Kunsthistorische Betrachtung der Protestantischen Kirche zu Bellheim

Die Protestantische Kirche in Bellheim wurde von dem Architekten Emil Morgens (Speyer) geplant und 1870/72 erbaut. Sie gehört somit in die Zeit des Historismus, in der man aufgrund des wiedererwachenden nationalen Bewußtseins auf Stille und Künstler vorausgegangener Zeiten zurückgriff und sich an deren Gedankengut orientierte. In diesem Fall wurde die Gotik nachgeahmt (neugotisch). Auszeichnend dafür sind die drei Portale mit Spitzbögen, sowie die Zwillingsfenster mit Dreiblattmaßwerk und Dreipaß.

Beim Betreten der Kirche fällt dem Betrachter zuerst der monumentale Ständerbau ins Auge, der den mittleren Teil der Kirche in ein Mittelschiff und zwei Seitenschiffe aufteilt. Er wurde aus massivem Kiefernholz geschaffen und dem gotischen Baustil der Kirche angepaßt. Der Ständerbau steht auf braunen Sandsteinkonsolen auf. Die Decken des Mittelschiffs, der Seitenschiffe und Emporen sind in Rechtecke aufgeteilt, mit gemalter Dreiblattornamentik verziert, ebenfalls in Holz gestaltet und flach. Daß die Neugotik nicht nur exakt kopiert, sondern auch neue, eigenwillige Nuancen ins Werk miteinbringt, zeigt sich vor allem in der Farbgestaltung und Ornamentik. Während man in der Gotik die Farben mehr zur Betonung der Architektur des gesamten Bauwerkes einsetzte, sticht der neugotische Ständerbau durch seine verspielte, kräftige Farbgebung geradezu ins Auge.

Die Kanzel, welche den eigentlichen Mittelpunkt einer evangelischen Kirche darstellt, ist wiederum in typisch gotischer Manier gehalten und befindet sich links unter dem Chorbogen. Es finden sich Rahmungen und Fenster in Dreiblattform, die Brüstung ist mit den vier Evangelisten (Matthäus, Markus, Lukas und Johannes) sowie Jesus reliefartig geziert. Auf dem Schalldeckel steht ein Turm mit Fialen, welche mit vergoldeten Kreuzblumen und Krabben bekrönt sind und in deren Fensternischen die vier Reformatoren Luther, Calvin, Zwingli und Melanchton in Form herausnehmbarer Figuren dargestellt sind.

Die Rolle des Aschenbrödels scheint wohl der Orgel zugetan, die im Gegensatz zu der reichverzierten Kanzel und dem gewaltigen Ständerbau auf der Empore eher blaß erscheint. Der neugotisch gestaltete Prospekt wurde in Naturholz belassen, auf Farben und Vergoldungen gänzlich verzichtet.

Bei der Renovierung der Bänke in den 50iger Jahren wurde die eigentliche Farbgebung überstrichen. Bei derjetzigen Renovierung erhielten die Bänke wieder ihre ursprüngliche Fassung. Bankköpfe und Endbänke wurden nach Befund in den Farbtönen der Emporbrüstung gehalten, die übrigen Bänke in Holzimitation erneuert. Der Altar, welcher bei der letzten Renovierung entfernt wurde, konnte jetzt ausgebessert und in seinen alten Farbtönen wieder aufgestellt werden.

Altar und Taufstein

In den 60er Jahren war der Originalaltar aus der Kirche entfernt worden. Stattdessen wurden ein Altar und ein Taufstein aus Muschelkalk angeschafft. Glücklicherweise entging der neugotische Holzaltar jedoch der entgültigen Zerstörung. Zu Schrank und Ablage umfunktioniert stand er bis zum vergangenem Jahr im Schuppen des Kindergartens. Während der fast 30jährigen Verbannung hatte das gute Stück erhebliche Beschädigungen davongetragen. Schreinermeister Johann Kraus gelang es jedoch, den Altar so wiederherzustellen, daß er nun in der Kirche wieder seinen ursprünglichen Platz einnimmt - so als wäre er nie weg gewesen.

Mit sehr viel Liebe zum Detail und sehr großem Einfühlungsvermögen schuf Kraus dazu ein neues Taufbecken und ein Altarkreuz im gleichen Stil. Wir danken Herrn Johann Kraus für sein großes Engagement.

Zustandsbeschreibung anläßlich der Renovierung 1990:

Vor der Restaurierung war das gesamte Holzwerk verschmutzt und stark mit Rissen versehen. Im vorderen Bereich waren extreme Holzwurmschäden festzustellen. Einige Holzteile des Ma werkes fehlten gänzlich. Die Farben waren verblaßt, durch den Schmutz nur noch schwer erkennbar.

Dies führte zu folgenden Restaurierungsmaßnahmen:

  • Das gesamte Holzwerk wurde vom Schmutz befreit und für einwandfreie Retuschierarbeiten präpariert.
  • Die Risse wurden ausgespänt bzw. verspachtelt und an ihren Oberflächen dem jeweiligen Holzton angepaßt.
  • Der Holzwurm wurde bekämpft, die Schadstellen ausgebessert.
  • Noch vorhandene, abgebrochene Teile wurden wieder angebracht, fehlende durch Nachschnitzen ergänzt.
  • Die Farben am gesamten Holzwerk wurden retuschiert und aufgefrischt, Vergoldungen ausgebessert und konserviert.
  • Balken und Säulen wurden mit Wachs imprägniert.
  • Die gesamte Kanzel wurde gereinigt und gewachst. Abgebrochene Kreuzblumen wurden wieder angebracht, fehlende in der Werkstatt nachgebildet, vergoldet und an der Kanzel ergänzt.
  • Die Figuren wurden gereinigt, retuschiert und aufgefrischt.
  • Der Prospekt der Orgel wurde gereinigt und gewachst.
  • Der Altar wurde neu gefaßt.
  • Die Bänke nach Befund gestrichen, holzimitiert.

Anschließend wäre noch zu erwähnen, daß die Kirche nach dieser Renovierung jene Atmosphäre bietet, welche die Neugotik ursprünglich zu schaffen versuchte.

C. Seither

(Mitarbeiter der Firma H. Brucker & 1. Williams, Restaurierungswerkstätte)