und schon läuft es in beliebiger Menge. Wir können uns damit erfrischen, reinigen sooft uns danach ist. Können es verschwenden. Können sogar den Rasen damit sprengen, weil wir nicht auf den nächsten Regen warten wollen, der aus der braunen wieder eine grüne Fläche macht. So etwas nennt man Luxus. Ob uns das bewusst ist?

Wasser ist ein kostbares Gut. Ohne Wasser kein Leben. Das war den Menschen seit jeher klar. Und darum haben sie an Flüssen, Seen, Küsten gesiedelt. Um beides wissend, das vom Wasser ausgehen kann: Segen und Fluch. Doch der Segen wurde wohl allemal höher eingeschätzt.

Im Johannesevangelium sagt Jesus einmal im Gespräch mit einer samaritanischen Frau am Brunnen Jakobs: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten, wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, der wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt. (4, 14)

Jesus benutzt das Wasser als Symbol für das, was unser Leben wirklich trägt und was wir uns nicht selber geben können. Er selbst, der Glaube an ihn und den Vater, ist Wasser, Grundlage für unser Leben. Hier und in Ewigkeit. Wo er vertrocknet, das vertrocknet das Leben und da herrschen am Ende nur Chaos und Tod. Schauen Sie sich die Welt und unseren gedankenlosen Alltag auch hier bei uns an und Sie wissen was ich meine. Jesus macht das Wasser zum Zeichen dafür, dass das nicht so sein muss und nicht so sein soll. Uns soll das Leben blühen und nicht der Tod! Und darum taufen wir auch mit Wasser zum Zeichen dafür, dass er uns durch unser Leben tragen will, über Höhen und durch Tiefen hindurch bis in die Ewigkeit: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.“

Das Wasser der Taufe, es verbindet uns mit dem, der für uns gestorben ist, damit wir das ewige Leben haben. Das Wasser der Taufe verbindet uns mit Gott, der Quelle allen Lebens, damit auch von uns Ströme lebendigen Wassers ausgehen und wir selbst zur Quelle für anderen werden, dass wir Leben schenken und erhalten statt zu zerstören. Denn Ein Glaube, der nur für sich selbst bleibt, der sich nur um sich selbst sorgt, der ist so überflüssig und nutzlos wie nur irgendetwas.

Das Wasser der Taufe, es steht für die Kraft Gottes, die uns die Energie schenkt, Leben zu wagen. Vertrauen auch, Liebe und Hoffnung. Weil wir wissen dürfen, dass nichts uns von Gott, der Quelle des Lebens trennen kann.

Wasser. Zu bändigendes Chaos und kostbare Lebensgrundlage zugleich. Zwiespältig. Am Ende aber ermutigendes Zeichen für den Willen Gottes zum Leben, an dem wir teilhaben dürfen. Vielleicht denken wir einmal daran, wenn wir in dieser Woche einen Schluck Wasser trinken. Ganz bewusst. Und sagen vielleicht auch einfach einmal: Danke!

 

Seien sie behütet und gesegnet!

 

Ihr Pfarrer Andreas Gutting


An(ge)dacht

Liebe Gemeindeglieder,

es ist Frühling. In den vergangenen Wochen war es nicht zu übersehen. Die Sonne lachte vom Himmel, die Zugvögel kehrten aus ihren Winterquartieren zurück. Die einen früher, die anderen etwas später. Auch manche müssen wir noch etwas warten. Aber spätestens, seit die Schwalben wieder da sind ist doch klar: Der Sommer kommt! Auch wenn eine Schwalbe nach wie vor noch keinen Sommer macht.

Was mir in diesem Jahr besonders auffällt: Es scheint mehr Nachtigallen zu geben als in den vorangegangenen Jahren. Wer genau hinhört kann sie auch hier im Dorf bei Tag und Nacht hören. Es ist berührend diesem Gesang einmal mitten in der Nacht zu lauschen. Gotteslob einmal ganz anders…..

Es macht überhaupt Freude jetzt draußen zu sein. Trotz mancher Beschränkung. Irgendwie ist es stiller, die Luft scheint sauberer zu sein. Man hört mehr, man riecht mehr. Man kann regelrecht zuschauen, wie sich das Leben Bahn bricht.

Für mich jedes Jahr aufs Neue eine ganz besondere Zeit im Jahr.

Wenn ich in den letzten Tagen unterwegs war kam mir dabei immer wieder eins unserer vielleicht schönsten Kirchenlieder in den Sinn: Geh aus mein Herz und suche Freud… von Paul Gerhardt.

Eigentlich ist es ja eher ein Sommerlied. Aber der April fühlte sich ja in Teilen auch schon an wie Sommer.

Paul Gerhard nimmt uns in seinem Lied mit auf einen Spaziergang. Durch die Gärten der Stadt oder des Dorfs, hinaus in die Flur der Felder und Wälder. Mit offenen Augen, dem Blick auch fürs Detail, die kleinen Dinge wandert er und es berührt sein Herz, seine Seele. Freude zieht ein bis ihm das Herz so voll ist, dass sein Mund überquillt und er gar nicht anders kann als einzustimmen in das Lob des Schöpfers, das die ganze Schöpfung, jedes einzelne Lebewesen anstimmt. Jedes nach seiner Art.

Und so singt Paul Gerhardt:

Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes großes Tun, erweckt mir alle Sinnen

Ich singe mit, wenn alles singt und lasse, was dem Höchsten klingt aus meinem Herzen rinnen.

Wenn es hier auf der Erde schon so schön ist, wie muss es dann eigentlich im Himmel, bei Gott, erst sein? Gar nicht auszudenken, was da an Gutem auf uns wartet. Kurz blitzt der Wunsch auf: Wenn es doch nur schon so weit wäre, dass ich dieses Leben hinter mir lassen und die himmlischen Freuden genießen könnte…

Glaube als Hilfsmittel zur Weltflucht? Nicht bei Paul Gerhardt. Ja sein Glaube schenkt ihm Hoffnung auf eine bessere Zukunft, ein besseres Leben nach diesem Leben. Doch aus dieser Hoffnung heraus wächst der Wunsch und die Kraft dieses Leben anzunehmen und gut zu gestalten. In Gottes Geist und durch Gottes Geist will er wirken, will er sich bewegen lassen, will er gestalten. Zum Lob und Ruhm Gottes.

Soli Deo Gloria. Allein Gott die Ehre. Auf diese Kurzformel hat Johann Sebastian Bach es später auf all seinen Werken gebracht.

Was Paul Gerhardt im Jahr 1653 gedichtet hat, ist kein religiös – volkstümlicher Kitsch!

Die Zeiten waren alles andere als rosig damals. Der verheerende 30-jährige Krieg war gerade einmal 5 Jahre vorbei. Weite Landstriche waren verwüstet und zum Teil entvölkert. Die Pest breitete sich aus. Die Frau Paul Gerhardts war depressiv. Gleich mehrere Kinder hatte das Ehepaar verloren. Auch er selbst hätte durchaus Grund gehabt zu klagen, mit seinem Leben und Gott zu hadern, den Kopf in den Sand zu stecken, aufzugeben.

Elend und Leid, das waren keine Unbekannten, sondern geradezu ständige Wegbegleiter.

Umso faszinierender, dass Paul Gerhardt solche Worte findet. Dass er in solch einer Weise an seinem Glauben festhalten und aus ihm heraus leben kann. Mit Hoffnung leben kann.

Für mich ist er darin ein Vorbild. Ein Vorbild auch im Jahr 2020.

Wir erleben derzeit besonders intensiv wie gefährdet und zerbrechlich Leben und unsere Art zu leben ist. Von einem Moment auf den anderen ist zwar nicht alles, aber doch vieles anders. Gewohnheiten werden über den Haufengeworfen. Wir müssen uns neu ausrichten. Sind verunsichert. Suchen Halt und Orientierung.

Das alles spüren wir doch sehr viel mehr als die ebenfalls sehr realen Bedrohungen, die uns aus Klimawandel und Artensterben erwachsen. Für viele sind das, habe ich manchmal den Eindruck, eher abstrakte, ferne Gefahren. Jetzt sind wir viel direkter betroffen, empfindsamer, verletzlicher.

Nehmen wir uns doch an Paul Gerhardt ein Beispiel. Betrachten wir doch die Natur, die Schöpfung um uns herum nicht mehr nur unter solchen Aspekten ob sie uns nutzt, Profit einbringt, sich zum Sportmachen, feiern oder sonst was eignet. Betrachten wir sie doch als ein Wunderwerk der Schöpfungskraft Gottes, das er uns anvertraut und zum Geschenk gemacht hat. Gehen wir mit offenen Augen und dem Blick auch für das Kleine und Unscheinbare. Und lassen wir unser Herz und unsere Seele davon berühren. Ich bin mir sicher: Wir können und werden dadurch ähnliche Erfahrungen, Glaubenserfahrungen machen wie Paul Gerhardt. Von der Schönheit und Vielfalt der Schöpfung auf die Liebe Gottes schließen zu können, mit der er uns betrachtet und irgendwann empfangen wird, das schenkt Hoffnung. Hoffnung, die trägt auch in schwerer Zeit.

Und solche Hoffnung gibt Kraft, nicht in Trauer, sorgen und Angst zu versinken. Sie gibt Kraft, das Leben und seine Herausforderungen anzunehmen, statt sie zu verdrängen.

Vielleicht gibt sie uns die Kraft, uns nach der Viruskrise den alten Herausforderungen, die ja nicht einfach verschwinden werden, mit neuer Kraft, neuen Ideen und der Bereitschaft als Kirche und Gesellschaft auch neue Wege zu gehen. Damit künftige Generationen und alles, was mit uns auf dieser Erde lebt, Raum und Zukunft haben können. Das wäre doch ein wirkliches Gotteslob im Sinne Paul Gerhardts, Glaubensfrüchte, wie er sie sich gedacht hat. Soli Deo Gloria!

 

Ich grüße Sie alle herzlich! Seien sie behütet und gesegnet!

 

Ihr Pfarrer Andres Gutting

An(ge)dacht

Liebe Gemeindeglieder,

an diesem Sonntag ist einer der wohl bekanntesten Texte unserer Bibel der Wochenpsalm. Also der Psalm, der uns auf unserem Weg durch die Woche hindurch begleiten soll, den wir vielleicht jeden Morgen lesen oder beten, für uns oder gemeinsam sprechen.

Der Herr ist mein Hirte--- So beginnt der 23. Psalm, dessen Wortlaut ich hier noch einmal in der Übersetzung Martin Luthers wiedergeben möchte:

Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln.

Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.

Er erquicket meine Seele.

Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.

Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.

Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.

Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Gerade in einer Zeit wie wir sie gerade erleben, haben diese Worte eine unglaubliche Kraft, Tiefe und Stärke. Das, was wir brauchen, für Leib und vor allem Seele.

Unser ganzes Leben, unsere ganze Existenz sind in diesen alten Worten enthalten, aufgehoben. Nicht nur die sonnigen, gelingenden Wegabschnitte. Nein, gerade auch die schwierigen Zeiten meines Lebens, die dunklen Täler, die Zeit von Anfeindung und Auseinandersetzung finden ihren Platz.

„Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal ….“, „Im Angesicht meiner Feinde…“

So wie ein guter Hirte für seine Herde, so ist Gott für mich da. Immer. Selbst dann, wenn ich das gerade nicht fühlen oder spüren oder glauben kann. Oder will.

Gott ist da! Für mich und die Menschen, die mit mir auf dieser Erde leben! Ganz gewiss.

Diese Gewissheit bringt David, der als Dichter des Psalms gilt zum Ausdruck in dem er im Hebräischen den Namen JAHWE als Gottesbezeichnung wählt. Dieser Name kann zwei Bedeutungen haben.

Einmal als: Ich bin der Seiende. Oder als: Ich bin der, der für euch da ist.

Die zweite Übersetzung greift zurück auf die Szene, als Gott sich Mose im brennenden Dornbusch offenbart und ihm zusichert, der er selbst mit seinem Volk auf dem weg sein würde auf dem Weg aus Ägypten und durch die Zeit hindurch.

Die erste Übersetzung erinnert uns daran, dass wir es mit dem Schöpfer allen Lebens zu tun haben. Dem Ewigen, Heiligen, der wahren und wirklichen Liebe.

So wie alles, was ist, von ihm geschaffen und in ihm aufgehoben ist, so bin auch ich von ihm geschaffen, begleitet, bewahrt. Von ihm her und auf ihn zu darf ich leben, darf ich mich führen, leiten und versorgen lassen. An Leib und Seele. In guten und in schwierigen Zeiten. So wie jetzt gerade.

David schrieb den Psalm nicht, um uns daran zu erinnern, wie sehr wir Ruheplätze und Orte brauchen, an denen wir neu motiviert werden und neue Kraft bekommen. Er schrieb den Psalm nicht, um uns neu vor Augen zu halten, wie oft wir durch dunkle Täler gehen müssen und Angst haben. Er brauchte uns auch nicht an unsere Schuld zu erinnern.

Er schrieb diesen Psalm, um uns diese eine Botschaft zu überbringen, die wir schon so oft gehört haben, die aber immer noch so unbegreiflich ist: Gott ist der Hirte, der dein Leben für dich und mit dir in die Hand nimmt. Der da ist, wenn du dich nicht mehr auskennst. Der dir neue Kraft gibt, wenn die Kinder dich wieder einmal aussaugen. Der dir Ruhe verschafft, wenn du einen Brief öffnest und eine schlechte Nachricht fürchtest. Wenn du Angst um deinen Arbeitsplatz oder die Zukunft deiner Kinder hast.

Sich auf diesen Gott, diesen lebendigen Gott einzulassen, das verschafft innere Ruhe und Gelassenheit. Das gibt uns die Kraft, auch schwierige Zeiten durchzustehen und zu bewältigen.

Sich auf diesen Gott als guten Hirten einzulassen, befreit von der inneren Unruhe und Hektik, die uns die heutige Welt sooft aufzwingt, das schenkt inneren Frieden und Hoffnung. Weil uns der Psalm ja eine Perspektive aufzeigt, die weit über diesen Leben hinausweist. „Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“

Ich wünsche uns allen in diesen Tagen, in den gerade wieder so viel an Unruhe und Ungeduld zu spüren ist, diesen Frieden, diese Ruhe und Gelassenheit, die wir haben würfen, weil er für uns da und unser guter Hirte ist!

Etwas von dieser Gelassenheit hätte ich mir übrigens auch von den ganzen Kirchenführern gewünscht, die jetzt in oft wehleidigem Tonfall (Ex EKD Ratsvorsitzender Prof. Wolfgang Huber) und spürbarer Unruhe die Aufhebung des Gottesdienstverbots forderten! (Dazu im Anschluss ein kurzer Text aus Funkensplitter.de)

Uns allen wünsche ich die Erfahrung, dass der lebendige Gott, der Schöpfer allen Lebens, der die Liebe ist unser guter Hirte ist. Auf allen Wegen. Wo sie auch hinführen, wie sie auch aussehen. Und dass wir darum keine Angst haben brauchen und, sondern Hoffnung haben dürfen!

Denn:

Der Herr ist dein Hirte. Dir wird nichts mangeln.

Er weidet dich auf einer grünen Aue und führet dich zum frischen Wasser.

Er erquicket deine Seele.

Er führet dich auf rechter Straße um seines Namens willen.

Und ob du schon wandertest im finsteren Tal, fürchte kein Unglück; denn er ist bei dir, sein Stecken und Stab trösten dich.

Er bereitet vor dir einen Tisch im Angesicht deiner Feinde.

Er salbet dein Haupt mit Öl und schenket dir voll ein.

Gutes und Barmherzigkeit werden dir folgen dein Leben lang und du wirst bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Seien Sie behütet und gesegnet!

Ihr Pfarrer Andreas Gutting


 

Funkensplitter vom 20. April 2020: Zum Nachdenken

Eine Kirche in jedem Haus

Es ist erstaunlich und erschreckend, wie sehr in der gegenwärtigen Diskussion der öffentliche Gottesdienst am Sonntagmorgen im Kirchengebäude im Zentrum steht. Für manche scheint geradezu die Zukunft des Christentums davon abzuhängen, möglichst schnell wieder die Kirchen öffnen zu können.
Nun ist der gemeinsame (öffentliche?) Gottesdienst zweifellos ein wichtiges Element des christlichen Glaubens.
Aber er ist doch bei weitem nicht alles!

Was ist mit dem persönlichen Gebet? Was mit der persönlichen Bibellektüre? Oder gar der Andacht im Familienkreis?
Hier gab es einmal eine reiche Kultur (und Literatur). Man denke nur einmal zurück an die vielen Andachts- und Erbauungsbücher der Orthodoxie und des Pietismus! Oder die Rosenkranzgebete in der katholischen Kirche.
Haben wir das alles verlernt?
Das wäre dann das eigentliche Alarmzeichen! Nämlich ein Zeichen für eine große religiöse Sprachlosigkeit – auch inmitten unserer Kirche.

Was ist mit dem vielgepriesenen Priestertum aller Gläubigen?
„Ubir das seyn wir priester, das ist noch vil mehr, denn kuenig sein, darumb, das das priesterthum vns wirdig macht fur gott zu tretten vnd fur andere zu bitten … Alßo hatt uns Christus erworben, das wir muegen geystlich fur ein ander tretten und bitten, wie ein priester fur das volck leyplich tritt und bittet …, hat Luther in der Freiheit eines Christenmenschen geschrieben.
Dass Christen priesterlich im Gebet füreinander eintreten, anderen das Evangelium bezeugen und aneinander Seelsorge üben, ist unabhängig von allen öffentlichen Gottesdiensten. (Und übrigens ist das genau die Form, wie viele Christen weltweit unter massiven staatlichen Repressionen ihren Glauben überhaupt praktizieren können.)
Oder hat Jesus, das mit den “zwei oder drei, die in meinem Namen zusammen sind”, nicht ernst gemeint?
Ich bin mir nicht sicher, ob die kircheninterne und kirchenexterne Fixierung auf den öffentlichen Sonntagsgottesdienst letztlich nicht einem Klerikalismus bzw. einer Pfarrer*innenzentriertheit entspringt…

Interessanterweise kursiert im Moment gerade auf katholischen Seiten(!) eine nette Anekdote:
„In Ägypten ließ ein Herrscher für neun Jahre alle Kirchen schließen. Eines Tages ging er durch die Straßen der Christen spazieren. Aus jedem Haus hörte er die Christen beten und Gott loben. Da befahl er: Öffnet die Kirchen wieder und lasst die Christen beten, wie sie wollen. Ich wollte in jeder Straße eine Kirche schließen, doch nun musste ich feststellen, dass ich in jedem Haus eine neue Kirche eröffnet habe.“

Vielleicht sollten auch wir uns ein wenig mehr auf “Kirche in jedem Haus” konzentrieren, statt uns in öffentlichen Bedeutsamkeitsdebatten zu verlieren…


An(ge)dacht

Liebe Gemeindeglieder,

die Geschichte geht weiter… nach Ostern.

Die Frauen sind es, die in die Hand nehmen und tun, was zu tun ist. Sie gehen zum Grab Jesu und wollen erledigen, was an seinem Todestag aufgrund des anbrechenden Sabbats nicht mehr getan werden konnte. Sie wollen seinen Leichnam einbalsamieren, so, wie es Brauch ist.

Doch sie finden ihn im Grab nicht. Vielmehr werden sie von zwei Männern, Engeln, angesprochen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden!“ (Lukas 24, 5 + 6)

Da erinnern sie sich, was Jesus ihnen gesagt hatte, kehren zurück in die Stadt und erzählen die Botschaft von der Auferstehung den Aposteln und anderen Jüngerinnen und Jüngern. Aber es waren ja Frauen, die das erzählten und darum glaubte man ihnen erst mal nicht. Petrus untersucht das leere Grab selbst. Es ist so, wie die Frauen es berichtet haben. Glauben bewirkt das bei ihm in diesem Moment aber noch nicht. Er wundert sich. Wäre es nicht an ihm, dem ersten Jünger Jesu, gewesen, solch eine Botschaft auch als erster zu erfahren?

Den anderen geht es wohl nicht viel besser. Und so machen sich zwei von ihnen noch am gleichen Tag auf und kehren zurück in ihr Heimatdorf Emmaus.

Ich kann mir gut vorstellen, mit welchen Gefühlen sie unterwegs waren. So begeistert waren sie von Jesus gewesen, so voller Hoffnung, dass er der erwartete Messias sei, der sein Volk retten und befreien würde. War das wirklich erst eine Woche her, dass sie unter dem Jubel der Menschen nach Jerusalem eingezogen waren? Und dann das: Verhaftung, Verurteilung, Hinrichtung! Scheitern auf der ganzen Linie. Alle Hoffnung zerplatzt. Wie anders sollte man das verstehen? Da kann man auch nach Hause gehen, zurück in sein altes Leben. Wenn doch alles beim Alten bleibt.

Und so gehen sie ihren Weg. Lassen alles, was sie erlebt haben, noch einmal Revue passieren. Im Gespräch versuchen sie zu verarbeiten, was ihnen da widerfahren ist, was sie noch nicht verstehen können, was ihnen das Herz schwer macht.

Und da stößt er dann zu ihnen, der scheinbar Fremde. Jesus, von dem sie die ganze Zeit geredet haben und den sie jetzt nicht erkennen. Er scheint völlig ahnungslos zu sein von all dem, was in Jerusalem passiert ist. Kleopas bringt ihn auf den Stand der Dinge. Jesus hört und erkennt, dass sie noch nicht wirklich verstanden haben, um was es bei all den Geschehnissen wirklich ging. Dass alles so hatte kommen müssen, damit der Heilsplan Gottes für die Welt erfüllt werden konnte. Und er beginnt ihnen die Schrift zu erklären, von A bis Z sozusagen, erklärt ihnen, was da schon seit jeher von ihm gesagt und geschrieben war. Die beiden Jünger hören gut zu, verstehen aber immer noch nicht.

Erst in Emmaus angekommen, als sie ihn zum Nachtessen einladen und er das Brot bricht, wie er es so viele Male getan hatte, erkennen sie, wer da die ganze Zeit mit ihnen unterwegs war. Jetzt verstehen sie auch, was er ihnen auf dem Weg erklärt hatte. Jetzt kommt die Botschaft der Auferstehung tatsächlich bei ihnen an: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden.

So ist das manchmal im Leben: Es wird vorwärts gelebt, so wie die beiden ihren Weg nach vorn nach Emmaus gegangen waren. Aber verstanden wird es oft genug erst rückwärts. Erst als Jesus wieder verschwunden ist, sie zurückschauen, verstehen sie.

Nicht durch das Hören, sondern durch die gelebte Gemeinschaft beim Essen, erkennen sie die frohe Botschaft von Ostern.

Und das verändert sie, Trauer und Enttäuschung verwandeln sich in Freude und Hoffnung. Und so kehren sie sofort zurück nach Jerusalem, um den anderen Jüngern zu erzählen, was sie erlebt haben. Die Geschichte geht weiter!

Was mir an dieser Erzählung so gefällt ist, dass über Auferstehung hier nicht nur in der Rückschau als vergangenes Geschehen oder in der Vorschau als zukünftige Erwartung geredet wird. Auferstehung geschieht, wird erlebbar, erfahrbar, spürbar im Leben der beiden Jünger. Und darum geht es glaube ich: Dass auch für uns Ostern, die Auferstehung zur Lebenswirklichkeit werden kann. Dass sich Trauer in Freude, Angst in Hoffnung verwandeln können immer wieder. Dass wir selbst spüren und es andere spüren lassen: Wir sind eingeladen zum Leben! Von Gott und mit Gott! Und in der Gemeinschaft der Menschen. Immer wieder neu.

Den Gedanken von der Auferstehung hier und heute hat der Schweizer Pfarrer und Dichter Kurt Marti einmal in diese Worte gefasst:

Ihr fragt wie ist die auferstehung der toten?

ich weiß es nicht

ihr fragt wann ist die auferstehung der toten?

ich weiß es nicht

ihr fragt gibt ?s eine auferstehung der toten?

ich weiß es nicht

ich weiß nur wonach ihr nicht fragt: die auferstehung derer die leben

ich weiß nur wozu Er uns ruft: zur auferstehung heute und jetzt

 

Ich grüße Sie alle sehr herzlich. Seien Sie gesegnet!

Und: Eine fröhliche Auferstehung! Hier und heute!

 

Ihr Pfarrer Andreas Gutting

Andacht zu Karfreitag

Liebe Gemeindeglieder,

im Brief des Jakobus heißt es: „So seid nun geduldig, liebe Brüder und Schwestern, bis auf die Zukunft des Herrn. Siehe, ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber, bis er empfange den Frühregen und den Spätregen.“ (Jakobus 5, 7)

Geduld zu haben, gilt als Tugend. Ungeduldige Menschen werden oft negativ beurteilt, doch fällt es vielen – gerade in diesen Tagen des Jahres 2020 – schwer, Geduld aufzubringen.

Die Geduld, sich wieder frei nach eigenem Gutdünken bewegen zu können. Die Geduld, wieder normal arbeiten zu können. Die Geduld, sich mit Freunden treffen zu können. Ja vielleicht sogar wieder die Geduld, in die Schule gehen zu können. Nicht mehr so sehr auf die eigenen vier Wände reduziert zu sein.

Dass der Geduldsfaden bei so manchem Mann recht schnell gerissen ist, zeigen, vor allem in größeren Städten, die steigenden Belegungszahlen der Frauenhäuser.

Der Duden sagt zur Geduld, sie sei ein „ruhiges und beherrschtes Ertragen von etwas, was unangenehm ist oder sehr lange dauert.“

Man spürt schon bei dieser Definition, dass Geduld zu haben nicht einfach ist. Und doch sind wir gerade als Christen dazu gerufen, geduldig zu sein. Denn unser Glaube ist nicht auf kurzfristige Erfolge ausgerichtet. Viele Menschen heute warten montags auf das nächste Wochenende, den nächsten Urlaub, eine Gehaltserhöhung, den nächsten Frühling. Wir Christen warten auf die Vollendung der Schöpfung durch Gott, den neuen Himmel und die neue Erde, das Reich Gottes. Da ist langer Atem gefragt, Durchhaltevermögen, Geduld. Dabei hat das nichts mit einer passiven Haltung des Ertragens zu tun. Vielmehr ermutigt die Geduld des Glaubens dazu, den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen und sich auch durch Rückschläge und Enttäuschungen oder Anfechtungen nicht davon abbringen zu lassen.

Und das, weil wir Hoffnung haben dürfen. Hoffnung, die wir uns nicht selbst zusprechen können, sondern die wir uns zusprechen lassen dürfen.

Der größte Grund unserer Hoffnung als Christen für uns selbst und für unsere Welt, liegt wohl in diesem Geschehen des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu begründet.

Mit Geduld ertrug Jesus alles, was ihm da an Leid, Demütigung, Schmerz und Gewalt angetan wurde. Weil er die Hoffnung nicht aufgab, dass Gott an ihm wahrmachen würde, was er versprochen hatte. Dass diejenigen, die nach den Regeln der Welt meinten, Recht zu sprechen, ins Unrecht gesetzt würden. Darum ließ er sich ans Kreuz nageln. Doch ließ er sich nicht festnageln auf die Rolle, die sie ihm zuschieben wollten, auf die Schulblade, in die sie ihn hineinstecken wollten. Er hielt fest an seiner Hoffnung, dass die Liebe Gottes zum Leben am Ende stärker sein würde als alle menschliche Rechthaberei, die am Ende immer nur den Tod bringt.

Seine Hoffnung hat ihn nicht getäuscht. Das Leben, die Liebe, Gott…sie haben über den Tod gesiegt. Und darum können und sollen wir Christen bis heute aus der Hoffnung heraus, dass Gott wahrmacht, was er verspricht leben. Und geduldig sein. Aushalten, was manchmal schwer zu ertragen ist. Was Angst macht. Festhalten an unserem Weg des Glaubens, dass Gott eine gute Zukunft für uns bereitet hat.

Vielleicht ist es im Jahr 2020 die Aufgabe von uns Christen beispielhaft vorzuleben, dass es möglich ist, ein paar Wochen der Zwangspause zu überstehen. Die Ruhe und Stille anzunehmen, deren Fehlen wir sonst so wortreich beklagen. Und eben nicht ungeduldig zu werden und in hektische Betriebsamkeit zu verfallen. Sondern vielmehr in geduldiger Gelassenheit festzuhalten am Gebet, an der Liebe zum Nächsten, die uns helfen lässt, wo es erforderlich ist, an der Hoffnung, dass wir auch diesen Weg nicht ohne Gott gehen müssen.

Er ist bei uns, er bleibt bei uns ganz gewiss. In Zeiten von Corona und danach. Wir sind auf ein Ziel hin ausgerichtet, von dem wir nicht wissen wann es einmal eintreffen wird. Von dem wir aber glauben dürfen, dass es für uns und die Welt Wirklichkeit werden wird. Das Reich Gottes, in dem dann endgültig die Maßstäbe der Liebe gelten werden. Für alle.

An Karfreitag und Ostern hat Gott das in Gang gesetzt. Seine Zukunft kommt auf uns zu. Daran können wir uns orientieren und darum geduldig und voller Hoffnung unseren Weg gehen.

Jakobus vergleicht die Geduld der Gemeinde mit der Geduld, die ein Bauer braucht, wenn er die Saat in den Acker ausgebracht hat. Wenn er das Seine getan hat, muss er warten können, bis diese aufgeht. Ihr beim Wachsen zuzusehen nützt nichts. Erst recht nicht, wenn man es täte wie jener Bauer, von dem eine Geschichte erzählt. Dem ging das Wachsen seiner Früchte nicht schnell genug. Er verlor die Geduld und fing an, an den einzelnen Pflänzchen zu ziehen, damit sie schneller groß würden. Das Ergebnis ist klar: Statt schneller zu wachsen, gingen die Pflanze ein, weil ihnen der Kontakt zur Erde verloren gegangen war. Durch die Ungeduld des Bauern.

Geduldig sein und bleiben. Auch jetzt in diesen Tagen. Aber nicht nur. Auch danach. Darum geht es. Für uns als einzelne wie als Gemeinde, als Kirche Jesu Christi. Verbunden bleiben mit dem Grund unseres Lebens und unserer Hoffnung. Gott, der bei uns ist, der auf uns zukommt, der uns zum Leben einlädt und zur Auferstehung. Hier und heute und am Ende unserer Tage.

In diesem Sinne: Bleiben Sie geduldig. Und seien sie behütet von dem Gott allen Trostes, der die Liebe und das Leben ist!

Ihr Pfarrer

Andreas Gutting


Andacht

Liebe Gemeindeglieder,

Nußdorf bei Landau. 1986. Religionsunterricht in der 3. Klasse. Behandelt wird die Geschichte von der Heilung des Gelähmten, der von seinen Freunden über und durch das Dach des Hauses, in dem Jesus sich aufhält, zu ihm gebrachte wird.

Auf die Frage des Pfarrers, ob die Kinder denn einen Verdacht hätten, warum dieser Mann gelähmt sein könnte, kam recht spontan die Antwort: „Der wird was ausgefressen haben!“ Seine Krankheit also eine Strafe Gottes für ein Fehlverhalten.

Ein Deutungsversuch von Krankheit, der sich teilweise bis heute gehalten hat.

Auch in der gegenwärtigen Krisenzeit tauchen solche Deutungsmuster wieder auf. Entweder werden einzelne Gruppen zu Sündenböcken gestempelt oder gleich die ganze Menschheit aufgrund mangelnden Glaubens in Haft genommen. Als Allheilmittel wird dann Umkehr, Bekehrung empfohlen und dann, so die Aussage, wird Gott diese Plage, die er uns geschickt hat, auch wieder von uns nehmen.

Nun ist Umkehr gerade für Christen immer ein Thema. Dazu habe ich in der letzten Andacht ja einiges geschrieben.

Doch bleibt mit dem gemeinsamen Wort der Evangelischen, Katholischen und Orthodoxen Kirchen in Deutschland vom 20. März festzuhalten:

Als Christen sind wir der festen Überzeugung: Krankheit ist keine Strafe Gottes – weder für Einzelne, noch für ganze Gesellschaften, Nationen, Kontinente, oder gar die ganze Menschheit. Krankheiten gehören zu unserer menschlichen Natur als verwundbare und zerbrechliche Wesen. Dennoch können Krankheiten und Krisen sehr wohl den Glauben an die Weisheit und Güte Gottes und auch an ihn selbst erschüttern. Krankheiten und Krisen stellen uns Menschen vor Fragen, über die wir nicht leicht hinweggehen können. Auch wir Christen sind mit diesen Fragen nach dem Sinn menschlichen Leids konfrontiert und haben keine einfachen Antworten darauf. Die biblische Botschaft und der christliche Erlösungsglaube sagen uns Menschen jedenfalls zu: Gott ist ein Freund des Lebens. Er liebt uns Menschen und leidet mit uns. Gott will das Unheil nicht. Nicht das Unheil hat darum das letzte Wort, sondern das Heil, das uns von Gott verheißen ist.“

Worum es gerade jetzt in der Passions- oder auch Fastenzeit geht ist nicht Umkehr zu einem bloßen Lippenbekenntnis.

Aber sehr wohl Umkehr zu einem neuen Umgang untereinander, zu einer neuen Sichtweise des Mitmenschen, der mein Nächster ist und dem ich zum Nächsten werden soll, wenn er mit braucht (so zum Beispiel das Gleichnis vom barherzigen Samariter, Lukas 10) und in dem mit Gott selbst begegnet! (vgl. Matthäus 25… Was ihr getan habt….)

Dazu passt das Wort aus dem Buch des Propheten Jesaja, wo es in Kapitel 58 in den Versen 5 – 8 heißt:

5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat? 6 Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7 Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten…

Das tun, was ich kann, um für lebenswerte, menschliche, gerechte Verhältnisse mit zu sorgen. Gemeinschaft und Solidarität üben, statt egoistische Eigenfürsorge durchzuziehen nach dem Motto: „Jeder ist sich selbst der Nächste!“ Und das in dem Bewusstsein: Hier, im Menschen der mich braucht, schaue ich Gott selbst ins Gesicht! Hier begegne ich ihm höchstpersönlich. Garantiert!

Das wäre ein Fasten, eine Umkehr im Sinne Gottes. So hat es Jesaja verstanden und Jahrhunderte nach ihm auch Jesus.

Als Christen dürfen wir uns dabei gewiss sein, dass wir diesen Weg nicht alleine gehen müssen. Denn uns gilt die Zusage des Auferstandenen: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage. Bis an der Welt Ende!“ Und darum fürchtet euch nicht!

Fürchtet euch nicht! Ich bin bei euch!

Dass diese Zusage und Ermutigung Jesus für uns alle zu einer spürbaren Erfahrung wird in diesen Tagen, das wünsche ich uns. Und dass sie Früchte trägt, die das Leben blühen lassen, auch jetzt, wo Krankheit und Tod so bedrohlich für uns alle werden.

Dietrich Bonhoeffer hat dieses Getragen werden durch Gott in diese Worte gefasst:

„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag!“

Seien Sie in diesem Sinne getragen, bewahrt und gesegnet!

Und bleiben Sie gesund!

Ihr Andreas Gutting, Pfarrer



Andacht | Kirchenpräsident Dr. h.c. Christian Schad

Liebe Schwestern und Brüder!

Als ob wir mit dem Drama der Geflüchteten an der türkisch-griechischen Grenze nicht genug hätten, um uns zu besinnen auf das, was dran ist und uns wahrhaftig gut zu Gesicht stünde! Dazu jetzt – mit immer rasanterer Vehemenz – die Corona-Krise. Kein Tag, ohne neue Nachrichten zu diesem Virus. Kaum noch eine Begegnung irgendwo, beim Einkaufen, im Bus oder im Zug, zu Hause oder am Arbeitsplatz, in der nicht etwas mitschwingt von unserer Sorge und Angst:

„Ist da womöglich ein Virenträger dabei?“

„Oder bin ich am Ende selber betroffen?“

Wie paradox! Wir suchen in diesen Zeiten Nähe und Geborgenheit – und müssen doch voneinander Abstand halten. Wir sehnen uns nach Gemeinschaft und Kommunikation – und müssen uns doch vereinzeln. Wie gut, dass wir große Kirchenräume haben, die beides ermöglichen: Distanz und Nähe, sodass wir gemeinsam beten und singen, gemeinsam auf Gottes Wort hören können.

Freilich, die Zahl derer, die demonstrativ den Kopf in den Sand stecken, sie bröckelt: immerhin! Auf der anderen Seite nehmen Panik und Hysterie zu. Auch die Stigmatisierung von Menschen durch Menschen, die die Ursache allen Übels schon längst ausgemacht haben: Wer beispielsweise aus Asien kommt, ist schnell unter Verdacht und wird nicht selten zur Zielscheibe von Anfeindungen.

Liebe Schwestern und Brüder, so heftig wir von der Corona-Welle betroffen sind, es ist ein Geschehen, das unter den Bedingungen einer globalen Welt nicht auszuschließen ist. Auch erinnert uns die gegenwärtige Ohnmacht dem Virus gegenüber nicht nur an die Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens, sondern sie erschüttert auch unsere zum Teil ungebrochene Wissenschaftsgläubigkeit: als ob der Mensch alles könne, alles im Griff habe …

Kein Zweifel: Die gegenwärtige Krise mit ihren gravierenden Folgen, sie fordert uns heraus: den Forschergeist, um einen geeigneten Impfstoff zu entwickeln; den verantwortlichen Umgang untereinander; auch den zeitweiligen Verzicht – oder die Änderung im Blick auf gewohnte Veranstaltungsformate: im Sport, in der Kultur und eben auch bei uns, in der Kirche – bis hin zu unseren Gottesdiensten.

Es gehört für mich zur Christenpflicht, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, um das Infektionsrisiko auch in Gottesdiensten und kirchlichen Veranstaltungen zu minimieren. Für Gottesdienste – und selbst für Trauerfeiern auf dem Friedhof oder in unseren Kirchen gilt zurzeit die Obergrenze von 75 Personen.

Schweren Herzens plädiere ich auch dafür, die jetzt anstehenden Konfirmationen und Jubelkonfirmationen auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen; ebenso Konzerte abzusagen und die Gruppen und Kreise in unseren Gemeinden vorerst ruhen zu lassen. Auch – für eine gewisse Zeit – auf die Feier des Heiligen Abendmahls zu verzichten; ist doch nach evangelischem Verständnis auch ein reiner Wortgottesdienst ein vollwertiger Gottesdienst. Durch diese und ähnliche Schutzmaßnahmen wollen wir Sorge tragen dafür, dass insbesondere für die Älteren und Schwächeren unter uns, auch für Menschen mit Vorerkrankungen, weiterhin die medizinischen Ressourcen in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Diese Personen sind darauf angewiesen, dass ihnen unser Gesundheitssystem helfen kann.

„Suchet der Stadt Bestes… und betet für sie“ (Jeremia 29, 7), so lautet die Aufforderung des Propheten Jeremia an seine Glaubensgeschwister in Babylon. Indem wir Verantwortung für uns und unsere Nächsten übernehmen – und zugleich die in unser Gebet einschließen, die erkrankt sind bzw. sich zu Hause oder in den Kliniken um Erkrankte kümmern – Ärztinnen und Ärzte, Pflegende und Angehörige – nehmen wir unseren Auftrag als Christinnen und Christen ernst.

Früher, liebe Gemeinde, haben Menschen unter ihre Pläne oft zwei Buchstaben gesetzt: C und J. Diese Abkürzung steht für: „Conditio Jacobea“, zu deutsch: „die Bedingung des Jakobus“. Das „C und J“ geht auf den biblischen Brief des Jakobus zurück. Der Briefschreiber warnt vor allzu großer Selbstsicherheit und schließt ab mit der Bemerkung: „So Gott will und wir leben“ (Jakobus 4, 15). Das also ist die „Conditio Jacobea“: eine demütige Einschränkung, eine Relativierung unserer Pläne und Entwürfe.

Heute ist dieses „C und J“ weithin aus der Mode gekommen. Alles schien planbar und funktionierte danach – zumindest war das vor Corona so. Jetzt sieht die Welt anders aus! Sie konfrontiert uns mit unserer eigenen Machtlosigkeit und fordert uns auf, inne zu halten – und dann solidarisch und verantwortlich zu handeln.

So haben Verzicht und Vorsicht auch etwas Gutes. Sie sind: praktizierte Nächstenliebe! Und vielleicht bietet ja die – durch Absagen gewonnene – Zeit die Chance, Menschen, die etwa unter Quarantäne stehen, zu begleiten, für sie einzukaufen, mit ihnen zu telefonieren, ihnen Nähe und Zuwendung zuteil werden zu lassen. Zeit, bewusster und intensiver zu leben …

So begleite Gott uns und alle Menschen in diesen Tagen mit seinem Schutz und mit seinem Segen. Er schenke uns die Gabe, achtsam füreinander zu sein – und vor allem die Kraft, Gewohntes zu lassen, loszulassen, zu vermeiden, um gerade durch solchen Verzicht Menschen zu schützen und ihnen zu helfen.

Suchen wir der Stadt Bestes – und beten wir für sie. Amen.

Gebet:

Gott,unser Halt,ratlos, auch mit Ängsten, verbringen wir zur Zeit diese Tage. Lass uns besonnen und mit klarem Blick erkennen, was wir hier und heute lassen sollen, zum Schutz für uns –und zum Schutz für Andere. Wir beten für die Menschen, die erkrankt sind, auch für die Angehörigen, die einen lieben Menschen verloren haben und um ihn trauern. Wir beten für die Ärztinnen und Ärzte, für die Schwestern und Pflegenden zu Hause und in den Kliniken, in den Altenheimen und Hospizen. Barmherziger Gott, die gegenwärtige Krise, sie erinnert uns daran, dass wir alle unter einem Dach leben, dass wir verletzlich sind und voneinander abhängig; und dass es notwendiger ist denn je, Solidarität zu üben, den achtsamen Blick füreinander zu schärfen, anstatt auszugrenzen. Wir denken in dieser Stunde auch an die verzweifelten Kinder, Frauen und Männer, die an der türkisch-griechischen Grenze lagern. Dramatische Szenen spielen sich dort ab: Tränengas, Wasserwerfer, militärische Abschottung ...Was ist los im sich christlich nennenden Europa?!Schenke uns –und den politisch Verantwortlichen –die Einsicht, dass auch hier nicht Abgrenzung und Ausgrenzung, sondern Solidarität und Nächstenliebe das Gebot der Stunde sind. In der Stille bringen wir jetzt vor dich, was unser Herz bewegt ...

Mit der ganzen Christenheit auf Erden beten wir:

Vater unser im Himmel!

Geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Kirchenpräsident Dr. h.c. Christian Schad